Vor einem Jahr haben wir über den Pilotversuch der Schweizer Bundesregierung berichtet, Mastodon als Kommunikationskanal zu testen. Ich nehme an, dass dieser Versuch durch die Fedigov-Initiative der FSFE-Schweiz angeregt wurde. Es gab einen Briefwechsel zwischen der FSFE-Schweiz und der Bundeskanzlei, die uns zuversichtlich gestimmt hat.
Gestern wurden unsere Hoffnungen enttäuscht. In einer Medienmitteilung schreibt die Bundeskanzlei:
Im Rahmen ihres gesetzlichen Informationsauftrags nutzen Bundesrat und Bundesverwaltung seit vielen Jahren die sozialen Medien für ihre Kommunikation. Dabei wird laufend geprüft, ob weitere, bis anhin nicht verwendete Plattformen für ihre Kommunikation in Frage kommen.
Im September 2023 hat die Konferenz der Informationsdienste der Bundesverwaltung (KID) entschieden, einen Pilotversuch auf der dezentralen Plattform Mastodon zu starten. Die Bundeskanzlei hat daraufhin die Instanz social.admin.ch eröffnet, auf der Mitglieder des Bundesrates sowie Departemente offizielle Accounts betreiben konnten. Der Pilotversuch wurde auf ein Jahr befristet.
Mastodon weist einige für die Regierungskommunikation grundsätzlich attraktive Eigenschaften auf. Dank der dezentralen Organisation ist die Plattform der Kontrolle durch ein einzelnes Unternehmen oder staatliche Zensurbehörden entzogen. Ihr Quellcode ist öffentlich zugänglich, sie ist datenschutzfreundlich und wird nicht von Algorithmen getrieben.
Wenige aktive Nutzerinnen und Nutzer
Auf der Instanz social.admin.ch betrieben drei Departemente insgesamt fünf Accounts. Weiter wurde von der Bundeskanzlei ein Account für den Gesamtbundesrat betrieben. Zusammen haben die sechs Accounts des Bundes rund 3'500 Follower erreicht.
Auf Plattformen wie X oder Instagram erreichen Bundesrat und Bundesverwaltung mit vergleichbaren Accounts sehr viel mehr Follower. Weiter weisen die Beiträge der Mastodonaccounts von Bundesrat und Bundesverwaltung eher tiefe Engagementraten (Likes, Teilen, Kommentieren) auf. Und schliesslich geht die Zahl der aktiven Mastodon-Nutzerinnen und Nutzer weltweit wieder zurück.
Die KID erachtet die Bedingungen für eine Weiterführung des Pilotversuchs damit nicht für erfüllt. Die Aktivitäten auf den Mastodon-Accounts von Bundesrat und Bundesverwaltung werden ab heute eingestellt. Die Instanz social.admin.ch wird Ende Monat geschlossen.
Einordnung
Ein Pilotversuch dient der zeitlich begrenzten Auslotung. Nach Ablauf der Zeit kann man die Ergebnisse bewerten und weitere Entscheidungen treffen. Genau das hat die Bundeskanzlei gemacht.
Ich möchte der Bundeskanzlei keinen Vorsatz unterstellen, aber die Durchführung eines Pilotversuchs hat viel mit dem gewünschten Ergebnis zu tun. Je nach Vorgehen kann man ein Versuchsprojekt bewusst an die Wand fahren. Ein Blick auf social.admin.ch gibt Aufschluss:
Da gibt es den Bundesrat mit 1'600 Followern, einen einzigen Bundesrat (Guy Parmelin) mit 294 Followern, das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung, die Departemente des Innern und des Äusseren und die initiierende Bundeskanzlei; alle mit dreistelligen Follower-Zahlen. Ich hätte alle Bundesräte und alle Departemente erwartet.
Schaut man sich im Vergleich das Mastodon-Angebot der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) an, so findet man dort 100 Profile. In der Schweiz sind noch nicht einmal die digital-affinen Behörden vertreten, wie etwa den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB).
Als Gründe für das gescheiterte Pilotprojekt, bzw. die unterbliebene Weiterführung, werden zwei genannt:
- geringe Reichweite
- tiefe Engagementraten
Bezüglich der geringen Reichweite wird ein Vergleich zu X und Instagram genannt. Diesen Vergleich halte ich für blanken Unsinn. Würde man dieser Logik folgen, gäbe es in sämtlichen Wirtschaftssegmenten ab einer bestimmten Zeit im Markt nur noch Monopolisten. Die Aufgabe der Bundeskanzlei wäre es gewesen, zur Steigerung der Reichweite durch ein bevorzugtes und attraktives Angebot beizutragen.
Die Bundeskanzlei behauptet einen weltweiten Rückgang der Mastodon-Anwender:innen, ohne Quellen zu nennen. Ich halte diese Aussage für falsch und belege das Gegenteil:
Vor anderthalb Jahren habe ich von der Überschreitung der 10 Millionen User Grenze bei Mastodon geschrieben. Schaut man heute auf die Zahlen von @mastodonusercount@mastodon.social sieht man 15 Millionen User und ca. 4'000 aktive Instanzen. Von einem Rückgang der aktiven Mastodon-User kann keine Rede sein.
Der Pilotversuch hat sich als Einbahnstrasse in der Kommunikation geriert, was zum geringen Engagement beigetragen hat. Und zwar auf beiden Seiten: bei den teilnehmenden Behörden und in der Bevölkerung. Es gab keine begleitenden Massnahmen, um der Schweizer Bevölkerung die Vorteile einer souveränen und freien Plattform nahezubringen. Ich hätte mir eine Informationskampagne gewünscht, in der die Bundeskanzlei die Bedeutung eines dezentralen und unabhängigen Social Media Angebots als Grundlage für eine starke Demokratie hervorhebt. "Auf beiden Seiten", weil alle Teilnehmenden einer Kommunikation ihren Beitrag leisten müssen. Man hätte von den "Konsumenten" mehr Zuspruch, Nutzung und Verbreitung erwarten können. Da fasse ich mir selbst an die Nase.
In der Medienmitteilung weist die Bundeskanzlei auf "attraktive Eigenschaften für die Regierungskommunikation" hin:
- dezentralen Organisation
- keine Kontrolle durch ein einzelnes Unternehmen oder staatliche Zensurbehörden
- Quellcode ist öffentlich zugänglich
- datenschutzfreundlich
- nicht von Algorithmen getrieben
Und dann kommt im übernächsten Absatz die Überraschung:
- Auf Plattformen wie X oder Instagram erreichen Bundesrat und Bundesverwaltung mit vergleichbaren Accounts sehr viel mehr Follower.
Was soll das bedeuten? Wirft der Bund alle positiven Eigenschaften über Bord, solange man Reichweite hat? Wir wissen, dass diese Social-Media-Kanäle das Einfallstor für Desinformationen sind und schlecht moderiert werden.
Fazit
Man möchte den Austausch mit der Bevölkerung lieber über fragwürdige Plattformen wie X oder Meta abwickeln, als den Schweizer Souverän (das Volk) zu stärken. Mit der Bevorzugung von Medien, die ein Sammelbecken für Diskriminierung und sonstige Menschenverachtung darstellen, wird der Bund seiner Vorreiterrolle nicht gerecht. Hier wurde eine grosse Chance verpasst, Vertrauen in der Bevölkerung zu fördern und mit gutem Beispiel voranzugehen.
Quelle: https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-102585.html
Bildquelle: https://i.ytimg.com/vi/TFdSsPhidhY/maxresdefault.jpg
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