2 months ago

"Granate ins Herz des Systems": Trumps Zölle auf ganzer Front würden gigantischen Handelskrieg provozieren



Donald Trump verteilt Steuerstreichungen wie Bonbons. Zugleich verspricht er allgemeine Importzölle, um die eigene Industrie zu schützen. Die Folgen sind nur begrenzt absehbar. Wirtschaftswissenschaftler sind entsetzt.

Was ist die wichtigste Maßnahme für eine wachsende US-Wirtschaft? Zölle, wenn es nach Donald Trump geht. "Für mich", sagte der republikanische Präsidentschaftskandidat Anfang der Woche, "ist Zoll der schönste Ausdruck im Wörterbuch. Es ist mein Lieblingswort." Wer Importzölle umgehen und trotzdem Geschäfte in den Vereinigten Staaten machen will, müsse vor Ort seine Waren produzieren, argumentierte Trump vor Wirtschaftsvertretern: "Ich werde die höchsten Zölle der Geschichte verhängen." So sollen Industriejobs geschaffen werden und Abermilliarden in die Staatskasse fließen.

Es ist nichts Neues, dass Politiker im Wahlkampf weitreichende Versprechungen machen. Die von Donald Trump sind aber geradezu radikal. Weitreichende Zölle auf Importe statt Steuern für die eigenen Wähler, so könnte man Trumps Wirtschaftsplan zusammenfassen. Der Ex-Präsident ist in den vergangenen Monaten mit mehreren Vorschlägen durch die Vereinigten Staaten getourt, welche das Land schnurstracks zurück ins 19. Jahrhundert befördern würden. Seit 1913 besteuern die USA Einkommen, zuvor war die Haupteinnahmequelle der Importzoll.

Die derzeitige US-Regierung hatte die von Trump vor einigen Jahren verhängten Einfuhrzölle für China in Kraft gelassen und verlangt zudem für Elektroautos von dort 100 Prozent. Trump hat vorgeschlagen, schlicht auf sämtliche Einfuhren aus China 60 Prozent und auf die aller anderen Länder der Welt 20 Prozent zu erheben. Er drohte zudem mit Strafabgaben von 200 Prozent für Unternehmen, die ihre Produktion nach Mexiko verlegen und alles, was ohnehin von dort kommt, von 100 Prozent. Damit wäre das Freihandelsabkommen USMCA mit Mexiko und Kanada, welches Trump in seiner ersten Amtszeit aushandelte, praktisch hinfällig.

"Es würde allen schaden"

Steuerkürzungen sollen zugleich einheimische Arbeiter entlasten und die USA laut Trump "wieder in die globale Industrie-Supermacht" verwandeln. Überstunden? Sollen nicht mehr besteuert werden. Sozialleistungen? Ohne Abgaben. Trinkgelder? Kein reguläres Einkommen! Für Unternehmen, die im Inland produzieren, hat er ebenfalls Steuerkürzungen angekündigt. Verschiedene Kalkulationen gehen von mehreren Billionen Dollar mehr Staatsschulden als Folge aus. Ökonomen sind entsetzt und warnen eindringlich vor den Folgen. In einem offenen Brief hatten schon im Juni 16 Wirtschaftsnobelpreisträger vor Trumps Vorhaben und deren "destabilisierenden Wirkung" gewarnt.

"Das wäre ein riesiger Schock für die Wirtschaft, das würde ein ziemlich wilder Ritt", sagt auch Wirtschaftswissenschaftler Maurice Obstfeld von der Universität von Kalifornien. Verbraucher würden die Folgen recht bald spüren, durch höhere Inflation, weil die Preise nach und nach steigen. Dazu komme ein erhöhtes Rezessionsrisiko. Zwar könnten zusätzliche Industriejobs entstehen, aber die negativen Effekte überträfen die positiven. "Es würde allen schaden", so Obstfeld.

Andere Länder könnten wie in der Vergangenheit Vergeltungszölle auf US-Produkte erheben. Ein gigantischer Handelskrieg an verschiedenen Fronten bräche aus. "Das ist nicht nur Wirtschaft, sondern Weltpolitik", meint der Ökonom Jason Furman von der Harvard Universität. Es sei nicht sinnvoll, Zölle auf Länder zu erheben, die eine Koalition gegen China zu bilden sollen. "Der größte Handelspartner für die meisten ist China, und wenn sie wählen müssten, würden sie sich für China, nicht die Vereinigten Staaten entscheiden."

