Frei einsehbarer Code, datensparsamer Betrieb – diese Anwendungen sollte man nutzen, wenn man seine Privatsphäre schützen und sich von den großen Techkonzernen unabhängig machen will.
Datenhungrige Digitalkonzerne leben davon, dass sie unsere Informationen erheben, verarbeiten und weiterverkaufen. Es ist aber möglich, Google, Apple, Meta und so weiter zu umgehen und trotzdem viele digitale Werkzeuge zu nutzen. Dieser Text zeigt, was es für Alternativen gibt. Dabei konzentriert er sich auf Open-Source-Software, denn nur bei dieser kann mensch sicher sagen, was sie eigentlich tut – weil jede/r ihr unter die Haube gucken darf.
Die Suche nach Software-Alternativen „ist wie einen Weg durch den Dschungel finden“, sagt Beatrijs Dikker. Sie ist eine von zwei Vorständ*innen von Topio. Der Verein betreibt einen Marktstand für faire Programme in der Markthalle Moabit, neben einem Asia-Imbiss. Wer will, kann sich hier alternative Betriebssysteme auf seine Geräte spielen lassen und aus vielen quelloffenen und kollektiv erarbeiteten Anwendungen wählen. Nonprofit-Software, extra datensparsam.
Topio gibt Datenschutz einen physischen Raum. Eine Anlaufstelle für Menschen, die sich aus der Abhängigkeit von den großen IT-Konzernen befreien wollen. Wer hier herkommt, kann für Google und Konsorten weitgehend unsichtbar werden. Der Marktstand ist ein kostenloses, niedrigschwelliges Angebot für den (schrittweisen) Ausstieg aus dem Überwachungskapitalismus. Eine Gesellschafts- und Demokratie-erhaltende Maßnahme, findet Dikker. Sie sagt: „Menschen brauchen Privatsphäre. Wenn ich aus schlechterem Hause komme oder arm bin oder mal Probleme hatte, dann ist es ja ein Schutzmechanismus, dass ich teilhaben kann, ohne dass mich negative Datensätze verfolgen.“
„Datenspuren können gegen dich verwendet werden“
Aktuell gäbe es für eine Handvoll Tech-Konzerne immer mehr Nutzungszeit, Aufmerksamkeit und Daten. „Das ist die die Ausgangslage. Und dann haben wir natürlich Situationen, wo Nachrichtendienste oder Strafverfolgungsbehörden Daten einkaufen. Deine Datenspuren können jederzeit gegen dich verwendet werden. Wenn dann mal extremere politische Parteien an die Macht kommen, ist nicht abzusehen, wo das hinführt“, sagt Dikker.
Toni, Aktivist*in in der CryptoParty-Bewegung, sagt: „Als Polizei brauche ich keinen Staatstrojaner installieren, wenn ich Zugriff auf das Google-Konto der Person habe. Ich sehe, welche Bilder hochgeladen werden, welche Anrufe getätigt, welche Sachen gesucht.“
Dikkers Einstieg in den Datenschutz war der Wunsch, sich mit Menschen aus China und der Türkei politisch zu engagieren. „Da war dann plötzlich die Frage: Wie kann ich mit denen sicher kommunizieren?“
Dikker leitet den Verein Topio gemeinsam mit Mitgründer Michael Wirths. Wirths sagt: „Wir haben es erlebt mit algorithmengetriebener Desinformation. Die großen Datenserver ziehen Kräfte aus allen dunklen Winkeln der Welt an, die versuchen, eine Plattform für ihre Sinne zu nutzen. Wir sind auf vielen, vielen Feldern in Schwierigkeiten. Brexit, Erstürmung des Kapitols, der Bundestag sollte auch schon gestürmt werden. Das sind so Bewegungen, wo man sieht, wie eine algorithmengetriebene Gesellschaft in Bewegung geraten und unkontrollierbar werden kann.“
Ein spielerischer Ansatz, mit der Bedrohung umzugehen
Die Betriebssysteme und Anwendungen, die in Dikkers und Wirths antikapitalistischem Softwarestore erhältlich sind, haben die beiden bei ihrem „Weg durch den Dschungel“ gefunden. Und jetzt bieten sie die Früchte ihrer Jagd der Welt an. Nicht nur in der Markthalle, sondern auch auf einem mobilen Marktstand auf einem Fahrradanhänger. Gelegentlich fahren Dikker und Wirths damit zu Bibliotheken oder Stadtteilfesten. In der Auslage liegen zweidimensionale Papp-Früchte, auf denen die Namen von fairen Softwareprojekten stehen. Signal, Jitsi, Wikipedia, WordPress, Audacity zum Beispiel. Es ist ein bunter und spielerischer Ansatz, mit der permanenten Bedrohung unserer Privatsphäre umzugehen.
