3 months ago

"Ich schäme mich": Abgeordnete liefern sich heftige Prügelei im türkischen Parlament



Blut auf dem Boden, Verletzungen im Gesicht. Über eine halbe Stunde lang lassen Politiker im türkischen Parlament die Fäuste sprechen. Grund für die Schlägerei ist Kritik an der Regierung im Umgang mit einem Oppositionellen. Handgreiflichkeiten zwischen Parlamentariern sind im Plenum in Ankara keine Seltenheit.

Bei einer Schlägerei im türkischen Parlament in Ankara sind mindestens zwei Abgeordnete verletzt worden. Auslöser des Streits war türkischen Medienberichten zufolge der Umgang mit dem inhaftierten Oppositionsabgeordneten Can Atalay, dem das Mandat entzogen worden war. Demnach versetzte Alpay Özalan, ein Abgeordneter der islamisch-nationalistischen Regierungspartei AKP, einem Abgeordneten der oppositionellen Arbeiterpartei TIP, Ahmet Sik, einen Faustschlag, nachdem dieser die Regierung für die Inhaftierung Atalays kritisiert hatte.

Er sei nicht überrascht, dass Atalay als "Terrorist" bezeichnet werde, sagte Sik demnach. Die größten "Terroristen" des Landes seien jedoch jene, "die hier auf diesen Bänken sitzen", fügte er in Anspielung auf die Regierungsmehrheit hinzu. Der ehemalige Fußballspieler des 1. FC Köln, Özalan, ging daraufhin zu Sik und stieß ihn zu Boden, wie ein im Parlament anwesender AFP-Reporter berichtete.

Weitere Parlamentarier griffen daraufhin ein und es kam zu einer halbstündigen Schlägerei zwischen Dutzenden Parlamentsmitgliedern. Mindestens zwei Oppositionsabgeordnete wurden durch Schläge auf Augenhöhe leicht verletzt. Auf in den Medien verbreiteten Bildern waren Blutstropfen auf dem Boden zu sehen. Die Parlamentssitzung wurde unterbrochen.

Der Arbeiterpartei-Abgeordnete Ahmet Sik (l.) geht nach einem Faustschlag vom ehemaligen 1. FC Köln-Fußballer Alay Ozalan (r.) zu Boden. Der Arbeiterpartei-Abgeordnete Ahmet Sik (l.) geht nach einem Faustschlag vom ehemaligen 1. FC Köln-Fußballer Alay Ozalan (r.) zu Boden.

Der Arbeiterpartei-Abgeordnete Ahmet Sik (l.) geht nach einem Faustschlag vom ehemaligen 1. FC Köln-Fußballer Alay Ozalan (r.) zu Boden.

(Foto: picture alliance / abaca)

Im April 2022 war Atalay wegen des Vorwurfs der "Beihilfe zum Umsturzversuch" zu 18 Jahren Haft verurteilt worden. Der Anwalt hatte Teilnehmer der regierungskritischen Gezi-Proteste von 2013 verteidigt. Er hatte aus dem Gefängnis kandidiert und ein Mandat für die linksgerichtete Arbeiterpartei TIP errungen. Im Januar wurde ihm das Mandat entzogen.

Atalay steht seit Monaten im Zentrum eines Rechtsstreits zwischen zwei der höchsten türkischen Gericht. Eine zweifache Entscheidung des Verfassungsgericht, den 47-Jährigen freizulassen, wurde vom obersten Berufungsgericht, dem Kassationsgerichtshof, angefochten.

"Ich schäme mich"

Das Verfassungsgericht hatte im Oktober unter Berufung auf Atalays Immunität als Abgeordneter die Freilassung des 47-Jährigen verfügt. Der Kassationsgerichtshof, der zuvor noch Atalays 18-jährige Haftstrafe bestätigt hatte, weigerte sich aber, die Entscheidung umzusetzen. Stattdessen stellte der Kassationsgerichtshof Strafanzeige gegen die an der Entscheidung zu Atalay beteiligten Verfassungsrichter.

Der islamisch-konservative Präsident Recep Tayyip Erdogan stellte sich auf die Seite des Kassationsgerichtshofs und wirft dem Verfassungsgericht vor, "Fehler" begangen zu haben. Özgür Özel, Vorsitzender der größten Oppositionspartei CHP, verurteilte die Schlägerei im Parlament. "Ich schäme mich, Zeuge dieser Situation gewesen zu sein", erklärte er.

Türkische Politiker lassen Fäuste sprechen

Mehrfach kam es in der Vergangenheit im türkischen Parlament bei besonders heiklen Debatten zu Handgreiflichkeiten. Etwa im Jahr 2020, als angespannte Diskussionen über das militärische Engagement der Türkei in Syrien wegen Kritik am türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan in einer Schlägerei mündeten. Eine dieser körperlichen Auseinandersetzungen während einer hitzigen Haushaltsdebatte ist Anfang Dezember 2022 derart eskaliert, dass Oppositionspolitiker Hüseyn Ors ins Krankenhaus eingeliefert und auf die Intensivstation gebracht wurde.

Bei der Abstimmung über weitere Artikel der geplanten Verfassungsreform sind im Januar 2017 Abgeordnete der Regierungspartei und Opposition mit Fäusten aufeinander losgegangen. Und im Dezember 2013 hatte der Begriff "Kurdistan" im Plenum in Ankara eine Schlägerei zwischen Abgeordneten ausgelöst. Mitglieder der Kurdenpartei BDP und der nationalistischen Partei MHP seien aneinander geraten, wie türkische Medien berichten. Sitzungspräsident Sadik Yakut habe demnach die Sitzung unterbrechen müssen, um die Gemüter zu beruhigen.

Anlass für die Spannungen war damals ein Bericht der BDP zum Haushaltsentwurf der Regierung, in dem der Begriff "Kurdistan" zur Beschreibung der kurdischen Siedlungsgebiete in Ost- und Südostanatolien auftauchte. Die anderen Parteien im Parlament - die MHP, die Regierungspartei AKP und die säkularistische CHP - wandten sich gegen die Benutzung des Wortes.

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