Beim EU-Gipfel in Brüssel wirbt Selenskyj für einen schnellen NATO-Beitritt seines Landes und spricht über Atomwaffen. Eine mögliche Wiederbewaffnung sei damit jedoch nicht gemeint, stellt der ukrainische Präsident kurz darauf klar. In der Folge bemüht sich Berlin um Einordnung.
Der russische Staatschef Wladimir Putin hat Äußerungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, wonach Kiew nach Atomwaffen streben könnte, wenn es kein NATO-Mitglied werden könne, als "gefährliche Provokation" zurückgewiesen. "Dies ist eine gefährliche Provokation. Auf jeden Schritt in diese Richtung wird es eine entsprechende Reaktion geben", sagte Putin vor ausländischen Journalisten.
Er wisse nicht, ob die Ukraine in der Lage sei, eine Atomwaffe zu entwickeln, sagte Putin, fügte aber hinzu, dies sei "nicht schwierig in der modernen Welt". Er könne auf jeden Fall sagen, "dass Russland unter keinen Umständen zulassen wird, dass dies geschieht", fügte Putin hinzu. Nach seiner Ansicht habe die Ukraine keine Möglichkeit, unbemerkt eine Atombombe zu bauen. "Russland ist in der Lage, jede Bewegung zu verfolgen, die darauf abzielt, dass Kiew Atomwaffen erhält."
Selenskyj hatte am Donnerstag in einer Rede in Brüssel angedeutet, dass sein Land versuchen könne, Nuklearwaffen zu erhalten, um eine Form der Abschreckung gegenüber Moskau zu erreichen, wenn es nicht in die NATO eintreten könne. "Entweder verfügt die Ukraine über Nuklearwaffen, die ihr als Schutz dienen, oder sie muss Mitglied in einer Allianz sein", sagte der ukrainische Präsident. "Wir kennen keine Allianz, die so effizient ist", wie die NATO, betonte er.
Berlin: Moskau hält sich nicht an Garantien für Kiew
Derweil bemüht sich die Bundesregierung um Einordnung der Äußerungen des ukrainischen Präsidenten. Selenskyj habe beim EU-Gipfel in Brüssel am Donnerstag auf den Bruch des Budapester Memorandums von 1994 durch Russland hingewiesen, sagte Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner in Berlin. Die Ukraine habe darin einen Verzicht auf eigene Atomwaffen erklärt, Russland habe im Gegenzug die staatliche Souveränität und Integrität der Ukraine garantiert. Dass Russland sich nicht daran halte, "sehen wir ja jeden Tag", sagte Büchner.
Kurz nach seinen Andeutungen wies Selenskyj im NATO-Hauptquartier in Brüssel Medienberichte zurück, er habe bei seinem Auftritt auf dem EU-Gipfel eine mögliche Wiederbewaffnung seines Landes mit Atomwaffen angedeutet. "Wir haben nie darüber gesprochen, dass wir den Bau von Atomwaffen vorbereiten", sagte der Präsident.
Vielmehr habe er auf das Budapester Memorandum von 1994 verwiesen. Damals habe die Ukraine auf die Atomwaffen auf ihrem Gebiet verzichtet und im Gegenzug Sicherheitsgarantien auch von Russland erhalten. Der russische Präsident Putin habe die Garantien jedoch durch sein militärisches Vorgehen aufgekündigt, deshalb sei die NATO-Mitgliedschaft heute die einzige Alternative für die Ukraine.
"Russland tritt Budapester Memorandum mit Füßen"
Ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin verwies darauf, dass die Ukraine "das einzige Land auf der Welt" sei, "das jemals im Besitz von Atomwaffen war und diese abgegeben hat". Sie habe dafür Garantien erhalten, unter anderem der territorialen Integrität und der Wahrung seiner Souveränität. "Im Gegenzug für diese Sicherheitsgarantien hat die Ukraine ihre Waffen aufgegeben und ist dem Nichtverbreitungsvertrag beigetreten." Russland trete jedoch "das Budapester Memorandum mit Füßen".
Der Ministeriumssprecher verwies zudem darauf, dass sich die Ukraine zuletzt im Sommer dieses Jahres zum Ziel der nuklearen Abrüstung in einer nuklearwaffenfreien Welt bekannt habe. Nach dem Ende der Sowjetunion hatte die Ukraine im Rahmen des sogenannten Budapester Memorandums von 1994 eingewilligt, die auf ihrem Territorium stationierten Atomwaffen an Russland zurückzugeben.
Putin kritisierte hingegen vor den Journalisten, die NATO kämpfe mit den "Händen der Ukraine" gegen Russland. Moskau sei aber darauf eingestellt. "Der Sieg wird unser sein." Auf die Frage, wie lange der Krieg noch dauern werde, meinte der Kremlchef, eine Vorgabe von Zeitrahmen sei nicht produktiv. Das müsse zudem die NATO beantworten. Russland weist immer wieder darauf hin, dass der Krieg so lange laufe, wie die NATO-Mitglieder Waffen an die Ukraine lieferten.