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Fried – Blick aus Berlin: Wie die Grünen schon wieder den Wahlkampf vermasseln



Es war ein Sonntag, den sich Annalena Baerbock wohl anders vorgestellt hatte. Gleich zwei Fernsehinterviews gab es für die Außenministerin – beide liefen eher schlecht als recht.

Was für ein elender Job Politik sein kann, das hat gerade Annalena Baerbock wieder erlebt. Es war der Sonntag vor der Amtseinführung des neuen amerikanischen Präsidenten. Es war auch der Sonntag, an dem nach vielen Monaten und harten Verhandlungen endlich wieder israelische Geiseln aus der Gewalt der Hamas befreit wurden. Zwei große Fernsehinterviews hatte die Außenministerin für diesen Tag zugesagt. Die Gelegenheit erschien günstig. 

Baerbock ist geübt darin, sich selbst zu loben. Nun hatte sie vielleicht auf öffentliche Anerkennung für ihr fleißiges Engagement im Nahen Osten gehofft, das sich an vielen Reisen ablesen lässt, wenngleich man schwer beurteilen kann, welche Rolle es für den Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas tatsächlich gespielt hat. Sie hätte zeigen können, ob sie eine überzeugende Idee für die künftigen deutsch-amerikanischen Beziehungen hat – außenpolitisches Kerngeschäft, mitten im Wahlkampf. 

Caren Miosga Donald Trump Baerbock 06.10

So einen Tag will Baerboch nicht nochmal erleben

Es wurde ein Fernsehsonntag, den Baerbock vermutlich nicht noch mal erleben möchte: Im ZDF wurde sie intensiv nach dem Fall eines grünen Bundestagsabgeordneten in Berlin befragt. Stefan Gelbhaar war wegen Vorwürfen sexueller Belästigung faktisch zum Verzicht auf seine erneute Kandidatur gedrängt worden; diese haben sich inzwischen zu großen Teilen als haltlos erwiesen. Der Fall Gelbhaar ist ein Debakel für den Rundfunk Berlin-Brandenburg, der wichtige Teile seiner Berichterstattung zurückziehen musste, aber auch für die Grünen, aus deren Reihen die Anschuldigungen erhoben wurden. Und so sehr Baerbock recht hat mit dem Argument, dass es für solche Fragen in jeder Partei Verfahren und Gremien gebe, so sehr verblüffte doch die völlig Empathielosigkeit, mit der die sonst so emotionale Ministerin über den Fall ihres Parteifreundes hinwegging, dessen politische Karriere am Ende sein könnte.  

Damit nicht genug. Stunden später befragte Caren Miosga in der ARD Baerbock nicht gleich zur Außenpolitik, sondern erst zum Vorschlag des grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck, Krankenkassenbeiträge auf Kapitaleinkünfte zu erheben. Anders als vorher im ZDF redete Baerbock nun ausführlich, aber auch reichlich verwirrend.  

STERN 04_25 Fried Kolumne 17:54

Den Grünen fehlen verständliche Antworten

Was bedeutet das alles? Es geht hier nicht um Baerbock als Person, sondern darum, dass die Grünen ihre wichtigste Frau mitten im Wahlkampf vor ein Millionen-Publikum schicken, ohne ihr vernünftige und verständliche Antworten auf erwartbare Fragen mitzugeben. Es geht nicht darum, einen noch unaufgeklärten, aber doch dramatischen Fall politischen Mobbings unbedingt den grünen Spitzenkandidaten anzuhängen, sondern darum, dass Baerbock und Habeck um Aufklärung bemüht sein sollten, wollen sie eigenen Ansprüchen an Transparenz gerecht werden. Es geht nicht darum, ob die Grünen eine diskussionswürdige Idee zur Finanzierung des Gesundheitssystems präsentiert haben, sondern darum, dass sie sich an der vermeintlichen Großartigkeit ihrer Idee berauschen, die Beteiligung an der Debatte um die Details ihnen aber offenbar unter ihrer Würde erscheint. 

Es geht darum, dass ausgerechnet die Spitzenkandidaten in unglückseliger Weise das verbreitete Klischee grüner Abgehobenheit bestätigen, den Vorwurf eines allgemeinen moralischen Überlegenheitsgefühls, aus dem die Luft entweicht, wenn die politische Konkurrenz "hineinpiekt", wie es die Außenministerin abschätzig formuliert hat. 

Baerbock tat Vorwürfe der politischen Konkurrenz als Wahlkampf ab. Stimmt. Genau das ist das Problem, auf das sie und Habeck keine Antwort haben.

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