Medienberichten zufolge zeigt sich die Biden-Regierung "offen", die Ukraine mit JASSM-Langstreckenraketen auszurüsten. Nun soll Insidern zufolge eine Einigung kurz bevorstehen. Aufgrund technischer Fragen dürfte eine Lieferung allerdings noch einige Zeit dauern.
Die USA stehen Insidern zufolge kurz vor einer Vereinbarung über die Lieferung von Marschflugkörpern mit großer Reichweite an die Ukraine, die tief ins Innere Russlands gelangen könnten. Allerdings müsse die Regierung in Kiew noch mehrere Monate auf die Raketen warten, da die USA vor einer möglichen Lieferung noch technische Probleme lösen müssten, teilten drei US-Quellen der Nachrichtenagentur Reuters mit. Die Entscheidung solle im Herbst mitgeteilt werden.
Bei den Waffen handelt es sich demnach um Joint Air-to-Surface Standoff Missiles (JASSM), also um konventionelle Luft-Boden-Marschflugkörper mit einer mittleren bis großen Reichweite. Sie können von Flugzeugen aus auf Ziele am Boden abgeschossen werden. Eine Lieferung von JASSMs an die Ukraine könnte deren strategische Möglichkeiten erheblich verbessern und ihr einen Vorteil gegenüber Russland verschaffen.
Militäranalysten gehen davon aus, dass die Lieferung der Marschflugkörper die Russen dazu zwingen könnte, ihre Aufmarschgebiete und Nachschubdepots um Hunderte Kilometer ins Hinterland zu verlegen. Dies würde Moskaus Fähigkeit, seine Offensivoperationen aufrechtzuerhalten, erheblich erschweren und der Ukraine möglicherweise einen strategischen Vorteil verschaffen.
Optimiert gegen Störungen der GPS-Navigation
Das US-Magazin "Politico" berichtete Mitte August, dass sich die Biden-Regierung "offen" zeige für die Ausstattung der ukrainischen Streitkräfte mit JASSMs. Ältere Modelle, die von Lockheed Martin hergestellt werden, haben eine Reichweite von 370 Kilometer. Die etwa 4 Meter langen Raketen nutzen ein Trägheitsnavigationssystem (INS) und GPS, um ihr Ziel zu finden. Ein bildgebendes Infrarotsystem mit automatischer Zielerkennung sorgt für eine hohe Genauigkeit beim Anflug auf das Ziel.
Die Marschflugkörper sind zudem optimiert gegen Störungen der GPS-Navigation, was für die Ukraine von großem Vorteil wäre. Es gibt auch eine Version mit größerer Reichweite, die mehr als 800 Kilometer weit fliegen kann. Laut Reuters sei es aber wahrscheinlich, dass Washington die Marschflugkörper mit kürzerer Reichweite in Erwägung ziehe, da diese die eigenen Bestände weniger belasten würden.
JASSM-Einsatz bereits in Syrien
Die Bereitstellung von JASSM-Raketen für die Ukraine würde auch den Druck auf Washington erhöhen, die Beschränkungen für die Verwendung von US-Waffen durch die Ukraine aufzuheben, da deren Wirkung begrenzt wäre, wenn sie nicht für den Einsatz gegen Ziele in Russland freigegeben wären, sagte ein Mitarbeiter des Kongresses, der sich mit dem Thema befasst, zu Reuters.
Obwohl ältere Modelle möglicherweise weniger widerstandsfähig gegen elektronische Kriegsführung seien, könne der Infrarot-Suchkopf dem System dabei helfen, sein Ziel auch bei starken Störsignalen zu finden, sagte George William Herbert vom Middlebury Institute of International Studies gegenüber Reuters. "Vor ein paar Jahren wurden nach Zwischenfällen mit chemischen Waffen eine Reihe von Raketen auf Syrien abgefeuert, und die russischen Luftabwehrsysteme im Land konnten viele davon nicht abschießen, möglicherweise sogar keine", so Herbert.
Im Gespräch mit ntv.de hatte Markus Reisner, Oberst des österreichischen Bundesheeres, bereits im April das JASSM-System ins Spiel gebracht als mögliche Alternative zur Lieferung von Taurus-Lenkwaffen. Zwar hat die infrage stehende Variante der JASSM nicht ganz die maximale Taurus-Reichweite von 500 Kilometern. Doch die Marschflugkörper können Ziele in größerer Entfernung treffen als die bisher von Frankreich und Großbritannien gelieferten Storm-Shadow- beziehungsweise SCALP-Marschflugkörper.