Argentinien, Antarktis oder die Rückseite des Mondes? Wohin ist Hitler 1945 denn nun wirklich geflohen? Das fragen sich auch 80 Jahre nach dessen Tod einige Unverbesserliche. Die Gerüchte schießen bis heute ins Kraut, was auch am sowjetischen Diktator Stalin liegt. Dabei sind die Fakten eindeutig.
Am Nachmittag des 30. April 1945 gibt Adolf Hitler erst seiner frisch angetrauten Frau Eva Braun eine Giftpille. Dann erschießt er sich selbst im Berliner Bunker, der bereits unter der Artillerie der Roten Armee erzittert. Der Zweite Weltkrieg, den Hitler und seine Schergen losgetreten haben, endet wenige Tage später mit der deutschen Kapiulation. Einer Bestrafung für die zahllosen Verbrechen, für die der selbsternannte Führer verantwortlich ist, entzieht er sich feige - wie viele andere Nazi-Größen.
Aber ist es wirklich so passiert? Hat Hitler tatsächlich seinem Leben ein Ende gesetzt? Zweifel an seinem Tod gibt es, seit er tot ist. So widersinnig das auch klingt. Anders als bei Italiens Faschisten-Führer Benito Mussolini, der nur wenige Tage zuvor von Partisanen getötet und in der Öffentlichkeit ausgestellt worden war, gibt es keine Leiche. Hitlers engste Vertraute haben diese, wie von ihm befohlen, verbrannt. Die wenigen Überreste wurden im Garten der Reichskanzlei begraben.


Titelseite der US-Army-Zeitung "Stars & Stripes" vom 2. Mai, nachdem bekannt geworden war, dass Hitler tot ist.
Auch die Sowjetunion unter Diktator Josef Stalin hat einen großen Anteil an der Entstehung entsprechender Verschwörungsmythen um Hitlers Tod. Zwar fand bereits Anfang Mai 1945 eine Sondereinheit des sowjetischen Geheimdienstes "Smersch" Hitlers und Brauns Überreste und ließ einen Teil des Kieferknochens und zwei Zahnbrücken vom langjährigen Assistenten von Hitlers Zahnarzt identifizieren. Doch im aufkommenden Kalten Krieg verschwieg die Sowjetunion die Tatsachen, um Verwirrung zu stiften.
Auf der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 behauptete Stalin sogar, Hitler habe den Krieg überlebt und werde von den westlichen Alliierten versteckt gehalten oder sei nach Spanien oder Argentinien geflohen. Die westlichen Geheimdienste reagierten irritiert und gingen selbst auf Spurensuche. Der britische Historiker Hugh Trevor-Roper konnte im Auftrag des MI5 bereits 1947 die sowjetischen Behauptungen widerlegen, blieb aber einen ultimativen Beweis schuldig, auch weil Augenzeugen in die Sowjetunion entführt worden waren.
Flucht nach Argentinien …
Erst Jahrzehnte, nach dem Untergang der Sowjetunion und der Öffnung der Archive, wurden die tatsächlichen Ereignisse bekannt: Die Rote Armee hatte Hitlers und Brauns Überreste an sich genommen und an verschiedenen Orten immer wieder neu begraben. 1970 wurden sie schließlich fast vollständig verbrannt. Die Asche wurde in einen Nebenfluss der Elbe gestreut. Ein Gebiss, das in russischen Archiven lagert und Hitler zugeordnet wird, wurde erst 2017 von französischen Wissenschaftlern untersucht. Dabei wurden auch Spuren von Zyanid gefunden. Hitler hat demnach eine Giftkapsel genommen und sich gleichzeitig erschossen.
Das sowjetische Doppelspiel hatte und hat Folgen: Die bewusst verbreiteten Falschinformationen sind bis heute ein gefundenes Fressen für Verschwörungsmythen, die mitunter kuriose und bunte Blüten treiben. Viel zitiert ist etwa die Theorie, Hitler sei wie etliche andere Nazigrößen nach Kriegsende mit einem U-Boot nach Argentinien geflohen und habe sich dort versteckt. Angestachelt wurden diese Spekulationen durch zwei Fahrten deutscher U-Boote: U 530 und U 977.
U 530 ignorierte unter dem Befehl von Kommandant Otto Wermuth den Befehl von Großadmiral Karl Dönitz, bei Kriegsende in einen deutschen Hafen einzulaufen und das U-Boot an die Alliierten zu übergeben. Man hielt dies für eine List des Feindes. Stattdessen fuhr U 530 Richtung Südamerika, wo es am 10. Juli in den argentinischen Hafen Mar del Plata einlief, im Irrglauben, das Land sei neutral. Dort kapitulierte die Besatzung und wurde interniert. Das U-Boot selbst wurde an die USA übergeben, die es 1947 bei einer Gefechtsübung versenkten.
Ähnlich erging es U 977. Die Besatzung entschied sich angesichts der deutschen Kapitulation mehrheitlich für die Flucht nach Argentinien. Die Unteroffiziere, die wegen ihrer Familien dagegen gestimmt hatten, wurden vor der Küste Norwegens ausgesetzt. Sie sollten verbreiten, das U-Boot sei untergegangen. Die Restbesatzung traf am 17. August in Mar del Plata ein, wurde interniert und später an die USA ausgeliefert. Auch dieses U-Boot wurde später während einer Übung des US-Militärs versenkt.
… oder doch Neuschwabenland?
