An ihrem ersten Parteitagsabend bejubeln die Demokraten Präsident Biden minutenlang; womöglich mehr als je zuvor. Der präsentiert seine Erfolge, attackiert Trump und spricht über die "beste Entscheidung seiner Karriere".
Eine Stunde lang ringt Joe Biden mit seinem Vermächtnis und der Zukunft. Beim Parteitag der Demokraten ist es der amtierende US-Präsident, der ja eigentlich selbst Kandidat hatte sein wollen, der zum Abschluss des ersten Tages spricht. Der zunächst minutenlang nicht zu Wort kommt, weil die Halle in Chicago kopfsteht. Dem die Begeisterung und Zuneigungsbekundungen der Tausenden Delegierten die Tränen in die Augen treiben. Die Partei ehrt Biden für sein Leben als Politiker und für seine Präsidentschaft. Hätte er nicht doch noch seiner Vize Kamala Harris den Vortritt gelassen und das Duell gegen Donald Trump im November verloren: Wer weiß, wie er verabschiedet worden wäre?
Einige Stunden zuvor verschickte die Demokratische Partei bereits eine E-Mail. "Wir schulden Joe Biden unseren Dank", ist sie betitelt, enthält ein Bildschirmfoto des Moments, als der Fernsehsender CNN ihn 2020 nach lang gezogenen Tagen zum Wahlsieger erklärt hatte. "Erinnern Sie sich an die Freude und Erleichterung, die Sie fühlten?", fragen die Verfasser die Empfänger: "Können Sie sich entsinnen, wie viele Male etwas geschah und Sie froh waren, dass Joe Biden unser Präsident war und nicht Donald Trump?"
Es hätte sein Parteitag sein sollen, für vier weitere Jahre im Weißen Haus. Doch Biden kann nicht mehr zurück. Harris hat längst seinen Platz eingenommen, sie wird am Donnerstag die Kandidatur akzeptieren. Biden kann ihr nur noch den Weg bereiten - und loslassen. Er wird als erster US-Präsident seit Lyndon B. Johnson im Jahr 1968 in die Geschichte eingehen, der darauf verzichtete, für eine zweite Amtszeit anzutreten. Auch diesem Schritt gilt der Jubel. Die Erfolgschancen der Demokraten sind seither deutlich gewachsen. "Ich liebe meinen Job", wird Biden dazu sagen: "Aber ich liebe mein Land mehr." Er wird auch den Kontrast zu Trump herausstellen: "Man kann sein Land nicht nur lieben, wenn man gewinnt."
"Hoffnung kommt zurück"
Biden nimmt die Anwesenden mit zurück, als er entschied, gegen Trump anzutreten, als "Neonazis, Rassisten und der Ku-Klux-Klan marschierten", ihnen der Hass und Geifer anzusehen gewesen seien. Die NATO in Trümmern lag, wie er sagt. Er zählt seine Erfolge als Präsident auf: das Infrastrukturpaket, der Anschub zum Umbau zu erneuerbaren Energien, die neuen Chipfabriken, die schärferen Waffengesetze, mehr Krankenversicherte als je zuvor. "Mit jedem Job und jeder Fabrik kommt die Hoffnung zurück", sagt Biden. Die Rede ist eine Zusammenfassung seiner Präsidentschaft, Versatzstücke aus vergangenen Reden.
Doch immer dann, wenn es ein wenig zu viel wird, bekommt er die Kurve und lobt Harris: Sie werde damit weitermachen, was ich begonnen habe. Biden ist zugleich seine Abneigung gegen Trump überdeutlich anzumerken. Wenn er gegen den Republikaner austeilt, wird er richtig ungehalten. "Wir werden Einwanderer nicht dämonisieren", versichert er unter anderem. Er glaube an das Recht der Frauen, über ihren Körper zu entscheiden, womit er sich auf das Ende des allgemeinen Abtreibungsrechts in den USA bezieht. "MAGA-Republikaner haben die Macht der Frauen 2022 gespürt. Und Donald Trump wird sie 2024 spüren." Die Halle jubelt Biden zu.
