Union und SPD sind sich einig: Vertrauensfrage im Dezember, Neuwahlen im Februar. Alles paletti. Oder doch nicht? Kleine Parteien stellt die Neuwahl vor große Probleme. Denn sie müssen Listen aufstellen und Unterschriften sammeln. In kürzester Zeit. Einige dürften es nicht schaffen.
"Übereilte Neuwahlen würden uns Kleinparteien erheblich benachteiligen", heißt es in einem offenen Brief an Kanzler, Innenministerin und Bundestagsabgeordnete. Von einer "unzumutbaren Hürde" ist die Rede, von einem "bürokratischen Kraftakt" und der Forderung nach "demokratischer Fairness".
Acht Kleinparteien haben den offenen Brief unterschrieben. Insgesamt gibt es Dutzende von ihnen in Deutschland. Ihre Namen kennen nur Menschen, die sich mit Politik beschäftigen oder ihren Wahlzettel gründlich studieren: Sie heißen Partei der Humanisten oder Piratenpartei, Volt oder ÖDP, Tierschutzpartei, Gartenpartei oder Partei für Verjüngungsforschung. In deutschen Parlamenten sind sie kaum zu finden. Manche von ihnen haben es ins Europaparlament geschafft, weil es dort keine Fünf-Prozent-Hürde gibt.
Seit klar ist, dass es vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar geben wird, herrscht bei diesen Parteien Alarmstimmung. Denn für manche ist unklar, ob sie es auf die Wahlzettel schaffen. "Die für Kleinparteien üblichen Probleme mit der Zulassung und vor allem mit dem Sammeln von Unterstützungsunterschriften sind in dieser komprimierten Form fast nicht zu schaffen", sagte etwa Piraten-Chef Borys Sobieski dem "Münchner Merkur". Sein Vize Dennis Klüver glaubt, dass der Stimmzettel diesmal um einiges kürzer ausfallen könnte. Er schätzt, dass rund die Hälfte der bei der Wahl 2021 zugelassenen Parteien nicht antreten könnte.
"Die Hürden bei Neuwahlen benachteiligen gerade kleinere Parteien in gravierender Weise", heißt es von der ÖDP. Die Rede ist von einer "klaren Verzerrung der demokratischen Grundprinzipien". Maral Koohestanian, die für Volt im Wiesbadener Stadtrat sitzt, spricht gegenüber der "taz" gar von einer "Katastrophe für die Demokratie", weil Stimmen durch einen Nichtantritt der anderen kleinen Parteien verloren gehen könnten. Laut der Zeitung hat die Tierschutzallianz bereits angekündigt, "mit hoher Wahrscheinlichkeit" nicht an der Wahl teilnehmen zu können.
Unterschriften gelten nur auf Papier
Um auf die Wahlzettel zu kommen, müssen alle Parteien Landeslisten oder Kreiswahlvorschläge einreichen, gegebenenfalls auch Direktkandidaten aufstellen und diese dem Bundeswahlleiter fristgerecht mitteilen. Dazu sind Kandidatinnen und Kandidaten, aber auch passende Räumlichkeiten und formgerechte Verfahren nötig. Das alles muss anders als bei großen Parteien von Ehrenamtlichen vorbereitet werden. Immerhin: Das Bundesinnenministerium will den Kleinparteien hier entgegenkommen und mehr Zeit für die Aufstellung der Listen einräumen. Eine entsprechende Verordnung wird bereits vorbereitet - sie kann aber erst erlassen werden, wenn der Bundespräsident den Wahltermin verkündet hat.
Zum existenziellen Problem wird dagegen das Sammeln der Unterschriften: Parteien, die nicht im Bundestag oder mit mindestens fünf Abgeordneten in Landesparlamenten vertreten sind, müssen pro Landesliste bis zu 2000 Unterstützerinnen und Unterstützer finden. Für alle Bundesländer sind das 27.328 Unterschriften. Jeder Bürger darf sich dabei nur für eine Partei einsetzen. Zudem gibt es kein digitales Verfahren - alles erfolgt auf Papier.
Statt mehrerer Monate gibt es dafür diesmal nur wenige Wochen. Die kalte Jahreszeit und das nahende Weihnachten machen das ungleich schwieriger. "Nur wenn sich Mitglieder unbezahlten Urlaub nehmen und ihre gesamte Zeit ins Unterschriftensammeln stecken, werden wir einigermaßen flächendeckend antreten können", zitiert der "Focus" eine Mitteilung der Tierschutzpartei. Ein ordentlicher Wahlkampf werde kaum möglich sein.
Nicht zuletzt müssen die Unterschriftenlisten von Ämtern händisch überprüft werden - das dauert mehrere Wochen. Dem Bundesinnenministerium sind in dieser Frage die Hände gebunden: Anders als 2021, als die nötige Zahl an Unterstützern wegen der Corona-Pandemie einmalig gesenkt wurde, gibt es diesmal keine Erleichterung.
Parteien bereiten Klagen vor
Im offenen Brief der Kleinparteien wird das rein analoge Unterschriftenverfahren denn auch massiv kritisiert und eine Reform gefordert. Die Partei der Humanisten und die ÖDP prüfen bereits juristische Mittel, gegen die bestehenden Regelungen und für eine Senkung der Zahl der erforderlichen Unterschriften. Die Partei Die Basis wiederum erwartet laut "Spiegel" eine Klagewelle nach der Wahl, wenn diese chaotisch ablaufen sollte.
Bleibt das finanzielle Problem, denn Wahlkampf kostet immer mehr Geld. Während Spendenaktionen normalerweise mehrere Monate dauern, bleibt diesmal viel weniger Zeit. Selbst das BSW, das gute Chancen hat, in den Bundestag einzuziehen, spricht von einer Herausforderung. "Wir werden jetzt sehr stark werben müssen, dass wir Spenden bekommen", sagte Namensgeberin Sahra Wagenknecht. Es seien "relativ hohe Beträge" notwendig, dass "wir in diesem Wahlkampf gut bestehen können". Die junge Partei will zudem kurzfristig noch fehlende Landesverbände gründen.
Weniger Geld bedeutet weniger Wahlwerbung - das kann sich negativ auf das Ergebnis auswirken und damit auf die finanzielle Situation vor allem der kleinen Parteien. Denn um am System der staatlichen Teilfinanzierung teilnehmen zu können, müssen Parteien bei der letzten Bundestags- oder Europawahl mindestens 0,5 Prozent der gültigen Stimmen geholt haben. Kurzfristig angesetzte Neuwahlen können Parteien damit in die finanzielle Bredouille bringen - das wäre ein grundsätzliches demokratisches Problem. "Der Bundestag soll das demokratische Spektrum abbilden und nicht zu einer Zwei-Parteienauswahl verkommen oder nur noch zugänglich sein für gut vernetzte Politiker*innen", sagte Volt-Politikerin Koohestanian.