Goldrausch der Steuersparer?

Die Änderungen im Steuersystem brächten zudem enorme Unwägbarkeiten. Der republikanische Senator Bill Cassidy warnte vor steuerfreier Mehrarbeit: "Alles würde zu Überstunden werden", wird er von "Politico" zitiert. Arbeitgeber und -nehmer könnten die Steuerbehörde ganz einfach austricksen: Arbeitsverträge oder -aufträge würden wesentlich weniger reguläre Stunden enthalten, um weniger Einkommenssteuer zahlen zu müssen. Wer weiß, welche Eigendynamik all dies entwickeln würde; eine Art Goldrausch der Steuersparer, die der Steuerbehörde womöglich Hunderte Milliarden Dollar entzieht.

Sollten die Republikaner bei der Wahl im November die Kontrolle über den Kongress erlangen, könnten sie zudem Trumps Steuerpaket von 2017 verlängern, das Ende 2025 ausläuft. Es würde voraussichtlich ein Loch von weiteren 4,6 Billionen Dollar in der Staatskasse verursachen. Bereits jetzt sind die Aussichten für den Staatshaushalt düster: Im Haushaltsjahr 2024 gab Washington 6,29 Billionen aus, wovon 1,8 Billionen Dollar neue Kredite waren. Die um 35 Prozent gestiegenen Zinszahlungen waren die Hälfte davon. Das ist mehr, als die Regierung für Medicare ausgab, der staatlichen Krankenkasse für Rentner.

Trumps Vorschläge zielen auf bestimmte Wählergruppen. Senioren in seiner Wahlheimat Florida etwa, Gastronomie- und andere Servicebeschäftigte in Las Vegas und damit dem battleground state Nevada, Stundenlöhner im Rostgürtel, ohne den Trump die Wahl gegen seine Kontrahentin Kamala Harris nur schwerlich gewinnen kann. Damit würde Trump die Sehnsucht vieler Republikaner nach einem kleinen Staat in Washington: Hände weg von unserem Geld, wir kommen schon allein zurecht.

Die Autoren des Projekts 2025, einer konservativen Wunschliste für eine republikanische Präsidentschaft, fordern die Abschaffung der Einkommenssteuer und Einführung einer landesweiten Konsumabgabe. Die US-Steuerbehörde erhebt keine solche Steuer landesweit, sondern die einzelnen Bundesstaaten fordern bei Produktverkäufen ihre eigene. Seit 1913 treibt Washington zudem Einkommenssteuern ein, sie machen derzeit etwa 50 Prozent der staatlichen Einnahmen aus. Weitere 35 Prozent setzen sich aus Einnahmen zusammen, deren Zahlung sich Arbeitgeber und -nehmer teilen; damit werden unter anderem Sozialversicherungen finanziert.

Gunst und Strafe

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Sogar republikanische Analysten meinen, dass die Zahlen von Trumps Vorschlägen nicht annähernd aufgehen. Das gilt auch für manchen Republikaner im Kongress. Dazu kommt bei einer solchen Umschichtung von Einkommens- auf Konsumsteuer: Einkommensschwache Wähler würden besonders belastet, da sie einen größeren Anteil ihres Geldes für Produkte ausgeben, die durch Trumps Zölle teurer würden. "Wenn Sie eine Konsumsteuer einführen wollten, würden Sie kaum einen Wirtschaftswissenschaftler finden, der mit Zöllen anfangen würde", zitiert die "New York Times" einen Ökonomen der Eliteuniversität Columbia.

"Das führt uns zurück in die 1930er Jahre", sagt Ökonom Obstfeld: "Wenn die USA das System komplett torpedieren, besteht die Gefahr, dass es keine Regeln mehr gibt und sich niemand mehr gezwungen fühlt, sich an Verhaltensnormen in Bezug auf seine wirtschaftlichen internationalen Beziehungen zu halten." Allgemeine Zölle wären "ein Granatwurf ins Herz des Systems". Setzte Trump Zölle als Verhandlungsmasse mit einzelnen Ländern ein, wäre dies ein eklatanter Verstoß gegen die Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Unternehmen oder Staaten, die Ausnahmen wollten, müssten womöglich in Trumps Gunst stehen. Andere könnte er bestrafen.

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