1 day ago

Botschaft für den Nachfolger: Nancy Faesers Migrationswende darf nicht so heißen



Bundesinnenministerin Faeser zieht Bilanz ihrer Migrationspolitik, und die fällt außerordentlich positiv aus: weniger irreguläre Migration, mehr Abschiebungen, vor allem aber die Einigung auf eine gemeinsame europäische Asylpolitik. Und sie hat eine Botschaft an ihren Nachfolger.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat eine ausgesprochen positive Bilanz der Migrationspolitik der letzten Jahre gezogen. Die irreguläre Migration sei stark zurückgedrängt und die Schleuserkriminalität wirksam bekämpft worden. Die Zahl der Abschiebungen sei "enorm gestiegen", so Faeser in der Bundespressekonferenz. Zugleich sei Deutschland "attraktiver für ausländische Fachkräfte geworden".

Neben diesen Erfolgsmeldungen hatte die SPD-Politikerin vor allem eine Botschaft mitgebracht: "Es muss immer um Lösungen gehen, die in der Realität auch funktionieren. Die Herausforderungen löst man nicht mit Ankündigungen oder mit markigen Forderungen, sondern nur mit unermüdlicher und beharrlicher Arbeit." Die Sätze dürften als Botschaft an ihren Nachfolger gemeint gewesen sein, der wahrscheinlich aus den Reihen von CDU und CSU kommen wird.

"Migrationsbewegungen hören nicht auf"

Die Union, mit der die SPD gerade über eine Koalition verhandelt, sprach Faeser nicht direkt an. Sie warnte nur ganz allgemein davor, "Illusionen zu schüren". Im Wahlkampf hatte der geschäftsführende Bundeskanzler Olaf Scholz diesen Vorwurf an CDU-Chef Friedrich Merz gerichtet. Faeser fügte hinzu: "Migrationsbewegungen hören nicht auf. Krieg und Krisen werden auch weiter Auswirkungen auf Deutschland und Europa haben." Debatten um Migration müssten immer ohne Ressentiments geführt werden, sagte Faeser - ebenfalls, ohne zu erläutern, an wen sie dabei denkt.

Bei allen Erfolgsmeldungen wollte Faeser sich die von Merz angekündigte Migrationswende nicht zu eigen machen. Es gehe in der Migrationspolitik "nicht um Zuschreibungen und Rhetorik", sondern "um harte Arbeit", sagte sie.

Dabei hätte das Etikett durchaus zu ihrer Bilanz gepasst. Die Bundesregierung habe "sehr rigide Maßnahmen getroffen", sagte die Ministerin. Dazu zählte Faeser vor allem die Kontrollen an den deutschen Grenzen zu allen Nachbarländern sowie Strafverschärfungen gegen Schleuser. "Es gab im März so wenig Asylgesuche wie zuletzt Anfang 2021, also mitten in der Corona-Pandemie."

GEAS für Faeser die zentrale Leistung der Ampel

Als besondere Leistung der scheidenden Bundesregierung hob Faeser die geeinte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems hervor, kurz GEAS. Mit der Reform würden "Mechanismen und Strukturen" geschaffen, um "mit solchen Situationen viel besser umgehen zu können". Die Innenministerin lobte die im Sondierungspapier von Union und SPD festgehaltene Vereinbarung, die GEAS-Regeln bereits im laufenden Jahr auf nationaler Ebene umzusetzen. Auf europäischer Ebene soll GEAS erst im kommenden Jahr angewendet werden.

Ob Faeser der nächsten Bundesregierung angehören wird, ist noch unklar. Beobachter gehen davon aus, dass die Union das Innenministerium für sich beanspruchen wird. Als möglicher nächster Innenminister ist unter anderem CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im Gespräch.

Was Faeser als Erfolge ihrer Migrationspolitik beschreibt, geht der Union nicht weit genug. Vor der Wahl hätte die Unionsfraktion kurz nach der Pressekonferenz der Innenministerin mit einer kritischen Pressemitteilung reagiert. Dieses Mal gab es jedenfalls unmittelbar danach keine Bewertung.

Union fordert, Anstrengungen zu verstärken

Allerdings hatte Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei am Morgen im Frühstart bei ntv gesagt, in den vergangenen Jahren seien immer zwischen 240.000 und 350.000 Asylanträge in Deutschland gestellt worden. Zusammen mit der übrigen humanitären Migration, etwa den Geflüchteten aus der Ukraine, sei das für die Integration zu viel. "Deswegen müssen die Anstrengungen verstärkt werden, Migration so zu begrenzen, dass Integration möglich ist und damit das Ausbilden von Parallelgesellschaften verhindert wird." Da würde Faeser vermutlich zustimmen.

Auch Faeser verwies darauf, dass Migrationspolitik in Deutschland derzeit vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine stattfindet. In den vergangenen Jahren seien 1,2 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine gekommen, darunter fast ein Drittel Kinder und Jugendliche. Deutschland könne stolz sein auf diese humanitäre Leistung, sagte sie.

 Diese hier zeigt die Zahl der Asylgesuche, die im ersten Quartal 2025 um 35 Prozent unter denen des ersten Quartals 2024 liegt.  Diese hier zeigt die Zahl der Asylgesuche, die im ersten Quartal 2025 um 35 Prozent unter denen des ersten Quartals 2024 liegt.

Faeser hatte drei Grafiken dabei: Diese hier zeigt die Zahl der Asylgesuche, die im ersten Quartal 2025 um 35 Prozent unter denen des ersten Quartals 2024 liegt.

