Selenskyj und Putin treiben Offensiven voran: Der eine bei Kursk, der andere im Donbass. Obwohl die Schlachtfelder weit voneinander entfernt liegen, sind sie eng miteinander verwoben.
Die Welt blickt auf die erfolgreiche Offensive der Ukraine im Raum Kursk, doch parallel zu den Angriffen der Ukrainer tobt die Schlacht im Donbass. Dort rücken Putins Truppen mit mehreren Keilen in Richtung auf die Stadt Prokrowsk vor. Obwohl räumlich getrennt, sind beide Operationen miteinander verbunden. Ihr Ausgang wird den weiteren Verlauf des Krieges entscheidend beeinflussen.
Bei Kursk wird der Donbass verteidigt
Auf den ersten Blick ist es schwer, ein operatives Ziel der Kursk-Offensive zu erkennen. Erreicht wurde einiges: Das russische Militär wurde gedemütigt, Putin konnte das eigene Gebiet nicht schützen, Kiew hat seine militärische Handlungsfähigkeit nach einer Reihe von Niederlagen unter Beweis gestellt, und es konnten etwa 1000 Quadratkilometer russisches Gebiet besetzt werden. In der Region sind die weiteren Optionen begrenzt. Es ist kaum anzunehmen, dass die Ukraine die Großstadt Kursk mit über 450.000 Einwohnern einnehmen kann. Das strategische Ziel der Ukraine im Raum Kursk liegt woanders, im Donbass. Das Kalkül lautet: Kiew muss bei Kursk so erfolgreich sein, dass Putin die Ukrainer nicht allein mit den Truppen der Reserve stoppen kann. Er muss gezwungen werden, Kräfte, die für den Donbass vorgesehen sind, in den Norden zu verlagern. Sodass sein eigener Vormarsch im Osten zusammenbricht. Gelingt das, hätten die Ukrainer mit ihren mobilen und schnellen Operationen im Norden doch noch ein Mittel gegen den langsamen, aber systematischen Zermürbungskrieg im Osten gefunden.
Doch damit die Russen dazu gezwungen werden, darf der Druck im Norden nicht abnehmen, er muss weiter steigen. Die Front bei Kursk muss mobil bleiben, den Russen darf es nicht gelingen, den Einbruch abzuriegeln. Kiew muss dort oder an anderen Abschnitten weiter angreifen. Und dies geschieht. Derzeit sind die Ukrainer nicht in der Lage immer tiefer ins russische Gebiet vorzustoßen. Auch stößt ihre Taktik, mit kleinen, sehr mobilen Gruppen zu operieren, die die russischen Sperrstellungen umgehen, an die Grenzen. Die Russen können zwar keine durchgehende Front aufbauen, aber auch sie haben Kommandosoldaten in die Region gebracht, die den Ukrainern auflauern und ihre Konvois attackieren. Aber auch wenn es direkt Richtung Kursk derzeit nicht weitergeht, verbreitern die ukrainischen Streitkräfte ihren Einbruchszipfel nach Westen und nach Osten. Nachdem sie die Kleinstadt Sudscha an beiden Flanken gesichert haben, haben sie die Russen vermutlich aus den letzten Stützpunkten im Ostteil der Stadt vertrieben und werden dort weiter vorrücken. Im Westen der Kursker Frontbeule versuchen sie die Russen aus dem Örtchen Snagost zu vertreiben.
Offensive bei Kursk weiter aktiv
Die Kursk-Offensive rollt also weiter, allerdings langsamer als in den ersten Tagen. Doch eines haben die Ukrainer bisher nicht geschafft: die russische Offensive im Donbass zu stoppen. Dort kommt es nicht zu schnellen Manövern, doch die Russen rücken in den zähen Positionskämpfen weiter vor.
Ukraine IV zu möglichem Frieden Buschanskij 6.22
Aus dem Raum um die Orte Ivanivka und Vesele rücken die Russen vor und nehmen Tag für Tag kleinere Ortschaften ein. Von mehreren Seiten nehmen sie das Städtchen Hrodiwka in die Zange. Zum Stadtkern von Prokrowsk sind es dann immer noch 15 Kilometer, doch die Ausläufer der Siedlungen um die Stadt liegen sehr viel näher. Derzeit wird Prokrowsk evakuiert, vor dem Krieg lebten dort etwa 85.000 Menschen.
Ziel der Donbass-Offensive
Trotz der geringen Größe ist Prokrowsk ein Ziel von strategischer Bedeutung. Die letzte Linie der Verteidigung im Osten ist eine Kette von befestigten Städten, dazu gehören Slowjansk, Kramatorsk und Kostjantyniwka. Dieser Riegel wird im Süden von Prokrowsk geschützt. Fällt die Stadt, können die Russen in den Raum hinter der Festungskette gelangen. Das wird sicher nicht in einer schnellen Operation geschehen, doch grundsätzlich hätten die Russen dann einen Hebel, um die ukrainische Verteidigung im Donbass aus den Angeln zu heben. Bricht ihre Offensive aber aus Mangel an Kräften zusammen, weil sie Truppen nach Kursk schicken müssen, ist die russische Strategie, den Donbass zu erobern, bis auf Weiteres gescheitert.
Keiner will die Initiative verlieren
Beide Seiten liefern sich ein Duell der Nervenstärke. Kiew versucht, mit möglichst geringen Kräften die Russen im Osten aufzuhalten, um bei Kursk selbst die Initiative zu behalten. Die Russen dürfen das Momentum im Osten nicht gefährden, um den Einbruch bei Kursk abzuriegeln. Dieses Duell verliert die Seite, die zuerst von ihrem primären Ziel ablässt, um eine Niederlage an der anderen Front abzuwenden.
Den Krieg werden die entfernten, doch miteinander verbundenen Kämpfe um Kursk und um Prokrowsk nicht beenden. Doch der Ausgang wird entscheidend bestimmen, unter welchen Vorzeichen der Krieg 2025 fortgeführt wird. Für die freie Ukraine ist die Kursk-Operation ein Befreiungsschlag, in den Monaten zuvor lag die Initiative allein bei Russland, während die ukrainischen Truppen monatelang zurückgedrängt wurden. Dieser Bann wurde bei Kursk gebrochen.