3 months ago

Jubel-Auftritt bei Junger Union: Merz schießt einen Ampel-Elfmeter nach dem anderen



Für die Junge Union ist Friedrich Merz schon so gut wie Bundeskanzler - das wird auf dem Deutschlandtag, ihrem jährlichen Bundestreffen, deutlich. In Halle an der Saale hält der CDU-Chef und Kanzlerkandidat eine Rede und wird gefeiert wie ein Popstar.

Wenn man eine Sache eher nicht mit CDU-Chef Friedrich Merz verbindet, dann sind es Techno-Beats. Doch die wummern schon minutenlang auf dem Deutschlandtag der Jungen Union in Halle an der Saale, bevor der Kanzlerkandidat der Unionsparteien die schmucklose Messehalle betritt. Rhythmisches Klatschen bricht sich in Jubel Bahn, als er am Hintereingang der Halle erspäht wird. Handys werden gezückt, das Klatschen schwillt auf Popstar-Niveau an. Gefolgt von einer langen Entourage schreitet Merz durch ein Spalier zur Bühne. Ja, tatsächlich, der 68-jährige Sauerländer, der vermeintliche Mann von gestern, löst Begeisterungsstürme bei der Parteijugend aus.

Als er oben angekommen ist, steht "Kanzler" in weißer Schrift auf schwarz-rot-goldenem Grund auf der riesigen Leinwand hinter der Bühne. "Hey Hey Hey" skandieren manche, als JU-Chef Johannes Winkel versucht, den Stargast zu begrüßen. Es ist so, wie der es im Interview mit ntv.de gesagt hatte: "Vom Deutschlandtag wird das Signal ausgehen, dass wir als Junge Union und junge Generation hinter Friedrich Merz als Kanzlerkandidat stehen."

Irgendwann kann der Bejubelte dann aber doch mit seiner Rede beginnen. Merz trägt kariertes Hemd ohne Krawatte, ist braun gebrannt und wirkt entspannt. Auch sein Ton ist eher sachlich, jedenfalls nicht so verbissen oder von oben herab wie das in früheren Reden der Fall war. Schnell ist er in seinem Element als Oppositionsführer und greift die Ampel an. "Was ist das eigentlich für ein Erscheinungsbild?", fragt er. Bundeskanzler Olaf Scholz habe zu einem Industriegipfel geladen, Finanzminister Christian Lindner halte seinen eigenen Wirtschaftsgipfel ab, während Wirtschaftsminister Robert Habeck gerade Pläne für ein neues milliardenschweres Förderprogramm vorgestellt habe. "Wir haben eine solche Bundesregierung nicht verdient", sagt Merz.

Kein Streit, dafür Verlässlichkeit

Natürlich würde er es als Bundeskanzler anders machen. "Wir brauchen eine Regierung, die aufhört zu streiten und endlich wieder vernünftig miteinander zusammenarbeitet", sagt er. Nach einer Diskussion müsse man gemeinsam eine Position vertreten, ohne dass jemand von der Seite "nölt und meckert".

Sein zweiter Punkt: Verlässlichkeit. "Wir brauchen wieder eine Regierung, auf die man sich zumindest eine Wahlperiode, besser zwei, verlassen kann", fordert er. "Verlässlichkeit in dem, was wir tun, wird wesentlich dafür sein, dass wir Erfolg haben." Bei der Ampel könne man sich dagegen nur darauf verlassen, dass man sich nicht auf sie verlassen könne.

JU-Chef Winkel sagte ntv.de auch, der Deutschlandtag solle der Auftakt in das Wahlkampfjahr sein. Elf Monate sind es noch bis zur Bundestagswahl am 28. September. Und so fühlt sich dieser Nachmittag in Halle auch an. Angriffe wegen Streit und Verlässlichkeit gleichen Bällen auf dem Elfmeterpunkt, die die Ampel dem Oppositionsführer selbst dort hingelegt hat. Eine Regierung, die eine so große Angriffsfläche bietet, macht sich das Leben selbst schwer.

Es könnte der Eindruck entstehen, dass Merz den Gegner gar nicht mehr niederringen müsste. Als ob er nur noch über die Trümmer hinwegsteigen und ins Kanzleramt marschieren müsste. Doch solche Eindrücke können trügen und vermeintliche Kleinigkeiten verheerende Wirkung haben - siehe Armin Laschet im Wahlkampf 2021 und sein Lachen im Flutgebiet.

