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Warum stellt US-Vizepräsident Vance die Bundesrepublik als Land dar, in dem Meinungsfreiheit und Demokratie bedroht seien? Er hat gleich mehrere Gründe. Keiner davon ist beruhigend.
Erneut hat US-Vizepräsident J.D. Vance den Deutschen damit gedroht, ihnen den Schutz der USA zu entziehen, wenn sie nicht machen, was sein Herr fordert - dieses Mal noch etwas weniger subtil als vor einer Woche in München.
Warum macht er das? Warum stellt Vance die Bundesrepublik als Land dar, in dem Meinungsfreiheit und Demokratie bedroht sind? Warum attackiert er nicht, zum Beispiel, die Türkei oder Ungarn? Auch dies sind Nato-Staaten, die vom atomaren Schutzschirm der USA profitieren. Im jüngsten Demokratie-Index des "Economist" liegen beide Länder ziemlich weit hinten, die Türkei auf dem 102., Ungarn auf dem 50. Platz. Zum Vergleich: Deutschland belegt dort Rang 12. Die USA befinden sich auf Rang 29 - noch.
Vance hat mehrere Gründe - persönliche, taktische und ideologische. Sie sind alle miteinander verbunden und laufen auf eines hinaus: Die USA machen das, was Russland bereits seit Jahren anstrebt.
Als Russland vor Jahren Parteien wie die AfD in Europa als Verbündete entdeckte, war damit in erster Linie das Ziel verbunden, die westlichen Demokratien zu destabilisieren. Aber dem lag auch ein Impuls zugrunde, der dem Prinzip "wie du mir, so ich dir" folgte: In Russland hatte der Westen jahrelang Organisationen wie Memorial unterstützt, die Kremlherrscher Wladimir Putin als feindlich ansah. Aus seiner Sicht hat Putin den Spieß nur umgedreht.
Eitelkeit und Elon Musk
Für US-Präsident Donald Trump gibt es ein ähnliches Motiv. Kaum ein demokratischer Politiker in Europa hatte auf seinen Wahlsieg gehofft - aus guten Gründen, wie in den vergangenen Wochen überdeutlich geworden ist. Allein das gute Verhältnis von Bundeskanzler Olaf Scholz zu Präsident Joe Biden dürfte für Vance Grund genug sein, der AfD Wahlkampfhilfe zu leisten. Was er auf der Sicherheitskonferenz in München getan hat. Nebenbei war es für den Vize eine schöne Gelegenheit, die Eitelkeit seines Chefs zu streicheln. Der bedankte sich, indem er die Rede "brillant" nannte.
Trump und seine Gefolgsleute übersehen, dass ihnen - anders als Russland - ein destabilisiertes Europa nicht nützlich ist. Vielleicht nehmen sie es auch einfach in Kauf. Ihnen geht es vermutlich darum, Gründe zu konstruieren, um Europa fallen lassen zu können, ähnlich wie bei der Ukraine. Seit Jahren spricht Trump davon, dass man amerikanischen Steuerzahlern nicht erklären könne, warum die USA für den Schutz von wohlhabenden Verbündeten zahlen sollen. Das Argument ist ja auch richtig, Europa hätte schon vor Jahren darauf hören sollen.
Aber Trump und sein Sprachrohr Vance haben noch weitere Gründe, Europa unter Druck zu setzen: die Interessen ihres Kumpels Elon Musk. Dessen Geschäftsmodell wird von der Europäischen Union zu Recht als demokratiezersetzend gesehen. Trump will sicherstellen, dass Musk auf seinem Netzwerk X auch in der EU weiterhin ungehindert Lügen verbreiten kann.
Feinde und Verfall überall
Vance führt einen Kulturkampf gegen Europa, mit dem Trump und seine Republikaner bereits in den USA erfolgreich waren. Die einstmals konservative Partei ist unter Trump zu einer Partei geworden, die überall Feinde und Verfall wittert. In den USA stehen Rechtsstaat und Demokratie in beispielloser Art und Weise unter Feuer. Die Medien sind für Trump "Feinde des Volkes", die Demokraten nannte er "Feinde im Inneren", die gefährlicher seien als Russland oder China. Die von ihm begnadigten Rechtsradikalen stellt er als Opfer politischer Verfolgung dar, denen "eine schwere nationale Ungerechtigkeit" angetan worden sei. Die Legitimität von Gerichten - die fundamentale Basis jedes Rechtsstaats - zieht er offen in Zweifel. "Wer sein Land rettet, verstößt gegen kein Gesetz", dieses Motto von Diktatoren hat Trump sich zu eigen gemacht.
In den USA werden Bücher in Schulen und Bibliotheken verboten - die Zensurversuche haben mittlerweile sogar das Buch von J.D. Vance erreicht, "Hillbilly Elegy". Und diese Regierung will Europa lehren, was Demokratie und Meinungsfreiheit sind?
Aber das will sie ja gar nicht. Sie hat lediglich die Kampfzone ausgeweitet und führt ihren Feldzug gegen die liberale Demokratie nun auch international. Europa stehen schwierige Zeiten bevor.