
Wie schützen wir uns vor islamistischer Gewalt, wenn der IS Deutschland ins Mark trifft? Bei "Caren Miosga" poltert Herbert Reul gegen die Ampel. Saskia Esken erkennt einen tiefen Schmerz. Ein Polizist erntet Applaus - und Friedrich Merz Kritik.
Die ARD-Talkshow "Caren Miosga" diskutiert am Sonntagabend wegen des Messerangriffs in Solingen, bei dem ein mutmaßlicher IS-Anhänger drei Menschen getötet und mehrere schwer verletzt hat, die Frage der inneren Sicherheit. Es geht nicht um Messerverbote, sondern um den verschärften Ton in der Asylpolitik vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, die Rolle der Polizei - und Deutschlands Kampf gegen die in der jüngeren Vergangenheit wieder angestiegene Gefahr des islamistischen Terrors im eigenen Land.
Herbert Reul soll zu Beginn der Sendung die neuste Faktenlage bereitstellen, aber der CDU-Innenminister Nordrhein-Westfalens verrät wenig. Neue Erkenntnisse über die Motivlage habe er nicht und zur Frage, ob der mutmaßliche Täter wirklich für den IS gehandelt habe, könne er nichts sagen. Das Wichtigste sei, dass die Polizei den 26-jährigen Syrer schnell der Bundesanwaltschaft übergeben konnte. Reul sagt, er "habe den Eindruck", er verhalte sich kooperativ, nachdem er sich gestellt hatte.
Wie konnte es gelingen, dass der Mann die Behörden ausgetrickst hat, möchte Talkmasterin Miosga wissen, schließlich sollte der Syrer bereits länger abgeschoben worden sein? "Abgetaucht ist er rechtlich nicht", erklärt Reul. "Er war immer anwesend, bis auf das eine Mal, als er zur Abschiebung abgeholt werden sollte." Und genau deshalb, stelle er sich "viele Fragen", so der NRW-Innenminister. Sind die Abschiebungsregelungen ausreichend? Sind die derzeitigen Mechanismen überhaupt geeignet? "Ich habe Zweifel. Wir sollten uns das genau anschauen", sagt der CDU-Mann und resümiert: "Im Ergebnis ist das unbefriedigend und es muss nachjustiert werden. Aber nicht mal eben im Fernsehen und aus der Hüfte."
Reul fordert mehr rechtliche Möglichkeiten für Polizei und Verfassungsschutz. Und eine bessere Informationsbeschaffung, denn wegen des Datenschutzes täte man sich in Deutschland damit schwer und sei bezüglich Terrorismusbekämpfung zu sehr von Geheimdiensten aus dem Ausland abhängig. Fehler findet der CDU-Mann vor allem bei der Ampel-Koalition. "Ich bin es satt", wettert er: "Diese Quatscherei über man könnte, sollte, müsste." Die Parteien in Berlin sollten endlich einen Konsens hinbekommen, "anstatt über sich herzufallen".
Polizist beklagt "extreme" Einschnitte in Befugnisse
Das will Saskia Esken nicht auf sich sitzen lassen: "Es hilft nicht, an diesem Abend über Verfehlungen, die es auch in Ihrer Regierung gab, zu sprechen, sondern wir müssen darüber reden, wie wir das Thema in den Griff bekommen", sagt die SPD-Bundesvorsitzende. Man dürfe die Freiheit in Deutschland nicht für den Schutz vor Terrorismus aufgeben, mahnt sie: "Das ist genau das, was der Islamismus will." Esken schlägt vor, Anbieter von der Messenger-App Telegram und sozialen Medien wie Facebook, Instagram und Tiktok noch stärker in die Pflicht zu nehmen, illegale Vorgänge zu melden. Die Umsetzung bestehender Gesetze dafür funktioniere in Deutschland noch nicht gut und insbesondere Telegram strebe sich dagegen.
Vom jüngsten Vorschlag von CDU-Chef Friedrich Merz, einen kompletten Aufnahmestopp für Asylsuchende aus Syrien und Afghanistan vorzunehmen, hält Esken nicht viel. "Es ist ganz klar, dass wir eine Verfassung haben, die dem entgegensteht", sagt sie. "Ein Aufnahmestopp ist nicht mit unseren Gesetzen vereinbar." Außerdem seien "sehr viele von den Syrern und Afghanen auf der Flucht vor dem Terror", der nun wieder Deutschland heimgesucht habe. Gefährder aber sollen abgeschoben werden, auch in diese Länder, so Esken.
