Nach den Landtagswahlen in Brandenburg reden die Gäste bei "Hart aber fair" über die Befindlichkeiten der Bürger in dem Bundesland. Ein Politiker kündigt daraufhin seinen Besuch in der Provinz an. Und zwei weitere würden mitkommen. Zusammen mit einem TV-Team.
Als die Fleischereifachverkäuferin Doreen Lorsch kommt, wird es interessant. Das dauert etwa 20 Minuten. Vorher zeigt Moderator Louis Klamroth einen kurzen Film, den er in der kleinen Stadt gedreht hat, in der Doreen Lorsch lebt: Dahme/Mark. Es ist nicht viel los dort. Dahme ist eine typische ostdeutsche Provinzstadt. Sie liegt im Landkreis Teltow-Fläming, Cottbus ist nicht weit entfernt. Der Fluss Dahme fließt durch die Kleinstadt, bis nach Berlin-Köpenick. Dort mündet er in die Spree. Die Hauptstadt ist nicht weit. Gut anderthalb Stunden fährt man mit dem Auto. Doch dass da irgendwo die Hauptstadt ist, kann man in Dahme nicht erkennen. Die Stadt wirkt ein wenig trist, die Straßen sind menschenleer. Sie haben Angst in Dahme, Angst um ihre Zukunft. "Es muss sich was ändern", sagt Doreen Lorsch. "Man fühlt sich irgendwie vergessen."
Die Menschen in Dahme wollen sich Luft machen. Darum demonstrieren sie. Doch niemand scheint sich für sie und ihre Probleme zu interessieren. Da sind die Rentner, die so wenig Geld bekommen, dass sie Müllcontainer nach Pfandflaschen durchsuchen. Containern nennt man das. Sie haben Angst, auf der Strecke zu bleiben. Daran seien die Ausländer schuld. Nicht alle, aber die, die nicht arbeiten. Doreen Lorsch sagt, die Probleme der Menschen seien von den Politikern zu wenig aufgegriffen worden. "Das hat die Menschen wütend gemacht." Sie erzählt von einem Dorf in der Nähe von Dahme. "Wir hatten dort einen Fleischer, einen Bäcker, einen Konsum, eine Bank, einen Blumenladen. Das hat alles zugemacht. Und man fühlt sich alleingelassen." Wirklich schlecht gehe es den Menschen in ihrer Umgebung nicht. "Aber man hat Angst, wo die Reise hingeht und dass man uns irgendwann vielleicht vergisst", sagt Doreen Lorsch.
Woidke auf der Suche
Am Sonntag wurde in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Die SPD hat knapp gewonnen, die AfD wurde die Nummer zwei. Doch mitregieren wird sie nicht, ähnlich wie in Thüringen und Sachsen. Ministerpräsident Dietmar Woidke braucht zum Regieren einen oder mehrere Koalitionspartner. Er könnte versuchen, eine Minderheitsregierung mit der CDU zu bilden. Das haben die Christdemokraten abgelehnt. Nun hat er nur noch einen möglichen Koalitionspartner: das BSW. Doch das stellt Bedingungen. BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht ist einer der Gäste bei "Hart aber fair". Sie fordert, eine Landesregierung müsse auf die Bundesregierung einwirken, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Außerdem soll die Landesregierung sich gegen die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen aussprechen.
Darüber kommt es gegen Ende der Sendung zu einem kleinen Wortgefecht zwischen Wagenknecht, dem SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und dem CDU-Politiker Philipp Amthor. Für die Außenpolitik sei der Bund zuständig, erklärt Amthor. Aber es gebe einen auswärtigen Ausschuss im Bundesrat, und dessen Aufgaben seien im Grundgesetz festgelegt, entgegnet Wagenknecht. Seien sie nicht, sagt Amthor. Dort sei festgelegt, dass der Bund für die Außenpolitik verantwortlich sei.
Da hat der Jurist allerdings offenbar in seinem Studium gepennt. Artikel 32 ist der, der in der Verfassung die Außenpolitik regelt. Da steht zwar zunächst, sie sei die Aufgabe des Bundes. Doch der Artikel geht dann noch weiter: "Vor dem Abschluss eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, ist das Land rechtzeitig zu hören", heißt es da. Außerdem erlaubt der Grundgesetzartikel, dass Bundesländer mit ausländischen Staaten unter bestimmten Umständen sogar Verträge abschließen dürfen, mit Zustimmung der Bundesregierung allerdings. Und: Der "Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten" des Bundesrates hat ähnliche Aufgaben wie das Auswärtige Amt, befasst sich also mit der "Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten", wie das auf Fachchinesisch heißt. Den Waffenverkauf an die Ukraine können die Bundesländer jedoch nicht untersagen. Sie können höchstens entsprechende Appelle an die Bundesregierung richten.
