CDU-Chef Merz bietet der SPD nach dem Anschlag von Solingen eine Kooperation in der Migrationspolitik an - gerne an FDP und Grünen vorbei. SPD-Chefin Esken lehnt den Vorschlag ab, die Grünen reagieren verärgert. Denn auch Vizekanzler Habeck und Minister Özdemir sind mit dem Status quo unzufrieden.
SPD-Chefin Saskia Esken lehnt eine Zusammenarbeit der Sozialdemokraten mit der Union bei einer möglichen Verschärfung des Asylrechts ohne die weiteren Ampel-Partner ab. Es sei wichtig, dass sich ein Regierungschef "in so schwierigen Situationen und mit so schwerwiegenden Themen" mit dem Oppositionschef unterhält und über Möglichkeiten der Zusammenarbeit nachdenkt, sagte Esken im RBB. Aber "natürlich werden wir nicht an Grünen und FDP, unseren Koalitionspartnern, vorbei so eine Zusammenarbeit machen".
Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD und CDU-Chef Friedrich Merz hatten am Dienstag ein längeres Gespräch, bei dem es vorwiegend um Konsequenzen aus dem Anschlag von Solingen ging. Merz bot Scholz dabei eine Zusammenarbeit bei der Verschärfung der Migrationspolitik an. Der CDU-Chef erklärte, er wolle bereits in der nächsten Sitzungswoche des Bundestags ab dem 9. September fraktionsübergreifend Gesetzesänderungen auf den Weg bringen. Er setze dabei auf ein gemeinsames Vorgehen "mit den Teilen der Koalition, die guten Willens sind" - und schlug vor, mit einer Mehrheit von Union und SPD Gesetzesänderungen zu verabschieden.
Esken betonte dagegen beim RBB, es gehe vor allem darum zu klären, warum die Abschiebung des mutmaßlichen Täters von Solingen gescheitert sei und wie verhindert werden könne, dass junge Männer sich in Deutschland radikalisieren.
"Das verstehe ich als Grüner übrigens auch nicht"
Die Grünen warfen dem CDU-Chef nach dessen Angebot vor, den Anschlag von Solingen für Wahlkampf zu missbrauchen: "Wir haben ja Landtagswahlen. Das verstehe ich auch bis zu einem gewissen Grad. Aber mein Wunsch wäre schon, dass wir jetzt hier nicht Parteipolitik machen", sagte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir im "Frühstart" von ntv. Merz unterschlage, dass Gesetzesänderungen im Asylbereich mit den Grünen zusammen beschlossen worden seien.
Außerdem lenke Merz davon ab, dass es etwa beim Anschlag von Solingen gar nicht um eine Gesetzeslücke, sondern um die mangelnde Anwendung von Regeln durch Behörden gegangen sei. "Das treibt doch die Leute in den Wahnsinn, dass wir ständig über Gesetzesänderungen reden, aber die bestehenden Gesetze nicht mal zur Anwendung bringen", sagte Özdemir.
Allerdings bemängelte auch der Grünen-Minister fehlende Kompetenzen bei den deutschen Sicherheitsbehörden. "Die deutschen Sicherheitsbehörden sind mit Pfeil und Bogen unterwegs, während andere Hightech einsetzen", sagte Özdemir. "Es gibt Gesetzeslücken. Zum Beispiel, dass ausländische Dienste uns Informationen geben müssen, die unsere Dienste nicht legal erwerben dürfen. Das versteht kein normaler Mensch. Das verstehe ich als Grüner übrigens auch nicht."
"Wir haben ein Problem"
Ähnlich äußerte sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Der grüne Vizekanzler räumte ein, dass es sicherheitspolitisch "sehr viel zu tun" gebe. In einer Videobotschaft nannte Habeck als Beispiel die Ausstattung und die Befugnisse der Sicherheitsbehörden, den Kampf gegen Radikalisierung und den Umgang mit Migration. "Wir haben ein Problem", sagte Habeck. Mit den steigenden Flüchtlingszahlen seit 2015 sei auch die Zahl gewaltbereiter Krimineller gestiegen. "Wer unsere Gastfreundschaft oder das hohe Gut des Asylrechts missbraucht, hat null Anspruch, sich noch darauf zu berufen."
Bei Abschiebungen gebe es "eklatante Lücken zwischen jenen, die rechtlich das Land verlassen müssen und jenen, die tatsächlich das Land verlassen", sagte der Grünen-Politiker weiter. Das sei ein "Rechtsdurchsetzungsproblem". Habeck plädierte in dem Zusammenhang erneut für eine Verschärfung des Waffenrechts. Außerdem müsse stärker gegen Internetplattformen vorgegangen werden, die Propaganda nicht konsequent bekämpfen.
Auch die FDP scheint die von Merz gefordert Kurswende in der Asyl- und Migrationspolitik zu unterstützen. "Die FDP steht zu überparteilichen Anstrengungen bereit, neuen Realismus in der Migration von Bund und Ländern konsequent durchzusetzen", sagte FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner der "Bild"-Zeitung. "Die Vorschläge von Herrn Merz zur Migration decken sich stark mit denen der FDP." Lindner betonte zugleich, seine Partei habe schon mehr Kontrolle bei der Migration gefordert, "als die CDU noch auf Merkel-Kurs war".