Peking will die Welt nach chinesischem Vorbild in eine große Diktatur umwandeln. Auch in Deutschland arbeitet ein Netzwerk im Verborgenen daran und ist schon weit gekommen. Die deutsche Politik schaut weg – und macht sich in Teilen sogar zum Komplizen.
An der Decke surren Neonröhren, entfernt quietschen Autoreifen. Wir treffen den Informanten in einer Tiefgarage. Er hat Angst, will auf keinen Fall, dass wir seinen Namen nennen. Denn das kommunistische Regime in Peking vergisst nicht und Kritiker werden hart verfolgt. Als wir den chinesischen Informanten sprechen, recherchieren wir bereits seit Längerem zu einer vertraulichen Liste, die uns zugespielt wurde. 47 Personen stehen darauf, alle sollen sie Ansprechpartner der sogenannten Einheitsfront, einer verdeckten Struktur der Kommunistischen Partei Chinas, in Deutschland sein. "Das ist ein richtig großes Netzwerk", bestätigt der Mann in der Tiefgarage. "Die sind für Propaganda verantwortlich. Aber sie versuchen auch zum Beispiel Stadträte zu beeinflussen. So wollen sie auf die Lokalpolitik einwirken."
Es war nicht leicht, die Spur der einzelnen Personen aufzunehmen. In einem Journalistenverbund von 21 Investigativ-Reportern aus zehn Ländern recherchierte RTL die Liste exklusiv für Deutschland. Auf verschlungenen Wegen war das geleakte Dokument, eine Datei mit Hunderten von Namen in Dutzenden Ländern, in unsere Hände gelangt. "Ein Freund aus Festlandchina hat mir die Liste mit Unterstützern der Einheitsfront der KPCh gegeben", hatte die Ursprungsquelle mitgeteilt. Aufgelistet sind Namen, Handynummern, Festnetzanschlüsse, private und berufliche Mailadressen, Namen von Vereinen und Vereinigungen, viele davon Tarnorganisationen der Einheitsfront.
Heute, anderthalb Jahre nach Beginn der Recherchen, steht fest: Das Einheitsfront-Netzwerk ist in Europa schon sehr weit gekommen. Und in Deutschland gibt es - zumindest wenn es nach den Einträgen auf der geleakten Liste geht -nach Frankreich die meisten sogenannten Einflussagenten in der EU.
Einheitsfront für Mao Zedong eine "Zauberwaffe"
Bei den Personen handelt es sich um "Auslandschinesen", die in Deutschland mit ihrem ursprünglichen chinesischen Pass leben oder aber eingebürgert wurden. Sogar die Nachfahren von chinesischen Zuwanderern hat das Regime im Visier, insgesamt 60 Millionen chinesisch-stämmige Menschen auf der ganzen Welt. "Die sollen enger an die Partei gebunden werden", sagt Mareike Ohlberg vom German Marshall Fund. "Mit denen möchte man in Kontakt bleiben, sodass man sie quasi als Kraft für die Partei nutzen kann." Seit Jahren analysiert die Chinaexpertin die heimlichen Unterwanderungsstrategien der Einheitsfront, von denen in Deutschland wenig bekannt ist - bei der die chinesische Seite aber auch auf tatkräftige Unterstützung deutscher Politiker und Wirtschaftslenker vertrauen kann.
"Bei der Einheitsfrontarbeit geht es darum, Personen außerhalb der Partei für die Partei einzuspannen, um die chinesischen Ziele zu erreichen", sagt Peter Mattis, der früher für den amerikanischen Geheimdienst CIA gearbeitet hat und heute die Jamestown Foundation in Washington D.C. leitet.
Die "Abteilung für Einheitsfrontarbeit" gehört zur Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Schon Mao Zedong hat die Organisation als "Zauberwaffe" des Regimes beschrieben. Dahinter steckt die Idee, sämtliche relevanten Kräfte aus Politik und Gesellschaft, die nicht zur KPCh gehören, in der Einheitsfront zu vereinen und auf Linie zu bringen. Seit vor zwölf Jahren Xi Jinping die Macht in der Volksrepublik ergriffen hat, wird das System immer stärker auch auf das Ausland ausgeweitet, was in den westlichen Staaten jedoch kaum bekannt ist.
