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Kolumne: Blick aus Berlin: Mit Merz steht und fällt die Brandmauer



Die Koalitionsbildung in Österreich ist gescheitert. Nun ist FPÖ-Chef Herbert Kickl mit der Regierungsbildung dran. Wird Deutschland bald Ähnliches blühen?

Österreichs Bundespräsident hat die rechtspopulistische FPÖ mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Das ist das erstaunliche, ja erschreckende Ergebnis einer Nationalratswahl und anschließender Koalitionsverhandlungen, in denen es trotz aller Gegensätze der beteiligten Parteien einen letzten Konsens gab: genau das Ergebnis zu verhindern. Das Vorhaben ist krachend misslungen. Dieses völlige, in seiner Dimension kaum zu überschätzende Scheitern wird so zur Selbstanklage der breiten politischen Mitte in Österreich. Aber wenn das dort passieren kann, was ist dann eigentlich mit Deutschland?

Ja, es gibt viele Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich, zwischen der AfD und der FPÖ. Die kleine Alpenrepublik ist schon viel weiter als der große Nachbar im Norden, wobei "weiter" nicht positiv zu verstehen ist. Die Rechtspopulisten aus der Erbmasse Jörg Haiders und Heinz-Christian Straches sind seit Jahren etablierte Regierungspartei, koalieren in fünf Bundesländern mit der ÖVP, stellen in der Steiermark den Landeshauptmann (Ministerpräsident). Mehrere Male war die FPÖ auch Koalitionspartner in Bundesregierungen, die zuletzt jedoch alle vorzeitig zerfielen.

Eine Lehre aus der Lage in Österreich: Das Unmögliche erscheint möglich

Von alldem ist die AfD noch ein gutes Stück entfernt, auch davon, in Deutschland überhaupt stärkste Partei zu werden. Aber ausgeschlossen ist es nicht. Deshalb liegt aus deutscher Perspektive die Dramatik der sich anbahnenden Regierungsbildung in Wien weniger in ihrem schieren Zustandekommen (schlimm genug), sondern vor allem im Zeitpunkt. Im Bundestagswahlkampf ist wenig Platz für vergleichende Analysen. Wohl aber für einfache Parolen. Der AfD am meisten zupass kämen eine Regierungsbildung mit der FPÖ, die alle ausgeschlossen hatten, und ein FPÖ-Kanzler, den niemand wählen wollte. Die plakative Schlussfolgerung für die AfD würde schlicht lauten: Das Unmögliche ist möglich. Kann man sich eine bessere Mobilisierung wünschen?

PAID Kickl vor der Kanzlerschaft.  20.50

Große Stücke auf Friedrich Merz

Gegenwärtig sind die zwei wichtigsten Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich die sogenannte Brandmauer zur AfD – und Friedrich Merz. Das mag überraschend klingen, aber beides gehört sogar zusammen. Keine Partei würde bei einem entsprechenden Ergebnis und schwierigen Koalitionsverhandlungen so unter Druck geraten, sich der AfD zu öffnen, wie die CDU. Und es wäre an Merz, diesem Druck standzuhalten und sich eine vermeintliche Mehrheit rechts der Mitte nicht zunutze zu machen. Das Gute ist: Man kann viel gegen Merz sagen, aber nicht, dass er Anlass für den Verdacht gegeben hätte, sich im Ernstfall diesem Druck zu beugen.

Es ist nun viel die Rede davon, dass die Parteien der Mitte gesprächsfähig bleiben müssen (nur Markus Söder wird aus den österreichischen Verhältnissen gewiss den Hinweis ableiten, so was entstehe, wenn vorher Schwarz-Grün regiert). Aber eine solche Gesprächs- und auch Koalitionsfähigkeit allein schafft noch keine stabile Regierung, wofür hierzulande gerade die Ampel ein erstes Exempel statuiert hat. Gutes Regieren wird für jede Koalition, wer auch immer sie führt, mehr bedeuten als Interessensausgleich. Es muss eine Werbetour für die Fähigkeiten der demokratischen Mitte sein, im Bund, aber auch in Ländern, Kommunen, Parteien. Dass ein Fairnessabkommen zwischen Union, SPD, Grünen und FDP bislang vor allem dazu dient, dem Gegner dessen Missachtung vorzuwerfen, ist erst mal kein gutes Zeichen. Eher schon, dass die Mitgliederzahlen der Parteien wieder steigen. Das wäre jedenfalls eine wünschenswerte Form der Mobilisierung.

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