Wenn es nach Dikker geht, ist der erste Schritt auf dem Weg durch den Dschungel ein neues privatsphärefreundliches Betriebssystem. Auf dem Tisch, an dem sie sitzt, liegt ein Telefon. Sie guckt es an, als wolle sie es hypnotisieren oder zum Schweben bringen. „Ein S10. Das kann man sooo gut flashen“, schwärmt sie.
Mit „Flashen“ meint Dikker das Aufspielen eines neuen Betriebssystems. „Das klassische Android ist eine Datenschleuder. Standort, mit wem du wie lange telefonierst, da gehen ganz viele Metadaten im Hintergrund weg. Dann kommt noch der Gerätehersteller und packt seine Software drauf, dann sind schonmal 200 sichtbare und unsichtbare Apps vorinstalliert, die alle verschiedene Berechtigungen haben.“ Was für eine Datenschleuder allein die Hintergrund-App „Google Play Dienste“ ist, hat mobilsicher.de aufgeschrieben.
Eine Auswahl freier Software
Statt mit einem herstellerabhängigen Android, das meist proprietäre Komponenten enthält, kann man sein Gerät mit den alternativen Androids GrapheneOS oder CalyxOS betreiben, oder die Datenschleuderei mit microG einschränken. Wem das zu aufwändig ist, der kann auch gebrauchte Smartphones mit fertig aufgespieltem alternativem System bei Topio kaufen.
Egal ob mit freiem oder proprietärem Betriebssystem sei es außerdem wichtig, die konzerneigenen Softwarestores zu umgehen. Statt des Play Stores könne man sehr gut den F-Droid-Store nutzen, der nur quelloffene Software anbietet, sagt Dikker. PRISM Break bietet ebenfalls eine Auswahl freier Software für verschiedene Bedürfnisse. Auf switching.software kann man sogar aussuchen, welches Digitalkonzernprodukt man gerne mit freier Software ersetzen möchte und bekommt dann verschiedene Angebote.
Mobilsicher.de und systemli.org empfehlen auch eine Auswahl freier und datenschutzfreundlicher Software. Apps aus dem Google-Play-Store gibt es über Aurora Store ohne Angabe persönlicher Zugangsdaten. Auf appcheck.mobilsicher.de steht, wie viele Tracker die jeweils so beinhalten.
Taschenlampe für Datenschutz
Simple Apps wie Taschenlampe, QR-Scanner oder Notizzettel, und auch Spiele wie Solitär, Minesweeper oder Schiffe versenken in einer datenschutzfreundlichen Version haben Mitarbeiter*innen der Forschungsgruppe Secuso des Karlsruher Instituts für Technologie programmiert.
Ein interessanter Openstreetmap-basierter Kartendienst ist Organic Maps. Die App sammelt keine Daten und ist auch offline nutzbar.
Für Menschen, die kollaborativ an Texten arbeiten möchten, bietet das Ende-zu-Ende verschlüsselte Proton Drive seit kurzem eine derartige Funktion. CryptPad lässt sich auch dazu nutzen.
Datensparsame Suchmaschinen sind DuckDuckGo, Searx und Startpage.com.
Es könne vorkommen, sagt Dikker, dass die freundlichen Softwarevarianten nicht immer so gut funktionieren wie das Großkonzernprodukt. Für sie sei das wie bei Bio-Lebensmitteln: „Da gibt es auch mal eine krumme Möhre mit Macke, aber die ist mir trotzdem lieber als eine aus der Großindustrie.“
Mehr Tipps zur digitalen Selbstverteidigung gibt es hier und unter netzpolitik.org/digitale-selbstverteidigung.
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