(Foto: dpa)

Wenn es jedoch um Begrenzung geht, sind in der Regel nicht die Menschen aus der Ukraine gemeint, sondern Flüchtlinge und Migranten aus anderen Ländern. Ukrainerinnen und Ukrainer tauchen in den Asylstatistiken nicht auf, da sie in der Europäischen Union keine Asylanträge stellen müssen. Sie fallen unter die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie, die ihnen vorübergehend in allen EU-Staaten Schutz gewährt. Untergebracht werden müssen Ukrainer natürlich trotzdem: Faeser wies darauf hin, dass am früheren Berliner Flughafen Tegel noch immer 5000 Menschen in Zelten untergebracht seien. Die meisten davon sind Ukrainer.

Grafiken für die Erfolgsbilanz

Für ihre Erfolgsbotschaften hatte Faeser Grafiken mitgebracht: für die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte, die seit 2021 um 77 Prozent gestiegen sei; für die Zahl der Asylgesuche, die im ersten Quartal 2025 um 35 Prozent unter denen des ersten Quartals 2024 liege; und für die Zahl der Rückführungen, die aktuell um 30 Prozent höher sei als im Vorjahreszeitraum. Zudem habe es bei den Rückführungen seit 2022 eine Steigerung um 55 Prozent gegeben. Es sei die scheidende Bundesregierung gewesen, die mit ihren Gesetzesänderungen "schnellere und effektivere Rückführungen ermöglicht" habe.

In absoluten Zahlen ist die Zahl der Rückführungen dennoch weiterhin im unteren fünfstelligen Bereich. 2021, zu Beginn der Ampel-Regierung, gab es knapp 12.000 Abschiebungen. Im vergangenen Jahr waren es rund 20.000.

Dennoch zeigen die Zahlen der Asylanträge, dass Faesers Zufriedenheit mit ihrer eigenen Arbeit nicht unbegründet ist: Die aktuellen Zahlen sind im langfristigen Vergleich nicht hoch. Die Überlastung der Kommunen rührt aus früheren Jahren. Das betonte auch Faeser. Auf die Frage, ob sie in ihrer Amtszeit auch Fehler gemacht habe, sprach sie davon, dass die Überlastungen der Kommunen aus den Jahren 2015 und 2016 noch immer nicht "aufgearbeitet" worden seien. "Wir haben noch Menschen, die 2015/16 nach Deutschland gekommen sind, die in Asylbewerberunterkünften wohnen, bis heute." Das liege auch daran, dass Unterkünfte aus finanziellen Gründen wieder abgebaut worden seien, als sie nicht mehr unmittelbar benötigt wurden. Dies hätte man verhindern müssen.

Auch CDU will guter Nachbar sein

In der zwischen Union und SPD strittigen Frage, ob Zurückweisungen in Nachbarländer auch ohne deren Zustimmung erfolgen sollten, zeigte Faeser sich hart: "Abstimmung", wie im Sondierungspapier von Union und SPD vereinbart, könne nur heißen, dass man sich mit den Nachbarländern abstimmt, "dass man gemeinsam vorgeht".

Thorsten Frei äußerte sich im Frühstart ganz ähnlich. Deutschland werde sich immer an Recht und Gesetz halten, sagte der CDU-Politiker, der - anders als Faeser - der sogenannten Steuerungsgruppe angehört, die derzeit über einen Koalitionsvertrag verhandelt. "Und wir werden auch immer darauf achten, dass wir mit unseren Nachbarn ein gutes Einvernehmen haben." Er sei "sehr zuversichtlich", dass mit Polen, Österreich und Frankreich gute Lösungen gefunden werden könnten. Auch Frei ist als nächster Innenminister im Gespräch, vor allem allerdings als möglicher Kanzleramtsminister.

Vorschläge vom Bamf-Chef weist Faeser betont unaufgeregt zurück

Angesprochen auf Äußerungen des Leiters des Bundesamts für Flüchtlinge und Migration, Hans-Eckhard Sommer, blieb Faeser zurückhaltend. Sommer hatte dafür plädiert, das Individualrecht auf Asyl abzuschaffen und Flüchtlinge stattdessen über humanitäre Programme aufzunehmen. Grüne und Linke reagierten darauf mit Rücktrittsforderungen gegen Sommer. Der war noch vom damaligen CSU-Bundesinneminister Horst Seehofer aus dem Bayrischen Innenministerium zum BAMF geholt worden.

Thorsten Frei hatte den Vorschlag einer Asylrechtsreform schon im vergangenen Jahr gemacht. Im Frühstart sagte er nun, dass in den Koalitionsverhandlungen darüber nicht gesprochen werde. Faeser verwies lediglich darauf, dies sei kein neuer Vorschlag, aber es sei auch "kein wirksames, alleiniges Mittel", weil Kriegsflüchtlinge so nicht erfasst würden. Das sei auch der Grund, warum kein anderes Land in Europa so vorgehe.

Die Linken kritisierten Faeser migrationspolitische Bilanz in einer Reaktion als fatales Signal. Das individuelle Recht auf Asyl werde durch "zunehmend brutale Abschiebungen" und Zurückweisungen an den Grenzen "systematisch ausgehöhlt", sagte Clara Bünger, Flucht- und Rechtspolitikerin der Linksfraktion im Bundestag. "Wer Abschiebung und Zurückweisung als politische Erfolge feiert, entwertet den Anspruch auf Schutz und stellt Menschenrechte zur Disposition. Wir brauchen dringend eine Kehrtwende in der Migrationspolitik - weg von Abwehr, hin zu Solidarität und Menschenwürde."

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