1 month ago

Krieg in der Ukraine: Russlands strategische Raketentruppen greifen erstmals in Kämpfe ein



Sie wurden aufgestellt für den nuklearen Schlagabtausch. Nie standen sie im Kampf. Doch jetzt sollen Russlands strategische Raketentruppen die Ukraine in die Knie zwingen.

Bereits das Motto der strategischen Raketentruppen Russlands kündet von der Apokalypse: "Nach uns – nur die Stille". Die Einheiten und ihre Soldaten existieren für den nuklearen Schlagabtausch. In der UdSSR galten sie als eigene Waffengattung und standen noch über den Landstreitkräften. Kremlchef Wladimir Putin stellte sie 2001 im Rahmen der Russischen Föderation als Strategische Raketentruppen der Russischen Föderation (RVSN) wieder her. 

Gegründet wurden die strategischen Raketentruppen 1959. Alle landgestützten Raketenwaffen mit Reichweiten von mehr als 1000 Kilometern wurden darin zusammengefasst – also Mittelstreckenraketen und Interkontinentalraketen. Raketentruppen hatten die Sowjets schon vorher. Doch 1959 stellten sie Interkontinentalraketen in Dienst. Es war die Zeit von Sputnik-Schock und Juri Gagarins Flug in den Weltraum. Die UdSSR war führend in der Raketentechnologie und die Interkontinentalraketen die Folge. Mit dem Minuteman-Programm zogen die USA hektisch nach.

WISSEN Sarmat YU-71

Raketentruppen standen nie im Kampf

Die strategischen Raketentruppen, ob UdSSR oder später Russland, nahmen nie direkt an Kampfhandlungen teil – bis zum 21. November 2024, als die neuartige Waffe Oreschnik die Rüstungsfabrik Piwdenmasch in der ukrainischen Stadt Dnipro angriff. In der Ukraine setzen die Russen in großer Zahl die Iskander ein, ebenfalls eine ballistische Rakete – allerdings eine Kurzstreckenrakete. Ihre Einheiten unterstehen nicht den strategischen Raketentruppen.

Von Putin gibt es mehrere bizarre Äußerungen über einen möglichen Nuklearkrieg. 2018 sagte er: "Ein Angreifer sollte wissen, dass Rache unvermeidlich ist, dass er vernichtet wird und wir die Opfer der Aggression sein werden. Wir werden als Märtyrer in den Himmel kommen und sie werden einfach tot umfallen. Sie werden nicht einmal Zeit haben, ihre Tat zu bereuen." Dabei reicht er allerdings nicht an Ronald Reagan heran. Beim Soundcheck mit Tontechnikern des National Public Radio sagte Reagan 1984 gut gelaunt: "Meine amerikanischen Mitbürger, ich freue mich, Ihnen heute mitteilen zu können, dass ich ein Gesetz unterzeichnet habe, das Russland für immer ächtet. In fünf Minuten beginnen wir mit den Bombenangriffen."

Waffen aus Nordkoera_1227

Oreschnik Rakete 

Über die Oreschnik gibt es wenig gesicherte Daten. Sie ist eine Mittelstreckenrakete mit relativ großer Reichweite. Die "Haselnussstrauch" genannte Waffe wurde vermutlich auf Basis der RS-24/26 entwickelt. Der Gefechtskopf wird auf 1200 bis 1500 Kilogramm geschätzt. Beim ersten Einsatz setzte die Rakete 36 feste Körper aus, die allein mit ihrer kinetischen Energie wirkten. Wie genau sie trafen und wie wirksam sie sind, ist nicht bekannt. Und mit Satellitenbildern lässt es sich auch nicht feststellen, das eigentliche Ziel liegt unter der Erde. 

Noch unter Stalin wurde entschieden, die wichtigsten Rüstungsbetriebe als Bunker anzulegen, die Atombomben widerstehen. Piwdenmasch ist eine der größten Anlagen, eine Stadt unter der Stadt. Ironie der Geschichte: Diese Bunkerfabriken aus der UdSSR ermöglichen es der Ukraine heute, weiterhin Rüstungsgüter herzustellen. Konventionelle Raketen und Marschflugkörper beißen sich an den Bunkeranlagen die Zähne aus. Sie können nur die Peripherie, die Zufahrten und die Hallen auf der Oberfläche beschädigen, nicht aber die tiefen Bunker.

Oreschnik Rakete ART_1053

Grundlage der "Weltmacht" Russland

Die strategischen Raketentruppen gliedern sich in drei Armeen mit insgesamt elf Divisionen. Die Mannschaftsstärke einer Division ist allerdings weit geringer als beim Heer. Insgesamt dienen etwa 50.000 Mann in ihnen. Bis zur Oreschnik verfügten sie allein über Interkontinentalraketen. Teils werden sie aus Silos gestartet, ein großer Anteil ist allerdings auf mobilen Rampen montiert. Die mobilen Systeme sind ein sehr viel schwereres Ziel als die stationären Silos.

Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt charakterisierte die UdSSR einst als ein "Obervolta mit Atomraketen". Obervolta hieß damals das heutige Burkina Faso in Afrika und Schmidt wollte den Gegensatz zwischen der bitteren Armut der einfachen Russen und der Hochrüstung des Riesenreichs verdeutlichen. Das war polemisch überspitzt, hat aber einen wahren Kern.

Die Geltung als Supermacht kann Russland nur wegen seiner Nuklearwaffen beanspruchen und ein großer Teil dieser Stellung basiert auf den strategischen Raketentruppen. In der Kreml-Lesart garantieren allein sie den Schutz vor den "imperialistischen" USA. In der Zeit des größten Niedergangs, den Jelzin-Jahren, verloren die übrigen Streitkräfte den Großteil ihrer Kampfkraft durch Mittelkürzungen, Inkompetenz und Korruption. Nur die strategischen Raketentruppen sollen stets die Einsatzbereitschaft aufrechterhalten haben, die zur nuklearen Abschreckung nötig ist.

Und derzeit liegen diese Truppen weltweit wieder vorne, so wie bei ihrer Gründung 1959. Das nukleare Modernisierungsprogramm Russland ist zwar von Pleiten begleitet, aber es schreitet voran und die Russen haben damit früher begonnen als die USA. Mit der RS 28 Sarmat-Rakete, dem Hyperschall-Gleiter Avantgarde und nun der Oreschnik sind die Russen ihren Gegnern zumindest im Moment voraus.

Einsatz mit konventionellen Waffen 

Derzeit erleben wir eine Paradoxie: Stets wurde eine nukleare Eskalation in der Ukraine befürchtet, dabei dachte man meist an kleine, taktische nukleare Waffen. Jetzt greifen die strategischen Raketentruppen in den Krieg ein, eine Waffengattung, die man mit massiven Atomschlägen in Verbindung bringt. Tatsächlich setzten sie aber eine nicht-nukleare Waffe ein.

Mehrmals hat Putin die Wirksamkeit der Oreschnik beschworen, so deutlich, dass ein massiver Einsatz und nicht nur vereinzelte Schläge zu erwarten sind. Nach Putins Worten lässt sich die Rakete wegen ihrer Geschwindigkeit nicht abfangen. Zugleich soll ihr Gefechtskopf auch tief verbunkerte Strukturen zerstören. Trifft das nicht zu, wäre das eine große Blamage für den Kreml. Doch andernfalls könnte Putin an jedem Ort der Ukraine zuschlagen, weil die Luftverteidigung hilflos ist und Kiew verlöre den Schutz seiner Bunkeranlagen.

Gesamten Artikel lesen

© Varient 2025. All rights are reserved