Der Präsident behandelt Harris anders, als es Barack Obama mit ihm tat. Biden war wesentlich erfahrener, als er Obama bei den Vorwahlen 2008 unterlag und acht Jahre lang dessen Vize und Freund wurde. Doch als er 2016 selbst als Präsident ins Weiße Haus wollte, stellte sich Obama quer: Er drängte Biden zum Verzicht zugunsten Hillary Clintons. Als Biden vier Jahre später doch noch antrat, die Wahl gewann und vereidigt wurde, war er 78 Jahre alt und der älteste US-Präsident jemals.
Da gab es schon zwei öffentliche Bilder von Biden: das lange Zeit dominierende des erfahrenen Senators, des mit allen Wassern gewaschenen Verhandlers und Vermittlers in Washington. Einer, der nach vier Jahren des Chaos und schlingernden Corona-Politik von Trump wieder Vernunft in die US-Hauptstadt bringen würde. Das andere Bild zeigte einen alternden Mann im Spätabend seiner politischen Karriere. Der früher stotterte und den seine ganze Karriere über die eigenen Versprecher plagten.
Je länger Bidens Amtszeit dauerte, desto stärker rückte dieses Bild in den Vordergrund; als Biden schließlich Ende Juni beim Fernsehduell gegen Trump vor den Augen des Landes mental zusammenklappte, war es das Einzige, überschattete dieses Bild alles vorangegangene. Nun steht Biden inmitten von Tausenden in der Halle von Chicago und muss sich damit arrangieren, dass die Partei, die ihn nicht mehr als Kandidat wollte, ihn dafür feiert, Platz zu machen. Trotz seiner erfolgreichen Präsidentschaft und seiner Pläne. Wenn es nach ihm geht, soll die nun Harris weiterführen. "Sie ist hart im Nehmen, erfahren und enorm integer", lobt er.
Ab jetzt geht es um die Zukunft
Sollte Harris im November die Wahl gewinnen, möchte Biden ihr offenbar so viel wie möglich hinterlassen. Vor rund vier Wochen und wenige Stunden, bevor er per Brief seinen Verzicht auf die Kandidatur erklärte, hatte er Jeffrey Zients angerufen, seinen Stabschef im Weißen Haus, schreibt die "New York Times". "Wir haben noch sechs Monate", erinnert sich Zients demnach an Bidens Worte. "Und ich möchte, dass diese sechs Monate so produktiv sind wie alle anderen sechs Monate, die wir bisher hatten." Es geht demnach nicht nur um Gesetze, sondern auch darum, thematische Pflöcke einzuschlagen. So wie für eine spätere Reform des Obersten Gerichtshofs oder des Wahlrechts.
Biden versöhnt sich an diesem Abend auch mit seiner Karriere und den Demokraten, die ihn aus der Kandidatur drängten. "Es gibt all dieses Gerede, dass ich sauer auf die bin, die sagten, ich solle Platz machen. Das stimmt nicht", sagt er. Über allem stehe, dass Trump geschlagen und Kamala Harris und Tim Walz gewählt würden. Als er seine Entscheidung, Harris zu seiner Vizekandidatin zu machen, die beste Entscheidung seiner Karriere nennt, legt diese auf der Tribüne ihre Hand aufs Herz. Am Ende seiner Rede fügt Biden noch etwas hinzu. Er zitiert die Strophe aus einem Song, der mit der Zeile endet: "Amerika, ich habe Dir mein Bestes gegeben." Der Jubel ist ohrenbetäubend. Kurz darauf umarmen sich Harris und Biden auf der Bühne. Biden ist, obwohl noch im Amt, schon Vergangenheit. Ab jetzt geht es bei den Demokraten um die Zukunft.