Der Kanzler stiftet Hoffnung: In der Ukraine merken sie: Merz macht nicht den Scholz

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Mit seinen Counterparts aus Großbritannien, Frankreich und Polen reist Friedrich Merz zu Wolodymyr Selenskyj. Die "Koalition der Willigen" stärkt der Ukraine den Rücken - und setzt den Kreml mit einer Forderung unter Druck. Der Kanzler setzt damit ein wichtiges Zeichen.

Die Hoffnungen, die in der Ukraine auf den neuen Bundeskanzler Friedrich Merz gesetzt werden, sind groß - wenn nicht enorm, wobei dieses Wort für die Einstellung der ukrainischen Gesellschaft gegenüber den westlichen Partnern eher unpassend ist. Zwar ist die politische Kultur in der Ukraine durchaus emotional geprägt. So haben manche Aussagen von Merz, etwa zur Lieferung der langersehnten Taurus-Marschflugkörper, in Kiew und Umgebung zeitweise beinahe für Begeisterung gesorgt.

Doch die Erfahrungen, die man in der Ukraine mit dem Westen gesammelt hat, sind kompliziert - nicht erst seit der Kehrtwende der US-Politik in der zweiten Amtszeit Donald Trumps. Eigentlich wissen die Ukrainer schon seit der kaum angemessenen Reaktion auf die Krim-Annexion 2014 Bescheid: Im schlimmsten Fall ist man auf sich alleine gestellt. Egal, wie hart dies auch klingen mag.

Trotzdem ist Merz' Reise nur wenige Tage nach seinem holprigen Amtsantritt aus ukrainischer Perspektive ein wichtiges Zeichen. Merz, der ohnehin seit dem russischen Großüberfall im Februar 2022 mehrfach ins kriegsgebeutelte Land reiste, kommt in Begleitung des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron sowie der beiden Ministerpräsidenten, Keir Starmer aus Großbritannien und Donald Tusk aus Polen, um zusammen mit Wolodymyr Selenskyj einen Gipfel der "Koalition der Willigen" anzuführen.

Den Ukrainern fällt dabei vor allem der Unterschied zu Olaf Scholz auf. Unter dem Ex-Bundeskanzler haben die deutsch-ukrainischen Beziehungen bei allen Schwierigkeiten ihren historischen Höhepunkt erreicht. Selenskyj und Scholz wechselten 2023 sogar zum Du. Der SPD-Politiker hielt sich jedoch nicht nur rhetorisch zurück - er reiste seit dem russischen Vollangriff lediglich zweimal in die Ukraine. Ex-Außenministerin Annalena Baerbock schaffte es ganze neunmal.

Kreml inszeniert Kurzzeit-Feuerpausen

Der außenpolitische Hintergrund der ersten Merz-Reise nach Kiew als Bundeskanzler ist schwierig. Seit dem Amtsantritt Donald Trumps versucht der US-Präsident eher vergeblich, einen Waffenstillstand im russisch-ukrainischen Krieg zu erreichen. Dabei hat Trump bisher viel mehr Druck auf die schwächere Ukraine als auf den Aggressor Russland ausgeübt. Doch während Kiew längst zu einem 30-tägigen bedingungslosen Waffenstillstand bereit ist, stellt Moskau weiterhin inakzeptable Vorbedingungen. Erst gestern betonte Kremlsprecher Dimitri Peskow, man sei im Prinzip bereit, doch es gebe reichlich "Nuancen", die beachtet werden sollten. Zu diesen gehört unverändert die Einstellung der westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine und auch der Stopp der Mobilisierung der ukrainischen Armee. Wie sich die Ukraine dann verteidigen sollte, sollte Russland den Waffenstillstand brechen, ist unklar.

Auch davon abgesehen haben aber die beiden bisherigen Waffenstillstandsinszenierungen, zu Ostern und nun für drei Tage rund um den sogenannten "Tag des Sieges" am 9. Mai, gezeigt, wie kompliziert die Angelegenheit in der Praxis doch ist. Zwar hat sich die Anzahl der Langstrecken-Luftangriffe auf das ukrainische Hinterland in beiden Fällen verringert. Für die Menschen in der Ukraine macht es jedoch wenig aus, da sie gerade Anfang dieser Woche noch stärker als sonst beschossen wurden. Die Kämpfe auf dem Boden sowie Luftangriffe auf frontnahe Gebiete gingen sowieso ununterbrochen weiter.

