Die Ukraine braucht mehr Kämpfer, um den russischen Aggressoren standhalten zu können. Die USA drängen Kiew wohl dazu, das Wehrpflichtalter deutlich herabzusetzen und junge Männer einzuziehen. Regierung und Gesellschaft könnte das vor eine Zerreißprobe stellen.
Die US-Regierung drängt die Ukraine nach Informationen der Nachrichtenagentur AP dazu, künftig auch jüngere Männer zum Wehrdienst einzuziehen. Das gesetzlich verankerte Alter für die Einberufung solle von 25 auf 18 Jahre gesenkt werden, verlautete aus US-Regierungskreisen.
Damit sollen die zahlenmäßig unterlegenen ukrainischen Truppen wieder aufgestockt werden, um den angreifenden Russen die Stirn zu bieten. Die Gewährsperson aus der US-Regierung, die anonym bleiben wollte, sagte, die Ukraine gehe davon aus, dass sie etwa 160.000 zusätzliche Soldaten brauche. Die US-Regierung glaube aber, dass diese Zahl höher liegen müsse.
"Es gibt keine einfachen Antworten auf den ernsten Personal-Mangel der Ukraine, aber das Wehrpflichtalter zu senken würde helfen", sagte der Experte Bradley Bowman vom Center on Military and Political Power von der Foundation for the Defense of Democracies. "Das sind offensichtlich schwierige Entscheidungen für eine Regierung und Gesellschaft, die schon so viel wegen Russlands Invasion erlitten hat."
Französische Brigade schließt Training ab
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach im Sommer davon, 14 Brigaden ausrüsten zu wollen, also möglicherweise mehr als 60.000 Kämpfer. Er beklagte jedoch den Mangel an militärischer Ausrüstung aus dem Westen.
Frankreich teilte vor knapp zwei Wochen mit, die erste Brigade ukrainischer Kämpfer fertig ausgebildet zu haben. Sie trägt den Namen "Anne von Kiew". Rund 2000 Soldaten wurden nach Angaben aus Paris in Frankreich trainiert. Insgesamt umfasst die Brigade laut "Ouest-France" 4500 Soldaten und ist mit schwerem französischem Kriegsgerät wie 128 VAB-Schützenpanzern, 18 Caesar-Artilleriegeschützen und mehr als 18 AMX-Spähpanzern ausgestattet.
Viele Kämpfer an der Front sind derzeit über 40 Jahre alt - auch auf russischer Seite. Das Wehrpflichtalter in der Ukraine wurde bereits von 27 auf 25 herabgesetzt. Kiew hat seit längerer Zeit Probleme bei der Rekrutierung von neuen Kämpfern.
Ukraine fehlt Infanterie
Ende September berichtete die "Financial Times", dass Mobilisierungskampagnen seit Sommer mit 30.000 Rekruten pro Monat gut verlaufen seien. Es soll auf ukrainischer Seite jedoch Sorgen wegen der teilweise mangelnden Ausbildung und Motivation geben, hieß es. Eigentlich müssen die Kämpfer mehrere Monate lang gründlich ausgebildet werden.
Zuletzt hatte es immer wieder Berichte gegeben, wonach Männer gegen ihren Willen eingezogen worden sind. Viele andere waren bereits nach Beginn der Invasion ins Ausland geflüchtet, um nicht kämpfen zu müssen. In der Ukraine ist dies ein sehr kontroverses Thema. Eigentlich ist ukrainischen Männern im wehrpflichtigen Alter das Verlassen des Landes verboten.
Die Ukraine steht an der Front derzeit stark unter Druck, da die russische Seite ihre Angriffe noch weiter verstärkt hat. Es häufen sich Berichte von Soldaten, die über fehlende Infanterie klagen, um das Vorrücken der Kreml-Truppen beispielsweise im Donbas zu unterbinden. Auch die ukrainischen Verbündeten in Europa haben die Sorge geäußert, dass es Kiew weniger an Waffen als vielmehr an Soldaten fehle. Inklusive Nationalgarde und anderer Einheiten sind derzeit mehr als eine Million Ukrainer im Militärdienst.