Kein Wort zu Wagenknecht

Genau davor warnte CDU-Fraktionsvize Jens Spahn die Delegierten bei seinem Auftritt am Vormittag. Geschlossenheit sei jetzt besonders wichtig, "das Entscheidende ist, dass wir jetzt zusammenstehen", sagte Spahn und warnte: "Das werden harte elf Monate. Wir werden auch mal straucheln."

Gefahren gibt es einige. Zum Beispiel könnte Sahra Wagenknecht Merz noch ein Bein stellen. Die Frage, ob die CDU in Sachsen und Thüringen mit ihrem BSW koalieren sollte, hat Spaltungspotenzial. Ebenso die Frage, wie weit man der neuen Partei entgegenkommen kann. Es läuft eine Unterschriftenaktion für einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegen das BSW. Auch das Thema Migration könnte die CDU noch einholen. Merz hat es selbst oft gesagt: Wenn die Parteien der Mitte die Zuwanderung nicht beschränken, schadet das ihnen allen und hilft der AfD.

Zu Wagenknecht äußert sich Merz interessanterweise gar nicht, zur Migration überraschend wenig. Zurückweisungen an den Grenzen müssten sein, fordert er. Besonders großen Applaus bekommt er, als er eine Koalition mit der AfD auf Landes-, Bundes- und Europa-Ebene ausschließt. "Wir werden die Mehrheit rechts der Mitte nicht in Anspruch nehmen", verspricht der CDU-Chef. Ausländerfeindliche Sprüche werde es von der Union nicht geben. Es gelte das Wort von Ex-Bundespräsident Joachim Gauck: "Unser Herz ist weit, aber die Möglichkeiten begrenzt."

Der Kanzlerkandidat konzentriert sich in seiner Rede auf Wirtschaft und Arbeit und sagt das, was er immer sagt: Deutschland müsse Industrieland bleiben, Leistung sich wieder lohnen und "das Monster Bürokratie" zurückgedrängt werden. Arbeits- und Wirtschaftsministerium sollen unter seiner Regierung zusammengelegt werden. Das Bürgergeld "vom Kopf auf die Füße gestellt werden". Sozialleistungen sollten nur die bekommen, "die sie wirklich brauchen" - was er nicht konkret ausführt. Nach dem Rentenalter - das bei 67 bleiben solle - müsse es möglich sein, weiterzuarbeiten. Kleiner Dissens mit der Jugend: Die JU will das Rentenalter erhöhen.

"Putin hat mehr Grund Angst zu haben als wir"

Das kommt alles gut an bei den zum Jubeln aufgelegten Delegierten. Seine Ankündigung eines Einstellungstopps im öffentlichen Dienst, sollte er die Regierung führen, löst allerdings eine Nachfrage aus. Ob das auch für die Justiz gelte, fragt ein junger Mann. Das fände er dann nicht so gut. Merz präzisiert, er habe die Leitungsebenen der Bundesministerien gemeint. Die habe die Ampelkoalition aufgebläht, das müsse aufhören. In den Ländern könne der Bund ohnehin nicht eingreifen.

An seiner Unterstützung für die Ukraine lässt Merz derweil keinen Zweifel - auch wenn er sich während der Landtagswahlkämpfe in Sachsen, Thüringen und Brandenburg in dieser Frage sehr zurückgehalten hat. Jetzt zeigt er sich überaus selbstbewusst: Der russische Präsident Wladimir Putin habe mehr Grund Angst zu haben als "wir". Soldaten aus Nordkorea zu brauchen, sei kein Zeichen der Stärke. Er fordert mehr Entschlossenheit gegen Russland. "Zögerlichkeit wird doch nicht als Besonnenheit interpretiert, sondern als Feigheit und Angst." Gemeint ist Bundeskanzler Scholz, der stets betont, "besonnen" vorzugehen.

Am Ende wummern erneut die Technobeats, die Delegierten jubeln wieder. Mitnehmen kann Merz die Erkenntnis: Die Rückendeckung der eigenen Parteijugend hat er sicher. Doch für die gesamte junge Generation gilt das nicht. Bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg holte keine Partei mehr Stimmen bei den Jungwählern als die AfD.

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