Vielen Kommunen in Deutschland fehlt Geld. Die Koalition will sie nun von Altschulden befreien. Das ist auch das Verdienst des gern geschmähten Noch-Kanzlers.
Diese Woche wollen wir aus einer Mücke einen Elefanten machen. Der Koalitionsvertrag ist fertig, viel wurde diskutiert über die Senkung des Strompreises, Zurückweisungen an der Grenze, die Kosten der Mütterrente und den freiwilligen Wehrdienst. Es kann aber sein, dass eine fast unscheinbare Regelung auf Seite 55, ab Zeile 1763 viel mehr dazu beiträgt, die Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen. Das ist erklärtes Ziel der Koalition, von Markus Söder in die Wendung von der schwarz-roten Regierung als "letzter Patrone der Demokratie" gegossen.
Sanierungsstau und Sparpakete – Alltag in vielen Kommunen
Um zu verstehen, warum Zeile 1763 auf Seite 55 aussieht wie eine Mücke, aber die Wucht eines Elefanten haben könnte, hilft es, sich Berichte von Kommunalpolitikern zu vergegenwärtigen. "Wir haben in Erfurt einen Sanierungsstau von 500 Millionen Euro an den Schulen", sagte die Stadträtin Lilli Fischer aus Thüringens Landeshauptstadt jüngst während einer Veranstaltung des Bundespräsidenten. Löcher im Boden der Aula, bröckelnde Treppenhäuser, unbenutzbare Toiletten – das übliche Bild. Hannovers Oberbürgermeister Belit Önay berichtete im "Tagesspiegel" von großen Sparpaketen in den vergangenen Jahren. Die Folge: "Die Stadt stockt, sei es beim ÖPNV, den Straßen und Schulen."
Ein großes Problem für viele Kommunen sind Altschulden. Alexandra Gauß, die Bürgermeisterin der Gemeinde Windeck in Nordrhein-Westfalen, schilderte ihre finanziellen Nöte so: "Uns belasten heute Schulden, die entstanden sind, als ich noch im Kindergarten war." Windeck habe sich auf Kinderbetreuung und die Feuerwehr konzentriert. Für anderes fehlte das Geld. Ende 2023 lag die Gesamtverschuldung der Kommunen laut Statistischem Bundesamt bei 154,6 Milliarden Euro.
Geld, das nur in Zins und Tilgung fließt
Die Regelung auf Seite 55, Zeile 1763 des Koalitionsvertrages sieht nun vor, dass der Bund sich in den nächsten vier Jahren mit insgesamt einer Milliarde Euro beteiligt, wenn Länder wie das besonders betroffene Nordrhein-Westfalen klamme Kommunen von ihren Altschulden befreien, indem sie Verbindlichkeiten in ihre Haushalte übernehmen. So will man vermeiden, dass ein Großteil des in den Rathäusern verfügbaren Geldes immer wieder nur in Zins und Tilgung fließt. Stattdessen sollen Löcher in Schulen gestopft, Brücken repariert, der öffentliche Nahverkehr verbessert werden.
Politisch ist dazu dreierlei festzuhalten. Erstens: Die Idee, dass der Bund kommunale Altschulden übernimmt, trieb Olaf Scholz schon in seiner Zeit als Bundesfinanzminister gegen Widerstände voran, unter anderem von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder. Mit dem Ende der Ampel hinterlässt Scholz immerhin einen Gesetzentwurf für die notwendige Änderung des Grundgesetzes. Sollten Kommunen bald mehr finanziellen Spielraum haben, verdanken sie das auch der Hartnäckigkeit des gern geschmähten Noch-Kanzlers.
Demokratie ist, wenn's nicht reinregnet
Zweitens: Selbstverständlich hat sich Söder die Zustimmung der CSU gut bezahlen lassen. Auf Seite 55, Zeile 1766 ist zu lesen, dass der Bund ebenfalls für vier Jahre die Geberländer im Finanzausgleich mit insgesamt 1,6 Milliarden Euro entlastet – davon profitiert Bayern am meisten.
Drittens beurteilen viele Bürger zu Recht die Demokratie danach, ob die Gehwege benutzbar sind, das Schwimmbad geöffnet hat oder die Kinder in Klassenzimmern sitzen, in die es nicht reinregnet. Kurz: ob der Staat funktioniert. Deshalb ist es angezeigt, aus der Mücke in Zeile 1763 auf Seite 55 des Koalitionsvertrages einen Elefanten zu machen – im besten Sinne.