In der VW-Krise drohen Stellenabbau und Werksschließungen. Die Belegschaft läutet den Arbeitskampf mit Warnstreiks ein. Was ist das überhaupt? Und wie geht es danach weiter?
Autobauer Volkswagen geht es nicht gut. Laut Vorstand des Konzerns ist das Hauptproblem: Die Personalkosten sind zu hoch. Es drohen die Schließung mehrerer Werke und der Abbau Zehntausender Stellen. Für die Führungsriege scheint die Sache klar zu sein. Nur personeller Kahlschlag kann die Probleme lösen. Die VW-Belegschaft will das nicht hinnehmen. Noch ist der Streit zwischen den beiden Seiten aber kein knallharter Arbeitskampf.
Ein Vorgeschmack darauf zeigt sich zum Wochenstart: Die Gewerkschaft IG Metall hatte für diesen Montag deutschlandweit zu Warnstreiks aufgerufen.
In neun der zehn deutschen VW-Werke legten die Beschäftigten die Arbeit nieder. Warum ist das kein "normaler" Streik? Was ist der Unterschied? Vier Fragen und Antworten zum Warnstreik.
Was ist ein Warnstreik überhaupt?
Von außen sieht ein Warnstreik so aus: Die Belegschaft eines Unternehmens legt für einen Zeitraum am Tag ihre Arbeit nieder und verlässt meist auch das Gebäude. Draußen halten die Arbeitnehmervertreter dann flammende Reden. Darin rechtfertigen sie den Warnstreik, greifen die Arbeitgeberseite an und drohen mit harten Konsequenzen, wenn die Chefs ihnen zum Beispiel bei Tarifverhandlungen nicht entgegenkommen.
Die Mitarbeiter drücken dabei lautstark ihren Unmut und ihre Zustimmung für diese Abreibung der Bosse aus. Danach geht es zurück an die Arbeit.
Eine andere Möglichkeit, die jetzt auch bei VW angewandt wurde: Es finden sogenannte Frühschlussaktionen statt. Hierbei nimmt die Belegschaft die pausierte Arbeit nicht wieder auf und es geht direkt in den Feierabend.
Wie ein Warnstreik im Detail durchgeführt wird, kann variieren. Allen Aktionen, die zu einer solchen Veranstaltung gehören, ist aber gemein: Es wird nicht gearbeitet.
Was unterscheidet einen Warnstreik von einem richtigen Streik?
Der Warnstreik ist das letzte Mittel, bevor aus einem Konflikt zwischen Chefs und Mitarbeitern ein echter Arbeitskampf wird. Er soll ein Vorgeschmack für die Führungsriege eines Unternehmens sein – auf einen Stillstand, der länger dauert als einen Vor- oder Nachmittag und weitaus unangenehmer sein wird.
Anders als ein langer vollumfänglicher Streik schadet ein Warnstreik einem Unternehmen nicht wirklich. Vielmehr soll er Signalwirkung haben und anzeigen: "Wenn ihr uns nicht hört, gehen wir bald richtig auf die Barrikaden." Gleichzeitig markiert er auch einen ganz bestimmten Zeitpunkt in einem Tarifkonflikt. Rufen die Gewerkschaften zu Warnstreiks auf, machen sie damit klar, dass sie die Verhandlungen zurzeit als gescheitert betrachten.
Ein Warnstreik und ein normaler Streik unterscheiden sich also hauptsächlich in ihrem Zweck und ihrer Dauer.
Warnstreiks sind also eher kurzfristige Maßnahmen zur Druckausübung, während normale Streiks längere, entschiedenere Aktionen zur Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen darstellen.
Steht der Warnstreik im Gesetz?
Streiks, also auch Warnstreiks, sind in Deutschland im Grundgesetz verankert. In Artikel 9 Absatz 3 steht: "Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet." Das heißt: Menschen dürfen sich zum Beispiel in einer Gewerkschaft organisieren, um geschlossen zu streiken. Dies ist das Recht auf Koalitionsfreiheit. Viel mehr als weiteren Schutz dieses Rechtes sichert das Gesetz den Streikenden aber nicht zu.
