1 month ago

Dunkle Seite des Autokönigs: Warum Elon Musk der moderne Henry Ford ist – aber anders, als er glaubt



Seit Jahren wird Elon Musk mit Henry Ford verglichen – in Bezug auf seine Leistungen in der Autobranche. Doch der Vergleich passt immer mehr auch zu Fords dunklen Jahren. 

Er galt als Visionär: Innerhalb weniger Jahre krempelte Elon Musk den Automarkt um. Holte das Elektroauto aus der Nische heraus und machte es für breite Bevölkerungsschichten attraktiv. So wurde er zum reichsten Mann der USA. Schaut man sich die Parallelen an, ist es kein Wunder, dass Elon Musks Erfolg bei Tesla oft mit dem von Henry Ford verglichen wurde.

In den letzten Jahren haben sich die Parallelen allerdings eher in Fords dunkle Jahre verschoben. Denn nachdem dieser sich aus dem Autogeschäft zurückgezogen hatte, baute er sich noch einmal ein zweites Standbein auf. Spätestens hier sollten Musk die Analogien zu denken geben. Ford kaufte 1919 den "Dearborn Independent", eine Wochenzeitung. Er baute sie nach seinen eigenen Überzeugungen zum persönlichen, politischen Sprachorgan um. Und driftete immer weiter ab.

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Vorbild Ford

Dass Musk Ford als Vorbild sah, ist zunächst erst einmal nachvollziehbar. Als der gebürtige Südafrikaner mit seinem Unternehmen Tesla antrat, war der Markt für Elektroautos praktisch nicht vorhanden. Sein Pioniergeist, seine Vision und seine Beharrlichkeit trugen dazu bei, dass der Markt für Elektromobilität stetig wuchs.

Wie sehr er sich dabei in der Rolle Fords sah, ist auch an der Namensgebung der eigenen Wagen zu sehen: Hatte der Ford Modell T einst das Auto allgegenwärtig werden lassen, versuchte es ihm Musk mit dem Modell S nachzueifern. Aus wenigen Tausend wurden schnell Hunderttausende Autos pro Jahr.

Elon Musk nutzt X als persönliches Sprachrohr

In den letzten Jahren wird dieser Erfolg allerdings durch Musks Kauf von Twitter überschattet. Er werde den Kurznachrichtendienst zu einer Bastion der Meinungsfreiheit machen, hatte er immer wieder betont. In der Praxis bedeutete das aber vor allem eines: Musk ließ sein Team die vermeintliche Zensur konservativer Stimmen zurücknehmen, die er den vorigen Betreibern vorgeworfen hatte, und entließ sämtliche Moderatoren. Einst wegen rassistischer Beleidigungen oder homophober Attacken gesperrte Nutzer durften zurückkehren. Moderation gibt es de facto keine mehr. Selbst irrste Verschwörungstheorien ohne jeden faktischen Kern dürfen als Tatsache verbreitet werden. Die Community soll es mit kleinen Hinweisen richten.

Musk macht dabei fleißig mit. Nicht nur die Gesamtstimmung bei X, wie der Dienst mittlerweile heißt, ist deutlich nach rechts gerutscht. Auch Musks eigene politische Einstellung hat sich spürbar verschoben. Nachdem er immer wieder die Einwanderungspolitik, Transrechte und die Biden-Regierung kritisierte, stellt er sich mittlerweile offen hinter Donald Trump. Die Linke wolle das Land zerstören, ist Musk überzeugt. "Sollte Trump die Wahl nicht gewinnen, dürfte es die letzte sein", prophezeite er düster.

Antisemitismus in Zeitungsform

Diese Art des medialen Kampfes gegen einen klaren Feind betrieb auch Henry Ford. Der nahezu insolvente "Dearborn Independent" wurde unter seiner Führung und dank seiner finanziellen Möglichkeiten zum nationalen Massenblatt. Und zur Speerspitze des Antisemitismus in den USA. 

Ford hasste Juden mit Leidenschaft. Er verbreitete in einer über 91 Ausgaben der Zeitung laufenden Kampagne Verschwörungstheorien. Heinrich Himmler nannte Ford "einen unserer wertvollsten, wichtigsten und schlausten Kämpfer", er wird positiv in Adolf Hitlers "Mein Kampf" erwähnt. Mit dem "Dearborn Independent" erreichte der Judenhass in den USA die Massen. Ford-Händler mussten Ausgaben der Zeitschrift auslegen, sie wurde von fast einer Million Menschen gelesen.

Bühne für Hass

Musk bot dem Judenhass bereits mehrfach eine große Bühne. Das hat auch mit der Funktionsweise seiner Plattform X zu tun. Mit mehr als 200 Millionen Followern ist Elon Musk der mit Abstand meistabonnierte Nutzer bei X, seine Posts werden automatisch auch in den Feeds von Menschen gezeigt, die ihm nicht folgen, wie ein Leak enthüllte. Äußert sich Musk also zu einem Post oder teilt ihn gar selbst, taucht dieser in Millionen von Feeds auf. 

So verbreitete er etwa vor Kurzem ein Interview als "sehenswert", in dem der extrem rechte Moderator Tucker Carlson einen selbsterklärten Holocaust-Experten erklären ließ, warum der millionenfache, systematische Massenmord eigentlich auf Unfähigkeit der Nazis zurückzuführen sei. Musk ruderte zurück, erklärte im Nachhinein, er habe das Interview nicht ganz gesehen.

Ein Einzelfall war es aber nicht. Immer wieder empfahl der Milliardär Accounts offener Antisemiten als Quellen zum Krieg in Israel, verbreitete aktiv antisemitische Verschwörungstheorien. 

Finanzielle Folgen

Wie ernst Musk sein politisches Engagement ist, zeigt vor allem eines: Er lehnt sich immer weiter nach rechts – obwohl X finanziell darunter leidet. Weil sie ihre Produkte nicht neben radikalen oder menschenverachtenden Aussagen sehen wollen, wenden immer mehr Werbekunden dem Kurznachrichtendienst den Rücken zu. Das hat Folgen: Hatte Musk Twitter für 44 Milliarden Dollar gekauft, ist X nach Einschätzung der US-Investmentfirma Fidelity nur noch knapp zehn Milliarden Dollar wert.

Auch Tesla leidet zunehmend unter dem Ruf seines Geschäftsführers. Mit der Elektrowende hatte Musks Firma vor allem moderne, eher umweltbewusst denkende Menschen angesprochen. Die fühlen sich von den öffentlichen Äußerungen des nach wie vor eng mit der Marke verbundenen 53-Jährigen aber zunehmend abgeschreckt. Gleichzeitig holen die klassischen Autohersteller und vor allem Start-ups aus China im Elektro-Markt mächtig auf – das zeichnet für Tesla ein zunehmend düsteres Bild.

Auch Ford beendete seine antisemitische Kampagne erst, als sein Autogeschäft deutlich darunter litt. 1927 stellte er den "Dearborn Independent" ein und entschuldigte sich für den öffentlichen Judenhass. "Er hatte es wirklich auf die Juden abgesehen", witzelte Komiker Will Rogers über Fords Kehrtwende. "Bis er sie in Chevrolets herumfahren sah."

Quellen: Guardian, Yougov, Wall Street Journal, Business Insider, Barrons, Financial Times

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