Ihr kennt doch alle das Ubuntu-Logo "Circle of Friends". In der Mitte des Titelbilds seht ihr die erste Version aus dem Jahr 2004. Seitdem hat sich das Logo zweimal weiterentwickelt. Die Firma Canonical hat das Logo damals gerne mit echten Menschen nachgebildet. Der Brand-Name wurde nicht von Mark Shuttleworth erfunden, sondern aus den Bantusprachen der Zulu und der Xhosa entlehnt und bedeutet in etwa „Menschlichkeit“, „Nächstenliebe“ und „Gemeinsinn“ sowie die Erfahrung und das Bewusstsein, dass man selbst Teil eines Ganzen ist. Ubuntu kann aufgefasst werden als „gemeinsam zu Menschen werden, einander wechselseitig menschlich machen“.
Vor zwanzig Jahren traf das genau den Nerv der Community und verhalf der Firma Canonical zu ihrem grossen Erfolg. Ubuntu wurde breit akzeptiert und bescherte Linux generell eine grosse Aufmerksamkeit. Für viele unserer Leser:innen war Ubuntu der Einstieg in die Linux-Welt. Dafür gebührt Mark Shuttleworth aller Respekt, insbesondere, da er dieses Projekt aus seinem Privatvermögen finanziert hat.
In den vergangenen 13 Jahren hat Canonical, das Unternehmen hinter Ubuntu, einige Entscheidungen getroffen, die zu Kritik in der Community geführt haben:
- Die Einführung der Unity-Desktop-Umgebung in Ubuntu 11.04 wurde von vielen Nutzern als unglücklich empfunden. Viele bevorzugten die traditionelle GNOME-Oberfläche, und die Entscheidung, Unity als Standard-Desktop zu verwenden, führte zu einer Spaltung innerhalb der Community.
- Canonical hat Snap als bevorzugtes Paketformat eingeführt, was auf gemischte Reaktionen stiess. Kritiker bemängelten, dass Snap-Pakete nicht so transparent und flexibel wie traditionelle DEB-Pakete sind. Zudem gab es Bedenken hinsichtlich der zentralisierten Kontrolle über Snap und der Abhängigkeit von Canonical.
- Die Einführung von Funktionen wie dem "Amazon-Search"-Feature in Ubuntu 12.10, das Nutzerdaten an Amazon sendete, sorgte für erhebliche Datenschutzbedenken. Obwohl Canonical später die Möglichkeit bot, diese Funktion zu deaktivieren, blieb der Eindruck bestehen, dass die Privatsphäre der Nutzer nicht ausreichend respektiert wurde.
- Canonical investierte in die Entwicklung des Mir-Display-Servers, was zu Spannungen mit der bestehenden X.org-Community führte. Viele Entwickler und Nutzer waren skeptisch gegenüber der Notwendigkeit eines neuen Display-Servers und der Fragmentierung der Desktop-Umgebungen.
- Die Entscheidung von Canonical, sich stärker auf Cloud- und IoT-Lösungen zu konzentrieren, führte dazu, dass viele in der Community das Gefühl hatten, dass die Desktop-Version von Ubuntu vernachlässigt wurde. Dies führte zu einer Abwanderung von Nutzern zu anderen Distributionen.
- Einige Mitglieder der Community fühlten sich von Canonicals Entscheidungen und der Kommunikation des Unternehmens ausgeschlossen. Es gab das Gefühl, dass wichtige Entscheidungen ohne ausreichende Rücksprache mit der Community getroffen wurden.
Habe ich etwas vergessen? Diese Faktoren haben dazu beigetragen, dass Canonical in der Wahrnehmung vieler Nutzer und Entwickler in der Linux-Community in Missgunst geraten ist. Vielleicht hat Mark Shuttleworth keine Lust mehr, den wohlmeinenden Diktator zu spielen, als den er sich gerne bezeichnet hat. Schaut man auf seinen letzten Move in der vergangenen Woche, klingt es nach einem "hold my beer", um diese These zu bestätigen. Am 19. November titelt der Canonical-Blog:
Canonical bietet die ideale Plattform für Microsoft Azure IoT
Dass Microsoft bezüglich der Aussage: "Linux ist ein Krebsgeschwür" widerrufen hat, ist ja nichts Neues. Doch selbst heute gehört Microsoft nicht zu den grossen Linux-Contributoren, laut LWN.net:
Im Canonical-Blog heisst es:
Canonical hat mit Microsoft als Early-Adopter-Partner zusammengearbeitet und Microsoft Azure IoT Operations auf Ubuntu Core und Kubernetes getestet. Dies ist insofern bemerkenswert, als Microsoft heute Azure IoT Operations veröffentlicht hat, eine einheitliche Datenebene, die erhebliche Verbesserungen bei der Knoten-Datenerfassung, der Edge-basierten Telemetrie-Verarbeitung und der Cloud-Ansprache bietet. Azure IoT Operations ist eine wichtige Komponente des adaptiven Cloud-Ansatzes von Azure, der hybride, Multicloud-, Edge- und IoT-Umgebungen integriert, um eine sichere, skalierbare Automatisierung zu ermöglichen. Dieser adaptive Cloud-Ansatz entspricht den sich entwickelnden Anforderungen des IoT-Marktes und fördert die nahtlose Integration und Interoperabilität über eine vielfältige Landschaft hinweg, während gleichzeitig Silos im Unternehmen abgebaut werden. Unternehmen, die IoT mit Lösungen von Canonical aufbauen, können die neuen Azure-Funktionen sofort in vollem Umfang nutzen, um ihre IoT-Ökosysteme zu verbessern.
Für mich liest sich das so, dass Canonical nun als Microsoft-Reseller für deren Azure-Services im IoT-Bereich auftritt. Canonical ist ein gewinnorientiertes Unternehmen, weshalb sie machen können, was sie wollen. Mir ist das ziemlich egal, kann mir jedoch zwei Sichtweisen auf diese Ankündigung vorstellen:
- Die Zusammenarbeit zwischen Big-IT und dem Anbieter einer freien Linux-Distribution erzeugt Synergien, die allen helfen.
- Der Weiterverkauf von proprietären Technologien durch einen Linux-Distributor verwässert das dringend notwendige Bestreben zu einer europäischen IT-Souveränität.
Meine Meinung dazu könnt ihr euch denken. Der Titel des Artikels hätte auch "Falsche Freunde" lauten können. Wie schätzt ihr das ein? Schreibt es bitte in die Kommentare.
Bildquellen:
https://canonical.com/blog/a-new-look-for-the-circle-of-friends
https://www.xmodulo.com/interesting-facts-ubuntu-linux.html
Quellen:
https://ubuntu.com//blog/ubuntu-for-microsoft-azure-iot
https://de.wikipedia.org/wiki/Ubuntu_(Philosophie)
https://de.wikipedia.org/wiki/Wohlmeinender_Diktator
https://www.heise.de/news/Microsoft-Chef-Ballmer-bezeichnet-Linux-als-Krebsgeschwuer-38381.html
https://lwn.net/Articles/915435/
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