Der SPD-Politiker Axel Schäfer ist aus dem Bundestag verabschiedet worden. stern-Kolumnist Nico Fried berichtet von einer zusammenschweißenden Begegnung vor 35 Jahren.
Die meisten Politiker habe ich als Journalist getroffen. Einen aber lernte ich kennen, als ich noch gar nicht richtig Journalist war und er noch nicht wirklich Politiker. Rund 35 Jahre ist das her. Vor ein paar Tagen nahm ich an seiner Verabschiedung teil, ein interessantes Erlebnis. Dazu später.
Anfang der 90er-Jahre begleitete ich als Zeitungspraktikant einen Hilfstransport nach Armenien, der von einer SPD-Europaabgeordneten organisiert worden war. Zwei ihrer Mitarbeiter flogen mit. Der eine hieß Axel Schäfer, und er hatte schon als Referent für Willy Brandt gearbeitet, was ich beeindruckend fand. Als kleiner Junge hatte ich Willy-Brandt-Reden im Kinderzimmer nachgespielt, wovon es einen Super-8-Film gibt, aber das ist ein anderes Thema.
Mit einer Aeroflot-Maschine flogen Schäfer und ich nach Jerewan und fuhren dann gemeinsam mit Ortskräften die Hilfsgüter in das Erdbebengebiet im Norden Armeniens. Auf einer der langen Fahrten platzte mitten in der Nacht ein Reifen. Schäfer und ich nutzten ein zweites Auto, um in der nächsten Stadt einen neuen Reifen zu besorgen. Während des Ausflugs mussten wir, freundlich formuliert, den Fahrer davon abhalten, uns in der Dunkelheit des gebirgigen georgisch-armenischen Grenzgebiets auszusetzen und mit dem Bündel US-Dollar zu verschwinden, das wir für den Reifen mitgenommen hatten. Axel Schäfer setzte die Überzeugungskraft ein, mit deren Hilfe er später zu einem Europa- und dann zu einem Bundestagsabgeordneten gewählt wurde.
Axel Schäfers kollegialer Abschied
So ein Erlebnis verbindet fürs Leben, auch wenn ein Politiker und ein Journalist, wenn sie beruflich miteinander zu tun haben, nicht immer einer Meinung sind. Schäfer, der in die SPD eintrat, als ich drei Jahre alt war, nahm an mehr als 50 SPD-Parteitagen teil und brachte es als sechsmal direkt gewählter Abgeordneter bis zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Er ist vielen großen Sozialdemokraten persönlich begegnet, verfügt über ein enzyklopädisches Wissen zur Geschichte der SPD und glüht für ein vereintes Europa. Schäfer war immer ein links-pragmatischer Sozialdemokrat, kritisch, aber loyal, Markenzeichen: roter Schal. Er gehört zu den Politikern, die Journalisten nicht von vornherein mit Misstrauen begegnen, was in der Regel von Vorteil für die Politiker ist. Und Journalisten rufen ihn gern an, weil er mit zunehmender parlamentarischer Seniorität auch unbequeme Meinungen freimütig kundtat.
Vergangene Woche also wurde Axel Schäfer verabschiedet. Er kandidiert nicht mehr in seinem Bochumer Wahlkreis. Fraktionschef Rolf Mützenich fand freundschaftliche Worte für den Genossen. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas war auch da. Sie und Schäfer waren als junge Genossen auf einem Parteitag die einzigen nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten, die sich gegen Bonn und für Berlin als Hauptstadt aussprachen. Daraufhin prophezeite ihnen ein gewisser Bodo Hombach ein frühes Ende ihrer bundespolitischen Laufbahn, das dann ironischerweise nicht Bas und Schäfer, sondern Hombach ereilte.
Auch Abgeordnete anderer Parteien kamen zu Schäfers Abschied, unter ihnen Ralph Brinkhaus (CDU), Hans-Peter Friedrich (CSU) und Gesine Lötzsch (Linke). Es war – einen Tag nachdem die Union unter Getöse einen Antrag mit der AfD durchgesetzt hatte – ein kleines Fest der Demokratie, ein überparteilicher Beweis, dass Parlamentarismus nicht nur Konflikt bedeutet, sondern auch Kollegialität. Das hatte etwas Versöhnliches und war eine würdige Ehrung für meinen Freund Axel Schäfer.