Supermodels sind reich, schön und zickig? Das stimmt nur bedingt, wie gleich zwei Modedokumentationen beweisen. Wir haben uns den Supermodel-Mythos ein wenig näher angeschaut.
Aller Anfang ist schwer. Selbst dann, wenn man ein Supermodel ist. Für Fashionistas und Insider der Modeindustrie sind Namen wie Cindy, Claudia, Linda oder Naomi längst Synonmye für den ganz großen Glamour. Dank der anhaltenden Begeisterung für die Modewelt und die zahlreichen Dokumentationen, die in den vergangenen Jahren veröffentlicht wurden, wird nun auch Outsidern ein Blick hinter die Kulissen gewährt. Aber was ist wirklich dran am Supermodel-Mythos? Und wie haben sich die Ikonen der Neunziger bis heute gehalten?
Die Erfindung der Supermodels
Ende der Achtziger Jahre war das Modebusiness eine abgeschlossene Welt für sich. Nur wenige Menschen außerhalb der Bubble interessierten sich dafür, die Cover der Modemagazine ähnelten sich in gähnender Langeweile. Nach den Powersuits der Achtziger, den Föhnfrisuren und stark geschminkten Models war es Zeit für etwas Neues. Ein Aufbruch musste her, eine radikale Veränderung, die den Weg ins neue Jahrtausend ebnen sollte. Die britische Vogue beauftragte 1990 den Modefotografen Peter Lindbergh († 74) damit, die jungen und aufstrebenden Models Linda Evangelista, 59, Naomi Campbell, 54, Christy Turlington, 55, Cindy Crawford, 58, und Tatjana Patitz(† 56) zu fotografieren. Der Beginn der Supermodel-Ära.
Mit ihrem ultra-glamourösen Auftreten, der Verkörperung eines neuen, selbstbewussten und betont weiblichen Frauenbildes und ihrer realen Freundschaft mischten die Supermodels das angestaubte Modebusiness auf. Wo sie waren, ging die Party ab. Kurze Zeit später gesellten sich Kate Moss, 50, Amber Valletta, 50, Tyra Banks, 50, Eva Herzigova, 51, Helena Christensen, 55, und viele weitere zu ihnen.
Modedokumentationen gewähren einen Blick durchs Schlüsselloch
In den beiden sehr empfehlenswerten Doku-Serien "The Super Models" (Apple TV) und "In Vogue: The 90s" (Disney +) werden die Geschichte der Modeindustrie und die persönlichen Lebenswege der originalen Supermodels nachgezeichnet. Schon nach wenigen Folgen fällt auf: Es war längst nicht alles so glamourös und perfekt, wie es von außen aussah. Rassismus, Fehlverhalten am Set und der harte Kampf, es bis ganz nach oben zu schaffen, haben die Frauen geprägt.
Das machen die Supermodels heu... Ikonen der Neunziger (1198448)
Der legendäre Satz "Für weniger als 10.000 Dollar am Tag stehen wir gar nicht erst auf", den Linda Evangelista in einem Vogue-Interview mit dem Journalisten Jonathan Van Meter sagte, sorgte damals wie heute für große Empörung. Mitten in der Rezession wirkten die Laufstegschönheiten abgehoben, arrogant und rücksichtslos. Aber waren sie das wirklich? Oder hätte man sie auch als kluge Geschäftsfrauen bezeichnen können, die sich nicht hinters ausnutzen lassen, ihren Marktwert genau kennen und das Beste aus einer möglicherweise sehr kurzen Karriere machen wollen? Linda Evangelista bereut bis heute zutiefst, diesen Satz jemals gesagt zu haben. Nicht, weil er unwahr sei, sondern weil sie nicht dafür in Erinnerung bleiben wolle, sondern für ihre Jahrzehnte überdauernde Karriere.
Viel Lärm um nichts
Im Rückblick scheint die Verurteilung von Linda Evangelista und Co. heillos übertrieben. Ja, sie führten ein Luxusleben mit Partys, Jachten und Millionenvillen. Aber sie haben dafür gearbeitet und sich ihren Erfolg verdient. Die ehemalige Chefredakteurin der britischen Vogue Alexandra Shulman, 66, schrieb in einer Kolumne für die Daily Mail kurz nach dem Erscheinen der "In Vogue: The 90s"-Dokumentation, sie könne sich sehr gut an Rechnungen an dieser Zeit erinnern. Und da hätten die Supermodels für ein Vogue-Shooting statt 10.000 Dollar gerade einmal 75 Dollar pro Tag verdient – genauso wie alle anderen auch.
Für John Galliano, 63, den britischen Star-Designer, der 2011 durch einen Skandal geächtet wurde und sich nun reumütig in den Mode-Olymp zurückgekämpft hat, liefen die größten Models ihrer Zeit sogar ganz umsonst. Seine legendäre Ready-to-Wear-Show 1994 präsentierte die "Black Collection" und katapultierte sowohl den Modeschöpfer, als auch seine engen Freundinnen ins internationale Rampenlicht. Bis heute nennt Vogue-Chefin Anna Wintour, 74, diese Show "die Beste aller Zeiten". Und auch Stella McCartney, 53, die Designerin und Tochter von Beatles-Legende Paul McCartney, 82, konnte bei ihrer Abschlusspräsentation am Central Saint Martin's College in London auf die Unterstützung ihrer guten Freundin Kate Moss zählen.
Supermodels – damals wie heute
Man muss kein Modefreak sein oder selbst in dem Business arbeiten, um die Lebensleistung von Cindy, Naomi und Co. wertschätzen zu können. Es stimmt, sie haben der Menschheit keine bahnbrechenden Innovationen beschert, aber sie sind durch harte Arbeit und Disziplin zu Ikonen geworden. Die Emanzipation der Frau hat, so viel ist sicher, zu einem gewissen Teil auch auf den Laufstegen stattgefunden. Bis heute ist die Modelbranche eine der ganz wenigen weltweit, in der Frauen besser bezahlt werden als Männer. Dass die mittlerweile 50- bis 60-jährigen Ladies noch immer als Models tätig sind, sich einer großen Fanbase erfreuen und ihre Namen zu Persönlichkeitsmarken geworden sind, darf ruhig bewundert werden.
Verwendete Quellen: "The Super Models", "In Vogue: The 90s", Amy Odell: "Anna"