4 days ago

​Kriegsende 2025 gefordert: Selenskyj macht Schritt auf Putin zu



Der ukrainische Präsident signalisiert Verhandlungsbereitschaft. Selenskyj stellt sogar die zeitweise russische Kontrolle ukrainischer Gebiete zur Debatte. Er dringt auf diplomatische Lösungen für den russischen Angriffskrieg schon im kommenden Jahr - weil er muss.

Nach Frieden sehnt sich die Ukraine schon seit 1000 Tagen, vor denen der russische Überfall begann. Die Verhandlungen über ein Kriegsende sind bislang an den imperialistischen Bestrebungen von Präsident Wladimir Putin gescheitert. Deshalb scheinen die Forderungen Wolodymyr Selenskyjs nach einer diplomatischen Lösung im kommenden Jahr zunächst verwunderlich. "Die Ukraine verdient es, dass das nächste Jahr zum Jahr des Friedens wird", sagte der ukrainische Präsident in einer Videoansprache vor dem EU-Parlament. Im ukrainischen Radio hatte sich Selenskyj vergangene Woche ähnlich geäußert: "Unsererseits müssen wir alles tun, damit dieser Krieg nächstes Jahr endet."

Bei einer weiteren Rede abends im ukrainischen Parlament ließ Selenskyj sogar Raum für eine zeitweilige russische Kontrolle ukrainischer Gebiete. "Vielleicht muss die Ukraine jemanden in Moskau überleben, um ihre Ziele zu erreichen und das gesamte Staatsgebiet wieder herzustellen", sagte Selenskyj mit einer Anspielung auf Putins Lebenszeit. Das sind neue Töne. Selenskyj lehnt nur noch formaljuristische Gebietsabtretungen kategorisch ab: "Wir verzichten nicht auf die Rechte der Ukraine auf ihr Territorium."

Der Kriegsgegner im Kreml bleibt bislang bei seinen Forderungen, sich die Ukraine einzuverleiben - angeblich, um sie zu "entnazifizieren". Warum also signalisiert Selenskyj immer wieder seine Verhandlungsbereitschaft? Der Adressat dieser Botschaften sitzt womöglich nicht in Moskau, sondern zieht im Januar ins Weiße Haus in Washington ein: Donald Trump. Schließlich fordert der selbsternannte "Deal-Maker" ein schnelles Kriegsende.

Selenskyj fordert in "Siegesplan" NATO-Einladung

Ein Waffenstillstand innerhalb von 24 Stunden - so lautet Trumps Devise. Zwar ist dieses Ziel unrealistisch, der künftige US-Präsident wird aber höchstwahrscheinlich auf einen raschen Verhandlungsbeginn drängen. Ohne die USA als den wichtigsten Verbündeten und dessen Militärhilfe kann Selenskyj nicht gegen Putins Armee bestehen. Selenskyj bleibt keine Wahl, als seine Bereitschaft zu betonen, sich an Trumps Tempo anzupassen. "Es ist sicher, dass der Krieg mit der Politik des Teams, das jetzt das Weiße Haus führen wird, früher enden wird", sagte Selenskyj in einem Interview mit der öffentlich-rechtlichen ukrainischen Medienanstalt Suspilne.

Selenskyj zeigt nicht nur Offenheit für einen der von Trump viel beschworenen Deals. Er geht sogar einen Schritt auf Putin zu, indem er die zwischenzeitliche Kontrolle ukrainischer Regionen durch Russland nicht mehr ausschließt. Vorerst ist dies aber der einzige Kompromiss, den er anbietet. Selenskyjs im September vorgestellter "Siegesplan" dürfte bei Putin auf wenig Gegenliebe stoßen, enthält er doch die bedingungslose Einladung der Ukraine in die NATO - und zwar gleich als erste Forderung.

Trumps Berater verfolgen andere Strategien, berichtet das "Wall Street Journal". Einer der Pläne sieht demnach etwa vor, die Ukraine solle für 20 Jahre den Verzicht auf einen NATO-Beitritt erklären, während sie weiterhin von den USA Waffen zur Abschreckung gegen einen erneuten russischen Überfall erhält. Noch steht nicht fest, ob sich der erratische Trump überhaupt für eine der Strategien entscheidet, die sein Team entwirft.

ATACMS-Raketen könnten Verhandlungsposition verbessern

Egal, wie er taktisch vorgehen wird: Trump, der sich seiner angeblich guten Beziehungen nach Moskau rühmt, muss aufpassen, Putins Unnachgiebigkeit bei Verhandlungen nicht zu unterschätzen. "Es ist längst offensichtlich, dass der Kreml bei potenziellen Verhandlungen eine sehr harte, aggressive Position einnehmen und den Frieden durch große einseitige Zugeständnisse seitens der Ukraine fordern wird", sagte Wolodymyr Fessenko, einer der renommiertesten Politikexperten der Ukraine, im Gespräch mit ntv.de. Eine Ablehnung der russischen Bedingungen durch die Ukraine bringe Trump in eine verzwickte Lage, da dies wie eine Niederlage der USA aussehen würde. Um die Kriegsparteien wieder an den Verhandlungstisch zu bringen, könnte Trump den Druck auf Russland erhöhen - sogar durch eine "Vergrößerung der Militärhilfe", sagte Fessenko.

Für Selenskyj wäre das ein äußerst günstiges Szenario. Mit Trump im Weißen Haus muss er jedoch parallel mit Schlimmerem rechnen. Also versucht der ukrainische Präsident, seine Verhandlungsposition vor 2025 so gut zu stärken, wie er kann. "Es muss tagtäglich mehr Druck auf Russland ausgeübt werden", sagte er vor den EU-Abgeordneten. Nötig seien in diesem Zusammenhang die Ermöglichung von ukrainischen Angriffen auf Waffenlager, Logistik- und Luftwaffenstützpunkte in Russland. Dabei spielte Selenskyj auf die Erlaubnis Joe Bidens für die weitreichende Nutzung von ATACMS-Raketen an.

Nach russischen Angaben hat die Ukraine davon bereits Gebrauch gemacht: In der Nacht zu Dienstag habe Kiew eine Militäreinrichtung in der Grenzregion Brjansk mit sechs ballistischen Raketen angegriffen, berichten die staatlichen russischen Nachrichtenagenturen.

Die ATACMS-Raketen könnten der Ukraine zu einer besseren Position sowohl bei Verhandlungen als auch auf dem Schlachtfeld verhelfen, sagt Oberst Markus Reisner im Gespräch mit ntv.de: "Mit den ATACMS können die Ukrainer die Russen in der Bereitstellung zusätzlicher Kräfte behindern. Und zwar so stark, dass es weder Moskaus Truppen noch den zusätzlichen Kräften aus Nordkorea gelingt, den Vorstoß der Ukrainer auf russisches Gebiet zur Gänze zu unterbinden oder einzudrücken." So könnte Kiew die russische Grenzregion Kursk halten und am Verhandlungstisch anbieten, seine Truppen von dort abzuziehen, sollte es ein Gegenangebot geben, sagt Reisner. In jedem Fall lässt sich Selenskyj von Putin keinen Diktatfrieden aufzwingen. Das stellte er in Brüssel klar: Der Krieg müsse "auf faire und gerechte Weise" enden, sagte er.

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