Den ersten Applaus aus dem Publikum erhält Jochen Kopelke. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei sieht auch das Internet als "großen Nährboden" für islamistische Terroristen, aber dagegen vorzugehen, würde immer schwieriger. Polizei und Verfassungsschutz müssten endlich zeitgemäß digital ausgestattet werden, fordert er, um im 21. Jahrhundert anzukommen. Noch immer gebe es zu viel Papierkram und der Datenschutz und Befugnis-Einschnitte seien "extrem", dabei liege ein Schlüssel darin, online "mitlesen und die Informationen verwerten zu dürfen". Überdies herrsche ein Ressourcenproblem, so Kopelke, es gebe schlichtweg zu wenig Polizistinnen und Polizisten für die Terrorismusprävention und -bekämpfung.
IS wieder im Aufwind
Talkmasterin Miosga lenkt das Thema anschließend auf die akute Gefahr des islamistischen Terrors in Deutschland. "Jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, hat seit Monaten gewusst, dass so etwas passieren kann", sagt Reul. Esken spricht von einem "brutalen und feigen Anschlag", der "offenkundig einen terroristischen Hintergrund" habe. Die SPD-Bundesvorsitzende erkennt darin ein "Zeichen dafür, dass wir verstärkt in der Gefahr leben, islamistische Angriffe zu erfahren". Dass es "trotz aller Mittel keine hundertprozentige Sicherheit" gäbe, sei "sehr schmerzhaft für unsere Gesellschaft".
Michael Götschenberg, ARD-Experte für Terrorismus und Innere Sicherheit, erklärt, dass es ihn nicht überrasche, dass der Angriff auf einem kleineren Fest geschah und nicht etwa bei der Fußball-Europameisterschaft, weil dort sehr strikte Sicherheitsvorkehrungen herrschten. Zwar sei es einer "Terrororganisation egal, wo ein Anschlag passiert", aber der Angriff auf einer kleineren Veranstaltung sende das bedrohliche "Signal, dass es jeden und überall treffen könnte".
"Wir hatten alle das Gefühl, dass der islamistische Terror in den Hintergrund geraten war", sagt Götschenberg, denn mit dem Verschwinden des IS, dem "leuchtenden Stern der Szene", habe Ernüchterung und Orientierungslosigkeit unter Islamisten regiert. Das sei nun vorbei. Besonders der "Islamische Staat Provinz Khorasan" stelle eine große Bedrohung in Europa dar. Der IS-Ableger ISPK hatte seinen Ursprung in Afghanistan, wobei Khorasan für eine historische Region in Zentralasien steht, die Teile von Afghanistan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan und vom Iran umfasste. "Die Situation im Nahen Osten spielt eine große Rolle" bei Wiedererstarken des islamistischen Terrors, erklärt der Experte, "die Terrororganisation haben das Thema voll für sich erkannt".
Publizistin El-Masrar "spitzt zu"
Sineb El-Masrar beschreibt, wie der IS den Palästinenser-Konflikt nutze, "um westliche Länder zu destabilisieren". Die Terrorgruppe, die übrigens keine guten Beziehungen zur Hamas pflegt, destabilisiere laut der Publizistin, die von 2010 bis 2013 Teilnehmerin der Deutschen Islamkonferenz war, einerseits in der Gesellschaft "das Gefühl von Sicherheit". Aber sie schaffe es auch, "innenpolitisch zu destabilisieren". Das erkenne man nun am Fall Solingen, wo die AfD und rechte Gruppierungen mit dem Anschlag sofort Politik vor den Wahlen in Sachsen und Thürigen betreiben würden.
Aus diesen Gründen sei es wichtig, dass Deutschland sich wieder intensiver mit dem Thema Islamismus befasse und einen Umgang finde. "Ich spitze zu", sagt El-Masrar: "Der Islamismus ist schon lange Teil Deutschlands." Er profitiere hierzulande genauso von linker als von rechter Unterstützung, die gemeinsamen Feindbilder seien immer "Israel und die Juden". Und die Politik habe es nie wirklich geschafft, Islamverbände dahinzubewegen, dass sie klare Kante gegen ihn zeigen. Gerade viele Geflüchtete verstünden laut der Publizistin nicht, "warum dem Islamismus so wenige Grenzen aufgezeigt werden".