Ab Dezember fließt kein russisches Gas mehr durch die Ukraine nach Westen. Das wird teuer für die Verbraucher, warnt der Kreml. Aber zu Panik besteht kein Grund
Lange war es eine Horrorvorstellung: Die Pipelines aus Russland liefern kein Gas mehr. Deutschland ist davon schon lange nicht mehr abhängig. Aber die Österreicher, Ungarn und Slowaken hängen noch am russischen Gas aus der Röhre. Und das kommt bald nicht mehr. "Es ist vorbei", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj – und bestätigte damit, dass der vor fünf Jahren geschlossene Vertrag über die Nutzung einer ukrainischen Leitung nicht verlängert wird und im Dezember ausläuft. Russland drohte kurz nach Selenskyjs Ankündigung mit Unheil. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow warnte die europäischen Verbraucher: Nun werde für sie die Versorgung viel teurer. Doch daran gibt es erhebliche Zweifel.
Gaspreis stieg durch Krieg in der Ukraine
Durch den Ukraine-Krieg hat sich der Gaspreis zwischenzeitlich vervielfacht, bis zu 40 Cent für die Kilowattstunde mussten private Neukunden den Gasanbietern in Deutschland nach dem Überfall Russlands auf das Nachbarland 2022 zahlen. Doch seitdem ist der Preis wieder auf unter zehn Cent gesunken. Milde Witterung trug dazu ebenso bei wie die laue Konjunktur, die den Energiebedarf der Wirtschaft begrenzte. Vor allem aber haben Flüssiggasimporte sowie Einfuhren aus den Niederlanden und Norwegen die Lücken geschlossen.
Dass die Ukraine nun die Lieferungen über die einzige noch genutzte Pipeline auslaufen lässt, ist nicht wirklich überraschend. Das Land wollte sich in den vergangenen Jahren als vertragstreu zeigen, hat aber kein Interesse daran, Russland weiter bei seinen Energiegeschäften zu helfen. Die Ukraine nimmt dafür hin, dass sie Gastransitgebühren verliert, die im vergangenen Jahr nach Angaben der Zentralbank bei 1,4 Milliarden Euro lagen.
Kriegsschäden könnten Preis treiben
Die letzten westlichen Kunden des russischen Pipeline-Gases reduzieren bereits ihre Abhängigkeit. In Österreich etwa kamen 98 Prozent der Gasimporte noch Ende 2023 aus Russland, bis zum Juni dieses Jahres wurde der Anteil auf 83 Prozent gesenkt. Flüssiggas ist auf dem Weltmarkt reichlich und zu fairen Preisen verfügbar. Diskutiert wird auch über die Lieferung von Gas aus Aserbaidschan, das allerdings über russisches Territorium geleitet werden müsste. Zudem liefert Russland trotz aller Sanktionen auch in erheblichem Ausmaß Flüssiggas in die Europäische Union. Nach Angaben der finnischen Forschungseinrichtung CREA allein im ersten Halbjahr 2024 für 3,6 Milliarden Euro. Ungarn bezieht sein Gas aus Russland ohnehin zu großen Teilen über eine Leitung, die durch das Schwarze Meer in die Türkei führt.
Preisausschläge sind vor allem zu erwarten, wenn die Pipeline durch den Krieg beeinträchtigt wird. Das kann jeden Tag geschehen, da der russische Gasknotenpunkt Sudscha genau in dem Grenzgebiet liegt, in das die ukrainischen Truppen vorgestoßen sind. Die Offensive trieb Anfang August den Gaspreis an der niederländischen Börse TTF auf knapp 40 Euro pro Megawattstunde, den höchsten Stand seit Jahresbeginn. Inzwischen ist er leicht gesunken. Das "Handelsblatt" zitierte Experten, die weit weniger alarmistisch klangen als der Kreml. Ein Analyst sagte: "Bei einer plötzlichen Unterbrechung der Ukrainetransite könnte der Gaspreis auf 45 Euro pro Megawattstunde steigen und sich für einige Wochen dort halten, bis sich alle Länder davon überzeugt haben, dass sie auf anderem Wege Gas beziehen können.