So sind sogenannte wilde Streiks, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind, rechtswidrig. Auch unterliegen Warnstreiks sowie normale Streiks dem Ultima-Ratio-Prinzip, das besagt, dass Arbeitskampfmaßnahmen erst nach Scheitern der Tarifverhandlungen ergriffen werden dürfen. Verschiedene Gerichte haben in ihren Urteilen das Streikrecht und die Bedingungen für die Zulässigkeit von Streiks weiter definiert. Dazu gehören Fragen der Verhältnismäßigkeit und der Notwendigkeit von Streiks. So sollte sich ein Streik auf die Durchsetzung tariflicher Ansprüche konzentrieren.
Indirekt ist das Streikrecht als Grundrecht anzusehen, das aber an Bedingungen geknüpft ist.
Wie geht es weiter bei VW?
Bei VW geht es jetzt in die heiße Phase. Der aktuelle Warnstreik ist der erste seit 2018. Lange waren die Fronten zwischen Vorstand und Belegschaft nicht mehr so verhärtet. Die Arbeitnehmerschaft will die Schließungen und den Stellenabbau nicht akzeptieren. Das Management hatte einen Lösungsvorschlag der Arbeitnehmerseite bei der dritten Tarifverhandlung Ende November abgelehnt.
Die Kündigung von mehreren Tarifverträgen zwischen der IG Metall und Volkswagen ging vom Autobauer aus. Dieser kündigte sechs Verträge mit der Gewerkschaft zum 31. Dezember 2025. Um die Neugestaltung dieser wird nun gestritten. Die vierte Verhandlungsrunde wird am 9. Dezember stattfinden. Eine Annäherung der beiden Parteien erscheint unwahrscheinlich.
Jan Mentrup, Pressesprecher der IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, sagte gegenüber dem stern: "Wie lange und wie intensiv der Konflikt geführt werden muss, hat der Vorstand am Verhandlungstisch in der Hand. Da kommen wir am 9. Dezember das nächste Mal zusammen. Wir haben ein Gesamtkonzept vorgelegt und sind damit einen großen Schritt auf das Unternehmen zugegangen." Nun sei Volkswagen am Zug, sich von seiner Maximalposition zu verabschieden und sich ebenfalls zu bewegen. Das sei die Voraussetzung für einen lösungsorientierten Verhandlungsprozess.
"Wir wollen diesen Konflikt nicht, waren sogar bereit, mit unserem Vorschlag und einem Beitrag auf der Arbeitskostenseite im Gesamtkonzept an die Schmerzgrenze dessen zu gehen, was für die Belegschaft hinnehmbar ist", so Mentrup. "Doch ohne Beitrag des Vorstandes und der Aktionäre sowie eine nachhaltige Beschäftigungssicherung geht es nicht. In wenigen Wochen ist Weihnachten, wir wollen zu einer Lösung kommen – aber zu einer guten für die Beschäftigten, ohne Werksschließungen und Kündigungswellen. Der heutige Tag hat gezeigt: Die Belegschaft ist streikbereit! Und zur Not ziehen wir die Daumenschrauben weiter an!"
VW hat sich auf Warnstreik vorbereitet
Volkswagen hatte am Sonntag nach der Streikankündigung erklärt, man wolle die Auswirkungen des Warnstreiks auf Kundinnen und Kunden, Partner sowie Industrieanlagen "so gering wie möglich halten". "Deswegen hat das Unternehmen bereits im Vorfeld gezielt Maßnahmen ergriffen, die eine Notversorgung sicherstellen." Das Unternehmen respektiere das Recht der Beschäftigten, an einem Warnstreik teilzunehmen und setze weiter auf einen konstruktiven Dialog.
In der Sache zeigte sich der Konzern aber hart: Das Gegenkonzept von IG Metall und Betriebsrat hatte VW am Freitag als unzureichend zurückgewiesen. Der Autobauer begründet die Einschnitte mit hohen Kosten und einer geringen Auslastung. Angesichts der schwachen Nachfrage nach Neuwagen müsse VW seine Sparbemühungen verstärken.