Die Koalitionsverhandlungen in Brandenburg werden sich jedenfalls schwierig gestalten. Denn Wagenknecht stellt noch eine Forderung. Da wird sie bei Doreen Lorsch auf offene Ohren stoßen: "Wir haben einen Auftrag der Wähler", sagt Wagenknecht. "Aber der Auftrag ist nicht, ein "Weiter so" zu gestalten. Dafür haben uns die Leute nicht gewählt. Sie haben uns gewählt für Veränderungen. Und das wird jetzt in den Gesprächen das Entscheidende sein: Ist Dietmar Woidke bereit, in der Friedensfrage, aber auch bei den Themen innere Sicherheit, Bildung, andere Fragen wie Corona-Aufarbeitung seine Politik zu verändern und eine Politik zu machen, wo die Menschen sich aufgehoben fühlen? Das gilt natürlich auch für Thüringen und Sachsen."
Rassismus überall
Natürlich werden bei "Hart aber fair" vor allem die Wahlen in Brandenburg analysiert, besonders das gute Abschneiden der AfD. Und da hat Katharina Warda eine ganz klare Ansicht. Die schwarze Frau wurde in Wernigerode geboren, hat als Kind wegen ihrer Hautfarbe Ausgrenzung erlebt. Das hat sich bis heute nicht geändert, erzählt sie. Sie sei auf der Straße beleidigt und angespuckt worden. Allerdings in letzter Zeit nicht mehr. Die AfD, aber auch das BSW, seien so erfolgreich, weil sie neue Parteien seien. "Beide Parteien bedienen rassistische und rechte Narrative." In Ostdeutschland habe so etwas eine gewisse Kontinuität: Stimmungsmache mit stark rassistischen Narrativen habe es dort schon in den 1990er Jahren gegeben. Im Wahlkampf in Ostdeutschland hat Warda immer wieder rassistische Narrative wahrgenommen, die von Politikern geäußert worden seien. So sei behauptet worden, wenn die Ausländer nicht mehr da wären, würden die Renten steigen. "Das löst sich nicht ein, das ist totaler Quatsch. Aber dieses Narrativ gibt es ganz stark, und je weiter man es bespielt, umso mehr Leute holt man auch ab."
Dass jemand ihre Partei rassistisch nennt, will Wagenknecht nicht auf sich sitzen lassen. "Ich habe Respekt gegenüber vielem, was Sie geschrieben haben, aber was Sie jetzt vom Stapel lassen! Wir sind bei der Europawahl überdurchschnittlich von Migrantinnen und Migranten gewählt worden", schimpft sie. "Dass wir jetzt plötzlich eine Begeisterung für Rassisten entfalten, ist doch erstaunlich. Diese Art der Debatte hat in den letzten Jahren immer die AfD stärker gemacht."
Kühnert findet: Die Politik handelt
Kevin Kühnert mag nicht alles so schwarz sehen. Der SPD-Generalsekretär nimmt das Problem der AfD-Wähler unter die Lupe, spricht von der Krisenhaftigkeit, die gerade junge Menschen in den vergangenen Jahren erlebt hätten: die hohe Inflation, die Corona-Krise, Eltern, die kein Vermögen anhäufen können. Die Politik habe viele Fehler gemacht, über die man reden müsse, sagt er. Aber: "Es ist einfach keine Politik, zwanzig Sachen, die in den letzten dreißig Jahren doof gelaufen sind, aufzuzählen und zu sagen, das ist die Gesamtscheiße in unserm Land und den Leuten stinkt es am Ende." Natürlich handele die Politik, sie habe dafür gesorgt, dass der Mindestlohn gestiegen und der Niedriglohnbereich kleiner geworden sei, dass die Renten in Ost und West angepasst worden seien. "Die Politik hat da etwas gemacht."
Offenbar nicht genug, denn Doreen Lorsch und die Menschen in Dahme sind trotzdem unzufrieden. Viele andere auch. Und irgendwann im Laufe der Sendung kommt Philipp Amthor aus sich heraus. Er werde mit seinem Bundestagskollegen aus der Region reden, jemanden organisieren, der mit den Menschen sprechen wolle. Und wenn er niemanden fände, dann würde er eben selber kommen. Kevin Kühnert zögert, nimmt aber schließlich die Einladung etwas brummig an. Und Sahra Wagenknecht irgendwie auch. Schließlich verspricht auch Louis Klamroth, mit einem kleinen Filmteam vorbeizukommen.
Die Probleme der Menschen in Dahme werden sie nicht lösen können. Aber vielleicht können sie ihnen ein wenig Angst vor der Zukunft nehmen. Wenn sie ihr Angebot ernst meinen.