Vor allem im Falle der "Waffenruhe" rund um den 9. Mai liegt die Frage in der Luft, ob sie nicht in erster Linie dafür notwendig war, um die Sicherheit der jährlichen Militärparade in Moskau zu gewährleisten. Nun liegt der gemeinsame Vorschlag der Ukraine, der "Koalition der Willigen" und der USA auf dem Tisch: vollständiger bedingungsloser Waffenstillstand ab dem 12. Mai, überwacht von den Amerikanern. Genau darüber soll Merz in diesen Tagen mit Trump telefoniert haben - sowohl alleine als auch heute von Kiew aus. Sollte Russland das Angebot ablehnen, drohen neue Sanktionen.

Merz setzt auf strategische Mehrdeutigkeit

Für den Moment ist dies für den Kreml, der mit Trump zunächst einmal beinahe eine perfekte strategische Ausgangslage genießen konnte, eine vergleichsweise unangenehme Situation. Dass sich die Ukraine und die wichtigsten westlichen Staaten auf einen konkreten Vorschlag einigten, liegt sicher auch daran, dass Deutschland endlich einen Bundeskanzler hat, der bereit zu sein scheint, der russischen Aggression gegenüber eine klare Linie zu fahren.

Dass Russland dem Angebot aber tatsächlich zustimmt und nicht mit einem klassischen "Ja, aber" antwortet, ist allerdings schwer vorstellbar. Sicherlich gibt es weiterhin bis jetzt nicht erlassene Sanktionen, die Moskau empfindlich treffen könnten. Trotz Peskows Aussage, Russland habe sich an Sanktionen gewöhnt und gelernt, ihre Folgen zu minimieren. Fast der einzige Weg, Russland von seinen Eroberungsplänen in der Ukraine abzubringen, bleibt aber der Ausbau der militärischen Unterstützung des Landes - vor allem seitens der USA. Dass Donald Trump dies vorhat, ist weiterhin nicht abzusehen. Viel wahrscheinlicher ist das Szenario, in dem die Ukraine keine weiteren Lieferungen aus den USA bekommt, wenn die vom Kongress unter Joe Biden bewilligten Hilfen auslaufen.

Für diesen Fall kommt es verstärkt auf Deutschland und auf den neuen Bundeskanzler Merz an. Einen positiven Schritt aus ukrainischer Sicht gab es dazu tatsächlich. "Unter meiner Führung wird die Debatte um Waffenlieferungen, Kaliber und Waffensysteme aus der Öffentlichkeit herausgenommen", betonte er in Kiew. Monatelange öffentliche Diskussionen um Waffensysteme haben in der Vergangenheit nicht zwingend zur in einem solchen Krieg notwendigen "strategischen Mehrdeutigkeit" geführt - und gaben Russland reichlich Zeit, um sich auf entsprechende Szenarien vorzubereiten.

Taurus macht keinen Riesenunterschied

Allerdings hatte hier auch die von Merz vorangetriebene Taurus-Debatte teilweise eine negative Rolle gespielt - aus einem anderen Grund. Zweifellos braucht die Ukraine den Taurus, um die russische Militärinfrastruktur auch auf russischem Gebiet effektiver treffen zu können. Mit einer kleinen Anzahl Taurus-Marschflugkörper wird die Ukraine jedoch keinen Riesenunterschied machen können.

Weiterhin ist der Ausbau der Produktion der Artilleriemunition und der gepanzerten Technik die Hauptpriorität. Debatten um einzelne Waffensysteme verschieben in dieser Hinsicht den Fokus im täglichen brutalen Abnutzungskrieg.

Was die Ukrainer darüber hinaus durchaus positiv stimmen dürfte: Es sieht ganz danach aus, dass die persönliche Chemie zwischen Merz und Selenskyj viel besser stimmt als die zwischen Selenskyj und Scholz. Beim Abschied aus dem Kiewer Marienpalast, wo fast immer hochrangige ausländische Gäste empfangen werden, versicherte Merz seinen ukrainischen Kollegen, dass er ihn immer anrufen kann. Von diesem Angebot wird Wolodymyr Selenskyj wohl öfter Gebrauch machen.

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