Friedrich Merz zeigt sich plötzlich offen für eine Schuldenbremsenreform. Sein Generalsekretär widerspricht. Unterstützung kommt jetzt von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident.
Reiner Haseloff sah sich am Mittwoch von höchster Stelle bestätigt: von seinem Parteichef. Der sachsen-anhaltische Ministerpräsident von der CDU fordert seit Langem eine ernsthafte Debatte über die Finanzen des Staates, über eine maßvolle Reform der Schuldenbremse. Und jetzt das: Plötzlich schließt auch Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz eine Reform nicht mehr aus. Das versetzt die Union in Aufruhr.
Haseloff springt seinem Parteichef jetzt bei. "Die Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland ist eine vordringliche Aufgabe. Dazu hat Friedrich Merz richtige Lösungswege vorgeschlagen", sagt Haseloff jetzt dem stern. "Für eine gute Zukunft unseres Landes ist es wichtig, in Infrastruktur, Wissenschaft und neue Technologien zu investieren. Dafür müssen verfassungskonforme Lösungen gefunden werden", sagt Haseloff.
Friedrich Merz vollzieht die Schulden-Kehrtwende
Was war passiert? Beim Wirtschaftsgipfel der "Süddeutschen Zeitung" am Mittwoch wurde Merz auch zur Zukunft der Schuldenbremse gefragt. Seine Antwort wirkt wie eine Kehrtwende. Die Schuldenbremse sei doch nur ein technisches Thema, sagte Merz. "Selbstverständlich kann man das reformieren. Die Frage ist: wozu, mit welchem Zweck? Was ist das Ergebnis einer solchen Reform?", fragte der Unionspolitiker. "Ist das Ergebnis, dass wir noch mehr Geld ausgeben für Konsum und Sozialpolitik? Dann ist die Antwort nein."
Bisher klang Merz anders. Noch im Januar hatte Merz im Deutschen Bundestag erklärt: "Ich schließe eine Zustimmung meiner Fraktion zu einer Aufweichung der Schuldenbremse heute von dieser Stelle erneut aus. Damit können Sie nicht rechnen." Auch sein Generalsekretär Carsten Linnemann widerspricht dem eigenen Parteichef inzwischen: "Mit uns gibt es keine Veränderung im Bund an der Schuldenbremse", sagte Linnemann am Donnerstagabend bei Maybritt Illner. Was gilt nun?
In der Union mehren sich Stimmen für eine Reform
Auch in der Unionsfraktion ist schon länger eine Offenheit für eine behutsame Reform der Schuldenbremse zu hören. Unter Haushaltspolitikern gilt schon seit Längerem die Erzählung: Erst kürzen, dann umschichten, und dann muss man über weitere Finanzierungsmöglichkeiten reden – auch über neue Schulden oder Sondervermögen. "Allen ist klar, dass es ganz ohne Anpassungen nicht funktionieren wird", sagte ein Haushälter dem stern.
So ähnlich klingt es aus den unionsgeführten Ländern schon länger: Ende des vergangenen Jahres forderte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner mehr Investitionen in die Zukunft. Daniel Günther aus Schleswig-Holstein sagte kurz darauf: Die Schuldenbremse sei zwar wichtig, aber die Frage, dass die Bundesländer sich gar verschulden dürfen, müsse diskutiert werden.
SPD drängt die Union zu Tempo bei der Reform
Die SPD nimmt den Ball der Union gern auf im Wahlkampf. Parteichef Lars Klingbeil veröffentlichte am Freitag ein langes Statement über den Kurznachrichtendienst X. Klingbeil forderte die Union zu einer raschen Reform auf, noch vor der Wahl: "Friedrich Merz hat angedeutet, dass die CDU nun doch offen für eine Reform der Schuldenbremse ist. Es gibt dann eine Mehrheit", schrieb Klingbeil. "Wir sollten diese Chance jetzt gemeinsam nutzen und keine Zeit mehr verspielen."
Klingbeil warnte, wie vor ihm schon Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), davor, dass eine Reform nach der Bundestagswahl schwieriger werden könnte. "Niemand weiß, wie die Wahl ausgeht, aber die Gefahr, dass destruktive Parteien wie die AfD oder BSW danach Reformen blockieren können, ist real", schrieb der SPD-Parteichef. Die Sorge: BSW und AfD könnten im Parlament Verfassungsänderungen verhindern. Dafür reicht ein Drittel der Stimmen.
Geht bei der CDU Parteitaktik vor Verantwortung?
Aus der Union ist zu hören: keine Chance. Eine solche Sperrminorität von AfD und BSW sei gar nicht in Sicht. "Wir dürfen nicht aus der Angst heraus regieren", sagt ein Haushälter. Doch wahr ist auch: Für SPD und Grüne wäre eine offensichtliche Kehrtwende der Union der Beweis für ihre Vorwürfe, dass die Konservativen aus parteitaktischen Erwägungen eine Reform der Schuldenbremse blockieren. Nur, um es dann nach der Wahl selbst zu machen. Diese Debatte kann die Union im Wahlkampf nicht gebrauchen.
Friedrich Merz hat dieser Erzählung mit seinem öffentlichen Kurswechsel aber zu etwas mehr Glanz verholfen. Bei Reiner Haseloff ist ja ohnehin sei Monaten klar, wofür er steht. Dem stern sagt der CDU-Politiker zu den Merz-Forderungen: "Genau das hatte ich schon vor einem Jahr gefordert."