Essstörungen wie Bulimie sind relativ weit verbreitet. Vor allem Frauen sind davon betroffen, viele begehen Suizid. Jetzt versucht ein Forscher herauszufinden, warum.
Thomas Joiner erforscht bereits sein gesamtes wissenschaftliches Leben, warum Menschen Suizid begehen. In den USA tötet sich laut Studien etwa alle elf Minuten ein Mensch. "Das waren im Jahr 2022 fast 50.000 Fälle", sagte Joiner kürzlich bei einem Vortrag auf der Jahrestagung der "American Association for the Advancement of Science" (AAAS) in Boston.
Joiner ist Psychologe an der "Florida State University" und einer der führenden Experten in den USA zum Thema Suizid. In einer neuen Studie hat er nun den Zusammenhang zwischen Essstörungen und suizidalen Gedanken untersucht. "Ein Feld, das wir dringend genauer beachten sollten", so der Forscher. Fast zehn Prozent der Amerikaner erkranken einmal in ihrem Leben an Magersucht, Bulimie, Binge–Eating oder einer Mischform aus verschiedenen Störungen. In Deutschland sind die Zahlen ebenfalls hoch. Laut Robert Koch–Institut (RKI) zeigen rund 33,6 Prozent der Mädchen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren Symptome einer Essstörung. Bei den Jungen im gleichen Alter sind es rund 12 Prozent.
Thomas Joiner ist Psychologe an der "Florida State University" und einer der führenden Experten in den USA zum Thema Suizid
© Alexandra Kraft
Joiner wirkt wie ein Mann, der sich nur schwer aus der Ruhe bringen lässt. Aber gleich zu Beginn der Präsentation seiner neuesten Erkenntnisse, zittert seine Stimme. "Ich rede hier von Menschen, hauptsächlich Frauen, die im Durchschnitt 30 Tage mit ihrer Krankheit auf einer Intensivstation behandelt werden mussten", erklärt er. Teilweise seien sie mit einem einstelligen Body–Mass–Index (BMI) aufgenommen worden. "Sie sind nahezu verhungert, sie haben sich das selbst angetan", so Joiner.
Laut dem Experten wisse man schon lange über den Zusammenhang zwischen solchen Störungen und Suiziden. "Die Quote derer, die sich töten, ist deutlich erhöht in dieser Gruppe", erklärt er. Auch in der Gesamtbevölkerung gibt es Menschen, die darüber nachdenken, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Die allermeisten würden diesen Gedanken aber nicht umsetzen. Was sie abhält? "Sie haben Angst vor dem Tod", sagt der Psychologe.
Bei Essstörungen scheint die Angst vor dem Tod zu verschwinden
Ganz anders bei den nun von Joiner Untersuchten. "Sie sollten in dem Zustand, in dem sie sind, eigentlich Angst verspüren", sagt er, schließlich seien sie in akuter Lebensgefahr. Aber, so seine schockierenden Ergebnisse, sie hätten deutlich weniger Angst vor dem Tod als der Rest der Bevölkerung. "Es ist fast unglaublich, aber es gibt eine Gruppe von etwa 20 Prozent, die angibt, sie hätten null Prozent Angst vor dem Tod", so Joiner. Ihn habe dieses Ergebnis erschreckt. Auch, weil diese Gefühle während der Behandlung im Krankenhaus sich in den allermeisten Fällen nicht verbessert haben.
"Man hat ja als Mediziner die Hoffnung, dass im Lauf der Therapie eine positive Entwicklung einsetzt, das ist aber nicht passiert", sagt Joiner. Erklären, warum diese Gefühle so stabil bleiben, kann er derzeit nicht. Weitere Forschung sei dafür dringend notwendig. Man müsse auch eiligst über neue Behandlungsmethoden nachdenken. Aber schon jetzt sieht er in seinen Forschungsergebnissen eine große Hilfe für die Ärzte. "Es ist unsere Aufforderung, besonders auf diese Patientinnen und Patienten zu achten", so Joiner. Das könne Leben retten. Denn man wisse nun auch, dass die Suizidrate direkt nach der Entlassung aus dem Krankenhaus besonders hoch sei bei Menschen mit Essstörungen.
Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222. Auch eine Beratung per Email ist möglich. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.
Für Kinder und Jugendliche steht auch die Nummer gegen Kummer von Montag bis Samstag jeweils von 14 bis 20 Uhr zur Verfügung, die Nummer lautet 116 111.