Beide Fahrten und ihre Umstände warfen Fragen auf. Etwa warum die Überfahrt so lange dauerte und warum Logbuch und andere Dokumente von U 530 verschwanden. Schnell entstanden Gerüchte, an Bord seien hohe Militärs und Nazi-Größen gewesen, vielleicht sogar Hitler und seine Frau. Die Sowjetunion soll die Falschmeldungen noch befeuert haben. Internationale Medien wie das "Time"-Magazin griffen die Geschichte auf - und berichteten über die Spekulationen.
Auch wenn das argentinische Marineministerium beteuerte, es seien keine Nazi-Größen an Bord gewesen, und selbst U-977-Kommandant Heinz Schaeffer versuchte, mit einem Reisebericht den Spekulationen entgegenzutreten - die Verschwörungsmythen halten sich bis heute. In unzähligen Büchern wird die Theorie dargelegt, etwa in "Grey Wolf: The Escape of Adolf Hitler" der Briten Simon Dunstan und Gerrard Williams. Sie behaupten, Hitler habe sich bis in die frühen 60er Jahre auf einer Hazienda versteckt. Von Historikern wird dies als absoluter Unsinn bewertet.
Das 2011 publizierte Buch "Hitler überlebte in Argentinien" von Abel Basti und Jan van Helsing geht noch weiter. Darin wird behauptet, Hitler habe einen Sohn gehabt. Van Helsing, der eigentlich Jan Udo Holey heißt, vertritt etliche Verschwörungsmythen um den Nationalsozialismus und wurde vom deutschen Verfassungsschutz als "rechtsextremistischer Esoteriker" bezeichnet. So behauptet er etwa auch, Nazis seien nach Neuschwabenland in der Antarktis geflohen. Dort hätten sie einen Stützpunkt aufgebaut, um eine neue Welteroberung zu planen. Folgt man der Theorie, versuchen die USA und Großbritannien seit Jahrzehnten, das Gebiet zu erobern, auch unter Einsatz nuklearer Waffen. Doch die deutschen Truppen halten offenbar stand. Nun ja.
Simpsons und Klone aus Brasilien
Der Trash-Film "Iron Sky" des finnischen Regisseurs Timo Vuorensola treibt diese Theorie ironisch auf die Spitze: In dem Streifen mit Udo Kier haben sich die Nazis nicht etwa in die Antarktis zurückgezogen, sondern auf die dunkle, von der Erde abgewandte Seite des Mondes. Von dort wollen ihre Nachfahren die Erde erobern.
Auch andere Filme oder Serien spielen auf die Verschwörungsmythen an. Eine Szene aus den "Simpsons" hat Hitlers angeblichen Argentinien-Aufenthalt zum Thema: In der Folge "Bart gegen Australien" ruft der Junge zufällige Nummern auf der Südhalbkugel an. Einmal hat er einen Mann an der Leitung, der wie ein gealterter Hitler aussieht. Ein Fahrradfahrer ruft diesem "Buenas noches, mein Führer" zu und streckt die Hand zum Hitlergruß aus.


Gregory Peck in "The Boys From Brazil". Er spielt den nach Südamerika geflohenen KZ-Arzt Josef Mengele, der Hitler-Klone gezüchtet hat.
(Foto: imago stock&people)
Ein weiterer Film, der die Gerüchte um Hitler überzeichnet, ist "The Boys From Brazil" aus dem Jahr 1978. Er entstand nach dem gleichnamigen Roman von Ira Levin. Die Handlung: Nach Südamerika geflohene Nationalsozialisten um den KZ-Arzt Josef Mengele haben aus Hitlers DNA 94 Klone erzeugt, die auf der ganzen Welt aufwachsen. Geht's noch verrückter? Ja! Der Kinofilm "Madmen of Mandoras" und der daraus entstandene Fernsehfilm "They Saved Hitler's Brain" handelt von Hitlers Gehirn, das von Nazis gerettet und in Südamerika versteckt wird, um später der Welteroberung zu dienen.
Fluchtziel Südamerika
So überzeichnet diese Fiktionen auch sind - die Flucht führender Nationalsozialisten nach Südamerika ist historisch belegt. Adolf Eichmann entkam etwa mit Hilfe der katholischen Kirche nach Argentinien, bevor er Anfang der 60er Jahre nach Israel entführt, verurteilt und hingerichtet wurde. Der KZ-Arzt Josef Mengele lebte bis zu seinem Tod 1979 unbehelligt in Argentinien, Paraguay und Brasilien. Etliche weitere Nationalsozialisten tauchten 1945 unter, lebten unter anderen Namen weiter, bauten sich eine neue Existenz auf und blieben mitunter unentdeckt.
Dass Hitler auch nach Südamerika entkam, ist dagegen widerlegt. Auch wenn es im FBI-Archiv Dokumente gibt, in denen von weltweiten Sichtungen Hitlers nach seinem Tod die Rede ist. Vielen Hinweisen wurde nachgegangen, Beweise gab es nie. Verschwörungsschwurbler wird das aber nicht davon abhalten, weiterhin über das Ende des Diktators zu spekulieren.
Juristisch für tot erklärt wurde Hitler übrigens erst am 25. Oktober 1956. Vorausgegangen war eine ausführliche Untersuchung. Dabei wurden mehr als 40 Zeugen unter Eid befragt, darunter Hitlers Adjutant Otto Günsche und sein Kammerdiener Heinz Linge, die die Leichen Hitlers und Brauns sahen und Zeugen ihrer Verbrennung waren. Sie konnten jedoch erst aussagen, nachdem sie Mitte der 50er Jahre aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft heimgekehrt waren. Inzwischen war auch Stalin gestorben.