Zum ersten Mal seit 1994 wählt Deutschland nicht im September. Die vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar bescheren uns einen Wahlkampf mit Glühwein und Wintermantel. Das könnte auch in Zukunft so bleiben. Ein bisschen Spielraum gibt es aber bei der Wahltermin-Ansetzung.
Die Bundestagswahl am 23. Februar bedeutet nicht weniger als eine terminliche Zeitenwende. Zum ersten Mal seit 31 Jahren wählt Deutschland das neue Parlament nicht im September und zum ersten Mal seit 35 Jahren nicht im Herbst. Überhaupt wurden die Bürgerinnen und Bürger in der Geschichte der Bundesrepublik nur bei 2 der 20 Bundestagswahlen im meteorologischen Winter an die Wahlurne gebeten, und zwar 1987 und 1990. Bald wird sich die Bundestagswahl 2025 in den Kreis einreihen.
Kanzler Olaf Scholz wollte die Neuwahlen erst im März abhalten, die Union pochte auf einen Termin im Januar. Herausgekommen ist ein Kompromiss: Am 11. Dezember wird Scholz die Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag beantragen und diese am 16. Dezember höchstwahrscheinlich verlieren. Ein paar Wochen später wird das aktuelle Parlament aufgelöst und der Winter zur Wahlkampfbühne. Am 23. Februar entscheidet Deutschland schließlich über den neuen Bundestag.
Die vorgezogenen Neuwahlen sorgen dafür, dass der Winter-Wahlkampf zur Normalität bei Bundestagswahlen werden könnte. Vorerst wird Deutschland jedenfalls nicht mehr im September wählen. Die künftige Bundesregierung und der Bundespräsident haben nämlich nur einen stark begrenzten Spielraum bei der Ansetzung des Wahltermins.
Wahlen nach 46 bis 48 Monaten
Spätestens am 30. Tag nach der Wahl muss das neu gewählte Parlament zur konstituierenden Sitzung zusammenkommen. Dann beginnt die neue Wahlperiode. So steht es in Artikel 39 des Grundgesetzes. Für die Wahl im Februar bedeutet das: Spätestens am 25. März findet die erste Bundestagssitzung der neuen Wahlperiode statt. Dieser Tag ist terminlich entscheidend für die darauffolgende Bundestagswahl 2029.
Hält die nächste Regierung die komplette Legislaturperiode zusammen, wird die Wahl 2029 ebenfalls kurz nach dem Jahreswechsel stattfinden. "Die Neuwahl findet frühestens sechsundvierzig, spätestens achtundvierzig Monate nach Beginn der Wahlperiode statt. Im Falle einer Auflösung des Bundestages findet die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen statt", so der exakte Wortlaut in Artikel 39 des Grundgesetzes. Die einzige Ausnahme wäre also der erneute Koalitionsbruch.
Geht man davon aus, dass sich der nächste Bundestag Mitte März konstituiert, darf die Bundestagswahl 2029 auf einen Termin zwischen Mitte Januar und Mitte März gelegt werden. Um die besinnlichen Weihnachts- und Neujahrstage vom Wahlkampf-Getöse zu verschonen, wäre es ratsam, einen Wahltermin im März anzupeilen. In diesem Fall wäre der Weg zurück in den traditionellen September aber umso länger, sofern künftige Bundesregierungen das überhaupt anstreben.
September-Termin? Erst in 40er oder 50er Jahren möglich
Sollte die Rückkehr in den September gewünscht sein, wäre eine Möglichkeit, den Wahltermin bei jeder folgenden Wahl so weit es geht nach hinten zu terminieren. Auf die Wahl im März 2029 würde April 2033 folgen, dann wäre Mai 2037 möglich, bis man 2053 schließlich wieder im September angelangt wäre. Doch es gibt ein großes Hindernis: Die Bundestagswahlen müssten 2041 und 2045 jeweils im Zeitraum der Sommerferien stattfinden.
Etwas schneller zurück in den September geht es, wenn der Termin bei jeder künftigen Wahl maximal nach vorn gezogen und die Abstimmung über mehrere Legislaturperioden in Folge bereits nach 46 Monaten durchgeführt wird. In diesem Fall würde die Bundestagswahl 2029 allerdings im Januar und 2033 im Dezember stattfinden. Weihnachtsmärkte könnten zur hochfrequentierten Wahlkampfzone werden. 2041 wäre man wieder im Herbst angekommen, spätestens 2045 wieder im September.
Wahl-Wanderung mit Vorgeschichte
Eine solche Wahl-Wanderung gab es in Deutschland sogar schon: 1987 wurde zum bisher einzigen Mal im Januar ein neuer Bundestag gewählt. Es war die erste Wiederwahl der schwarz-gelben Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl.
Die Vorgeschichte der historisch einmaligen Januar-Wahl ähnelt stark dem Ampel-Aus in der vergangenen Woche. Im Herbst 1982 verfasste der damalige Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff von der FDP ein Konzeptpapier "für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit". Dies führte zum Bruch der damals regierenden sozialliberalen Koalition unter SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Die vier FDP-Minister traten zurück und wechselten stattdessen an die Seite der Union. Per konstruktivem Misstrauensvotum wählte Schwarz-Gelb den damaligen Oppositionschef Helmut Kohl zum neuen Kanzler - ein bis dato einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Kohl wollte jedoch eine Legitimation durch Neuwahlen erreichen. Deshalb stellte er die Vertrauensfrage, verlor diese beabsichtigt und erreichte Neuwahlen. Die Bundestagswahl gewann Kohl am 6. März 1983. Es war die erste Wahl, die nicht zwischen August und November ausgetragen wurde.
Neuwahl-Termin 2005 ein historischer Zufall
Vier Jahre später wurde dann bereits im Januar gewählt. Danach näherte sich die Kohl-Koalition wieder dem Wahltermin im September, indem man die Fristen für die Wahl maximal ausreizte. 1990 wurde im Dezember, 1994 im Oktober, 1998 letztlich wieder im September gewählt. Seitdem wurden Bundestagswahlen ausnahmslos im September abgehalten.
Das liegt auch an einem historischen Zufall: Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder stellte nach der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2005 ebenfalls die Vertrauensfrage - allerdings im Mai. Er verlor sie und erreichte die gewünschten vorgezogenen Neuwahlen. Diese fanden zwar ein Jahr vor dem ursprünglichen Wahltermin statt, aber ebenfalls im traditionellen September.
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