Hier haben die Kommunisten zumeist einflussreiche aus China stammende Personen im Blick, die Diaspora-Vereinen vorstehen oder über gute Beziehungen in Politik und Wirtschaft verfügen, um mithilfe der Personen verdeckt Stimmung für das kommunistische Regime zu machen oder womöglich auch politische Entscheidungen zu beeinflussen. Genauso zielt die Einheitsfront darauf ab, die Fäden hinter wichtigen Unternehmen zu ziehen, um so Chinas Wirtschaft Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
Kontakte bis hinauf zum Bundeskanzler
Mehrere Personen auf der Liste werden mit deutschen Konzernen in Verbindung gebracht. So wie Mei Weiping, der im Alumninetzwerk der Konrad-Adenauer-Stiftung mitmischt und bis vor Kurzem an der Spitze einer Tochter des Beiersdorf-Konzerns saß. In China organisierte er eine Kooperation mit einer Universität, bei der auch wertvolles Wissen aus dem Unternehmen an die chinesische Seite floss. Zeitgleich pflegt er offenbar enge Beziehungen zum kommunistischen Regime. Als Vertreter der Auslandschinesen nahm er an der Konsultativ-Versammlung des chinesischen Volkes teil, einer Einheitsfront-Veranstaltung. Auf Einladung der Machthaber besuchte er mehrfach als Ehrengast Militärparaden, wo er die militärische Stärke der Volksrepublik pries. Auf Nachfragen zu seinem Engagement für die Einheitsfront antwortete Mei nicht.
Der Influencerin Liu Yuanhua folgen in Deutschland mehr als 400.000 Menschen bei Facebook, Instagram und TikTok. Sie betreibt in Mannheim eine Praxis für traditionelle chinesische Medizin. Die Heilpraktikerin steht aber auch auf der geleakten Kontaktliste der Einheitsfront, als Ansprechpartnerin für die Rhein-Neckar-Region, wo sie eine chinesische Schule leitet und sich in einem chinesischen Kulturzentrum engagiert.
Besonders interessant dürfte die Medizinerin für die kommunistischen Strippenzieher jedoch als Verbindung in die deutsche Politik sein. Es gibt Fotos, auf denen Liu mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, mit Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und dem Stuttgarter Finanzminister Danyal Bayaz zu sehen ist. "Keiner hat ihnen gesagt, dass sie Stimmung für die kommunistische Partei machen sollen?", fragen wir Liu. "Nein, wie kommen sie darauf?", antwortet die Frau. Als wir Liu mit der Liste konfrontieren, bestreitet sie, sich für das kommunistische Regime einzusetzen.
Eine andere Person, Kwong Weisen, hat ebenfalls beste Kontakte bis in die Spitze der Bundespolitik. Schon vor Jahren posierte der Gastronom mit dem Hamburger Ersten Bürgermeister Henning Voscherau auf einem Bild. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz ist offenbar schon länger im Restaurant ein gern gesehener Gast, was Fotos belegen. In Hamburg steht der Gastronom laut Liste einem Verein von Auslandschinesen vor, Recherchen auf chinesischen Webseiten bestätigen die Verbindung. "Der ist in einer zentralen Rolle bei einer Organisation in Deutschland", bestätigt Chinaexpertin Ohlberg. Vor nicht allzu langer Zeit traf Kwong in China gemeinsam mit seinem Sohn einen Vertreter aus dem Apparat der Einheitsfront.
Bei den Kontaktpersonen der Einheitsfront handelt es sich nicht um klassische Spione - vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass sie als "Einflussagenten" agieren. Personen also, die im Westen Stimmung für China machen, die chinesische Community kontrollieren oder Kritiker zum Schweigen bringen sollen. Ganz im Sinne Xi Jinpings, der seit zwölf Jahren sein Land immer mehr in eine knallharte Ein-Mann-Diktatur verwandelt - mit dem Ziel, die Weltherrschaft zu erlangen. Und dafür hofft Peking auch auf sein einflussreiches Netzwerk in Deutschland. "Wenn der Kommunistischen Partei das gelingt", sagt Peter Mattis den schwedischen Recherche-Partnern von TV4, "dann wird die Welt ein sehr viel dunklerer Ort werden."