Seit dem Kriegsende in ihrer Heimat diskutiert Deutschland über die mögliche Rückkehr von hunderttausenden Syrerinnen und Syrer. Aber über wen wird da eigentlich genau geredet?
Kaum war das Assad-Regime in Syrien Geschichte, begann hierzulande die Diskussion um das weitere Schicksal der vor dem Krieg geflohenen und von Deutschland aufgenommenen syrischen Staatsangehörigen. Schnell forderten erste Stimmen eine rasche Rückkehr der Menschen in ihre Heimat. Dabei sind die politischen Verhältnisse in dem in großen Teilen zerstörten Land nach mehr als 13 Jahren Krieg unübersichtlich und die Zukunft ist ungewiss.
Heute zählt das Bundesinnenministerium knapp eine Million Menschen mit syrischer Staatsangehörigkeit in Deutschland. Rund 72.000 von ihnen haben eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. In allen anderen Fällen ist diese befristet oder der Status offen.
Wer sind "die Syrer" in Deutschland?
Statistisch ist das eindeutig: Rund 57 Prozent der syrischen Geflüchteten sind männlich. Das Alter der Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte in Deutschland betrug 2023 im Schnitt knapp 26 Jahre, durchschnittlich leben sie seit mehr als acht Jahren in der Bundesrepublik. Der Großteil war 2023 im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 bis 64 Jahren. Die meisten leben im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, die wenigsten in Mecklenburg-Vorpommern. Die überwiegende Mehrheit ist muslimischen Glaubens.
Dem Bundeskriminalamt zufolge sollen 19,2 Prozent der Straftaten 2023 von syrischen Tatverdächtigen verübt worden sein.Damit waren sie im Gegensatz zu anderen Herkunftsländern leicht unterrepräsentiert, da syrische Staatsangehörige einen Anteil von 21,4 Prozent aller Geflüchteten in Deutschland ausmachen.
Umgekehrt wurden die Syrerinnen und Syrer in absoluten Zahlen am häufigsten Opfer von Straftaten, wenn man sie mit anderen Zuwanderungsgruppen vergleicht. Um welche Delikte es sich handelte, wurde nicht konkretisiert.
Wie viele Syrer arbeiten hier?
Beim Blick in Statistiken können die Menschen und ihre Schicksale hinter den Zahlen leicht übersehen werden. Zwei von jenen, über die nun diskutiert wird, sind Anna Souzouk und Azmi Halaw (ihre Geschichte lesen Sie im unten stehenden Kasten). Das in Syrien geborene Ehepaar lebt in Köln und gehört zu den 42 Prozent der Erwerbstätigen mit syrischer Staatsangehörigkeit in Deutschland im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren. Beide haben Medizin studiert und befinden sich gerade in der Facharztausbildung.
Wie sie sind nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) – Stand September 2024 – in Deutschland 287.000 syrische Staatsangehörige abhängig beschäftigt, davon 236.000 sozialversicherungspflichtig. Bei letzteren beträgt der Anteil der Männer mehr als 80 Prozent, bei den geringfügig Beschäftigten ist das Geschlechtergefälle etwas geringer. Der überwiegende Teil der Erwerbslosen ist wiederum dem Bundesamt für Statistik zufolge noch in der Ausbildung, kann krankheitsbedingt nicht arbeiten oder hat keine Arbeitserlaubnis.
Mehr als die Hälfte der Syrerinnen und Syrer im erwerbsfähigen Alter haben hierzulande keinen berufsqualifizierenden Abschluss. Viele der nach Deutschland Geflüchteten mussten jedoch eine "Dequalifikation" hinnehmen, wie das IAB es nennt. Sie üben hier Tätigkeiten aus, die unter dem Berufsniveau in ihrer Heimat liegen. Gründe können unter anderem fehlende oder nicht anerkannte Abschlüsse sein, auch Sprachbarrieren und Arbeitsmarkt-Diskriminierung können eine Rolle spielen. Das Tätigkeitsniveau steigt dem IAB zufolge jedoch mit zunehmender Aufenthaltsdauer wieder an. Etwas mehr als 100.000 Syrerinnen und Syrer in Deutschland hatten 2023 einen akademischen Abschluss.
In welchen Berufen arbeiten sie?
Das Ärztepaar arbeitet in einem systemrelevanten Beruf. So wie viele weitere ihrer Landsleute, die wie sie im Gesundheitswesen, im Bereich Transport und Logistik oder etwa in der Nahrungsmittelproduktion tätig sind. "Insgesamt arbeiten 62 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Syrerinnen und Syrer in systemrelevanten Berufen im Vergleich zu 48 Prozent der deutschen Beschäftigten", heißt es seitens des IAB dazu. Allein rund 5300 Menschen aus Syrien sind einer aktuellen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) zufolge wie Souzuk und Halaw als Ärztinnen und Ärzte angestellt.
Darüber hinaus arbeiten viele Syrerinnen und Syrer in Deutschland in weiteren sogenannten Mangel- oder Engpassberufen, also Jobs mit hoher Nachfrage nach Arbeitskräften und Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen. Beispiele sind die Pflege, die Kinderbetreuung oder auch das Handwerk und die Fertigung.
Beim Textilhersteller Trigema im schwäbischen Burladingen beispielsweise arbeiten etliche syrische Geflüchtete als qualifizierte Näherinnen und Näher in der Fertigung. Diese zu finden, sei schwer, sagte Firmenchefin Bonita Grupp im Interview mit der stern-Partnermarke Capital. Und weiter: "Es wäre ein herber Verlust, auf sie verzichten zu müssen."
Der IW-Ökonom Fabian Semsarha schlägt ähnliche Töne an: "Syrische Beschäftigte sind wichtig für den deutschen Arbeitsmarkt. Sie tragen in nennenswertem Umfang dazu bei, den Fachkräftemangel in Deutschland abzufedern."
Und was sagen die, über die da gerade so viel geredet wird, selbst? Anna Souzouk und Azmi Halaw möchten erst einmal bleiben, nicht zuletzt, weil sie noch in der Ausbildung sind. Unter ihren syrischen Bekannten in Deutschland werde das Thema Rückkehr noch wenig besprochen. Mit einer Massenrückwanderung rechnen sie nicht. Dennoch spüre das Ehepaar eine Verantwortung, Syrien wieder mit aufzubauen – wenn stabile politische Verhältnisse einkehren. Wann das der Fall sein wird, ist jedoch völlig offen.
Quellen: BKA: Bundeslagebild Kriminalität im Kontext von Zuwanderung 2023BundesarbeitsagenturDestatis,Deutsche Welle/Bundesinnenministerium,Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Institut der deutschen Wirtschaft, Mediendienst Integration