Russland und der Westen machen einen beispiellosen Gefangenen-Deal. Es wirkt wie ein Agentenkrimi: Ein verurteilter Mörder und Spione kommen im Austausch für politische Gefangene frei.
Russland und mehrere westliche Länder haben bei einem großangelegten Gefangenenaustausch 26 Männer und Frauen freigelassen. Im Gegenzug für eine Überstellung des sogenannten Tiergartenmörders aus Deutschland und weiterer neun in den USA, Norwegen, Polen und Slowenien bisher festgehaltener Personen kamen 16 westliche Staatsbürger und russische Oppositionelle frei, wie der türkische Geheimdienst MIT mitteilte.
Unter den von Russland und dem verbündeten Belarus Freigelassenen sind fünf Deutsche, drei US-Bürger, eine Person mit US-Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis (Green Card) und sieben Russen, hieß es in einer Mitteilung aus dem Weißen Haus in Washington. Der Austausch fand laut MIT am Flughafen der türkischen Hauptstadt Ankara statt. Unter den freigelassenen Russen waren laut MIT prominente Kremlgegner wie Wladimir Kara-Mursa und Ilja Jaschin.
Deutscher Rico K. Teil des Deals
Bei einem der Deutschen handelt sich um Rico K., der in Belarus zuerst wegen angeblicher Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag zum Tode verurteilt und dann begnadigt wurde. Russland übergab den USA unter anderem den wegen Spionage verurteilten Korrespondenten des "Wall Street Journal", Evan Gershkovich und den ehemaligen Soldaten Paul Whelan.
"Die Freilassung war nur möglich, indem russische Staatsangehörige mit geheimdienstlichem Hintergrund, die in Europa in Haft saßen, abgeschoben und nach Russland überstellt wurden", teilte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, mit.
Geheimdienst spricht von historischer Operation
Die Betroffenen waren den MIT-Angaben zufolge zuvor aus den verschiedenen Ländern nach Ankara geflogen worden. Alle seien zunächst an sichere Orte gebracht und medizinisch untersucht worden, Dokumente seien unterzeichnet worden. Schließlich wurden demnach zehn ausgetauschte Gefangene nach Russland, 13 nach Deutschland und drei in die USA ausgeflogen, hieß es weiter. Der Geheimdienst sprach von einem historischen Gefangenenaustausch und dem umfangreichsten zwischen Russland, den USA und Deutschland in der jüngsten Vergangenheit.
Unter den vier in Russland inhaftierten Deutschen, die im Zuge des Austauschs frei kamen, ist Patrick S., der in St. Petersburg wegen des Besitzes von Cannabis-Gummibärchen vor Gericht gestanden hatte. Außerdem handelt es sich um den 19-jährigen Kevin L. und den Politologen Dieter W., die beide wegen Landesverrats verurteilt worden waren, und den wegen Landesverrats angeklagten Aktivisten German M.
Informationen über Austausch hatten sich immer mehr verdichtet
Seit Tagen hatten sich Spekulation über einen großen Gefangenenaustausch gemehrt. So hatte es Berichte über die Verlegung zahlreicher politischer Gefangener in Russland an unbekannte Orte gegeben, darunter auch die früheren Leiterinnen der Regionalstäbe des in Haft gestorbenen Kremlgegners Alexej Nawalny. Seit Mittwochabend verdichteten sich die Informationen über einen großen internationalen Deal schließlich immer mehr.
Kremlchef Wladimir Putin, der in der Kritik steht, politische Gefangene als Geiseln zu nutzen, um Russen aus westlichen Gefängnissen freizupressen, hatte zuletzt wiederholt die Bereitschaft zu einem Austausch erklärt. Putin hatte besonders großes Interesse am in Deutschland inhaftierten "Tiergartenmörder".
Verschiedene Ereignisse deuteten zuletzt auf Bewegung in der Sache hin: Gershkovich wurde erst vor knapp zwei Wochen nach langer Untersuchungshaft in Russland in einem kurzen Prozess wegen angeblicher Spionage zu 16 Jahren Haft verurteilt. Am selben Tag verurteilte ein russisches Gericht die US-amerikanische Journalistin Alsu Kurmasheva, die nach US-Angaben ebenfalls freikam, zu sechseinhalb Jahren Strafkolonie wegen angeblicher Falschmeldungen über die Armee.
Beobachter in Moskau deuteten die schnelle Verurteilung Gershkovichs als möglichen Hinweis darauf, dass es bald eine Einigung über einen Gefangenenaustausch geben könnte. In der Regel muss nach russischer Justizpraxis ein Urteil vorliegen, damit es zu einem Austausch kommt.
Todesurteil gegen Deutschen gerade erst aufgehoben
Ebenfalls am Tag der Verurteilung der beiden US-Journalisten wurde öffentlich, dass in Russlands verbündetem Nachbarland Belarus der Deutsche Rico K. zum Tode verurteilt wurde. Vor wenigen Tagen hob Machthaber Alexander Lukaschenko das Urteil auf, nachdem der Deutsche im belarussischen Staatsfernsehen in einem Video vorgeführt worden war, in dem er sich schuldig bekannte und um Gnade bat. Auch hier hatte es Spekulationen gegeben, dass hinter den Kulissen möglicherweise ein Austausch gegen den "Tiergartenmörder" Wadim K. ausgehandelt werden könnte.
"Tiergartenmörder" saß zuletzt in Offenburg ein
K. hatte 2019 in der Berliner Parkanlage Kleiner Tiergarten einen Georgier ermordet. Das Berliner Kammergericht hatte ihn 2021 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Sein Opfer stand laut Urteil seit langem im Visier der Russischen Föderation, weil es während des zweiten Tschetschenien-Krieges mehrere Jahre lang eine Miliz im Kampf gegen Russland angeführt hat. Russische Behörden hatten ihn als tschetschenischen Terroristen eingestuft.
Immer wieder war spekuliert worden, dass Putin K. ihn im Zuge eines Gefangenenaustauschs freibekommen will. Zuletzt hatte er dies in einem Interview mit dem US-Talkmaster Tucker Carlson quasi bestätigt. Wadim K., der aus Sicherheitsgründen mehrfach von einer Haftanstalt zur nächsten verlegt worden war, saß nach dpa-Informationen zuletzt im baden-württembergischen Offenburg ein.
Die Entscheidung zur Freilassung von Wadim K. hat nicht der in solchen Fällen zuständige Generalbundesanwalt Jens Rommel getroffen, sondern das Bundesjustizministerium. Eine Sprecherin des Ministeriums teilte auf Anfrage mit, der Generalbundesanwalt sei zwar grundsätzlich zuständig für die Aussetzung der Strafvollstreckung. Das Bundesministerium der Justiz habe den Generalbundesanwalt im Fall von Wadim K. am vergangenen Montag jedoch schriftlich angewiesen, diese Vollstreckung auszusetzen, um dadurch den Gefangenenaustausch zu ermöglichen.