Nahrungsergänzungsmittel: Schneller Klick mit möglichen Nebenwirkungen

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Viele Influencer schwören auf Nahrungsergänzungsmittel. Tiktok-Shop könnte den Trend beschleunigen. Fachleute warnen vor Gefahren.

Biotin soll Haare und Nägel stärken, bestimmte Omega-3-Fettsäuren die Konzentration verbessern und Kurkuma das Immunsystem stimulieren. Ob als Pulver, Tablette oder Öl - viele Menschen in Deutschland schlucken Nahrungsergänzungsmittel in der Hoffnung, Gesundheit und Wohlbefinden zu fördern. 

Auch in den sozialen Medien sind solche Präparate ein großes Thema: Influencerinnen und Influencer schwören auf die Wirkung bestimmter Produkte und bewerben diese gezielt in ihren Videos. 

Tiktok-Shop könnte diesen Trend weiter befeuern, befürchten Fachleute. Denn dadurch könnte man die in den Clips präsentierten Nahrungsergänzungsmittel direkt in der Kurzvideo-App kaufen - ohne sich genauer darüber zu informieren oder darüber nachzudenken, ob man sie tatsächlich braucht. Neben teuren Spontankäufen könnte das noch weitere Nebenwirkungen haben. 

Wer nimmt Nahrungsergänzungsmittel?

Um es vorwegzunehmen: Gesunde Menschen, die sich ausgewogenen und abwechslungsreich ernähren, brauchen nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) in Berlin in der Regel keine Nahrungsergänzungsmittel. Eine repräsentative BfR-Studie aus dem vergangenen Herbst zeigt aber ein anderes Bild: Demnach hatten 77 Prozent der rund 1.000 Befragten in den letzten zwölf Monaten Nahrungsergänzungsmittel genommen, 63 Prozent davon sogar wöchentlich.

Auffallend an den Ergebnissen ist laut dem BfR-Experten Mark Lohmann vor allem der gestiegene Anteil an jungen Leuten, die Vitamine, Mineralstoffe oder andere Substanzen schluckten. In einer früheren Studie seien es vorwiegend Menschen ab 50 Jahren gewesen. "Da spielten die Jüngere eigentlich kaum eine Rolle, und das hat sich jetzt geändert."

Seine Vermutung: Die sozialen Medien könnten dazu beigetragen haben. Immerhin hatten in der Studie 45 Prozent der Befragten angegeben, sie seien durch Influencer oder soziale Medien über Nahrungsergänzungsmittel informiert worden - und 81 Prozent davon nahmen tatsächlich auch welche. 

Welche Folgen könnte Tiktok-Shop haben?

Das Problem bei Influencern sei, meint Angela Clausen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, dass deren Follower sie als eine Art Freunde betrachten. "Und wenn Freunde etwas empfehlen, dass ihnen angeblich fantastisch geholfen hat, dann probiere ich das eher auch mal." 

Dazu komme, dass man bei Tiktok schnell in einer Blase sei, weil der Algorithmus immer ähnliche Inhalte vorschlage: Dadurch könnte man schnell von einem Influencer inklusive Bestellmöglichkeit zum nächsten geleitet werden. "Ich hoffe, dass Eltern ihren Jugendlichen den Geldhahn im Handy zugedreht haben, damit die nicht einfach bestellen können."

Das Risiko für unüberlegte Spontankäufe steige mit Tiktok-Shop auf alle Fälle, betont die Psychologin Astrid Müller von der Medizinischen Hochschule Hannover. "Die Zeit, darüber noch mal nachzudenken, verkürzt sich immens. Es entsteht der Wunsch und sofort kann bestellt werden." Das erhöhe das Risiko, in eine Kaufsucht zu rutschen. Besonders gefährdet seien junge Menschen - also genau jene Gruppe, bei der Tiktok besonders beliebt sei. 

Wie werden Nahrungsergänzungsmittel präsentiert?

Was viele Menschen nicht wissen: Nahrungsergänzungsmittel gelten als Lebensmittel. Anders als Arzneimittel brauchen sie keine behördliche Zulassung, erklärt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Gesetzliche Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe gebe es nicht. Es gebe aber Empfehlungen vom BfR. 

Welche Zutaten stecken in einem Nahrungsergänzungsmittel, wie viel der angepriesenen Vitamine sind drin, wer sollte das Produkt besser nicht nehmen? Verbraucherschützerin Clausen ist skeptisch, dass man diese eigentlich vorgeschriebenen Informationen in den kurzen Clips auf Tiktok oder anderen Social-Media-Plattformen bekommt. Die Erfahrungen zeigten schon jetzt, dass Werbeaussagen in den sozialen Medien häufig irreführend seien und gegen geltendes Recht verstießen, sagt sie.

In einer Studie haben Pharmakologen der Medizinischen Hochschule Hannover rund 100 Nahrungsergänzungsmittel analysiert, die Influencer zwischen 2021 und 2023 auf Instagram beworben hatten. Etwa zwei Drittel überschritten die empfohlenen Tageshöchstmengen, ohne dass die Influencer auf die negativen Folgen einer Überdosierung hingewiesen hätten, schreiben die Autoren. Auch Kontraindikationen oder unerwünschte Wirkungen hätten Influencer nur unzureichend angesprochen.

Welche Risiken gibt es?

Dabei können die Folgen alles andere als harmlos sein. Beispiel Vitamin D, wo BfR-Experte Lohmann einen Hype beobachtet. "Da gibt es auch Überdosierungen, zum Teil um das 60-fache über der empfohlenen Tageshöchstmenge." Dadurch könne es zu einer erhöhten Kalziumkonzentration im Blut und schließlich zu einer Niereninsuffizienz kommen. 

Kalziumhaltige Nahrungsergänzungsmittel wiederum könnten die Wirkung von Antibiotika verringern, Biotin verfälsche bei Labortests etwa die Schilddrüsenwerte und Herzkreislaufmarker, die auf einen Herzinfarkt hindeuten könnten. "Auch das ist in der Regel nicht bekannt", sagt Lohmann. Fachleute empfehlen deshalb, Nahrungsergänzungsmittel nicht einfach auf Verdacht zu schlucken, sondern erst Rücksprache mit einer Ärztin oder einem Arzt zu halten.

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