Nach Hunderten Toten erreichen die brutalen Proteste in Bangladesch einen Höhepunkt: Ministerpräsidentin Scheich Hasina ist offenbar geflohen.
Nach wochenlangen Massenprotesten in Bangladesch ist die seit 15 Jahren herrschende Regierungschefin Scheich Hasina aus dem südasiatischen Land geflohen. Es werde nun eine "Übergangsregierung" gebildet, sagte Armeechef Waker-Uz-Zaman in einer am Montag im Fernsehen übertragenen Rede an die Nation. Zuvor hatten Demonstranten unter anderem den Amtssitz von Hasina gestürmt, die nach Angaben aus ihrem Umfeld mit dem Hubschrauber ins Ausland floh.
"Wir werden eine Übergangsregierung bilden", sagte der Armeechef in seiner Fernsehansprache. Dafür werde er mit den wichtigsten Oppositionsparteien sowie Vertretern der Zivilgesellschaft sprechen – nicht aber mit der Partei von Hasina.
Proteste eskalieren vor allem in der Hauptstadt
Der Präsident des Landes, Mohammed Shahabuddin, gab am Montag bekannt, dass er die sofortige Freilassung der früheren Regierungschefin und Oppositionsführerin Khaleda Zia aus dem Gefängnis angeordnet habe. Auch inhaftierte Demonstranten sollen freigelassen werden.
"Das Land hat sehr gelitten, die Wirtschaft wurde geschwächt, viele Menschen wurden getötet – es ist Zeit, der Gewalt ein Ende zu setzen", hob der Armeechef hervor. "Ich übernehme die volle Verantwortung." Er hoffe, dass sich die Lage im Land nun beruhige.
Zuvor hatten regierungskritische Demonstranten den Regierungspalast in der Hauptstadt Dhaka gestürmt. Im Fernsehen war zu sehen, wie sie die Tore durchbrachen, Möbel und Bücher plünderten oder auf Betten herumlagen. Auf den Straßen wiederum feierten die Menschen, einige tanzten auf einem Panzer.
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Später stürmten Demonstranten auch das Parlament, Häuser und Geschäfte von Hasinas Parteigenossen, Fernsehstationen, ein Museum sowie Polizeistationen, wie aus Polizeikreisen verlautete.
Regierungschefin hält sich offenbar in Indien auf
Hasina wurde an einen "sicheren Ort" gebracht. "Ihr Sicherheitsteam forderte sie zum Verlassen auf, sie hatte keine Zeit, sich vorzubereiten", erfuhr die Nachrichtenagentur AFP aus ihrem Umfeld. Zunächst sei die 76-Jährige in einer Wagenkolonne aus dem Palast gebracht und später per Hubschrauber aus ihrem 170 Millionen Einwohner zählenden Land geflogen worden. Laut indischen Medienberichten landete der Hubschrauber auf einem Militärstützpunkt nahe der Hauptstadt Neu Delhi. Von dort wollte sie ihrem Umfeld zufolge nach London weiterreisen.
Die Flucht erfolgte einen Tag, nachdem am Sonntag landesweit hunderttausende Regierungsgegner und -anhänger auf die Straße gegangen und sich gegenseitig teilweise mit Messern, Stöcken und Knüppeln angegriffen hatten. Zudem schossen Sicherheitskräfte mit Gewehren in die Menge.
Nach AFP vorliegenden Zahlen wurden am Sonntag 94 Menschen getötet. Dies war die höchste Zahl an Opfern an einem Tag seit Beginn der Proteste gegen die Regierung im Juli, bei denen insgesamt mindestens 356 Menschen getötet wurden. Bei den Auseinandersetzungen am Montag starben mindestens 56 Menschen, wie Polizei und Mediziner mitteilten.04: Medien Fast 100 Tote bei Unruhen in Bangladesch - 6ff4bc830183bb38
Ursprünglich waren die Demonstranten gegen eine Quotenregelung für die Vergabe von Jobs im öffentlichen Dienst auf die Straße gegangen, die ihrer Ansicht nach Unterstützer von Hasina bevorzugte. Nach und nach wurde dann der Rücktritt der seit 2009 amtierenden Regierungschefin das Ziel der Protestbewegung, der sich immer mehr Menschen aus allen Bevölkerungsschichten anschlossen. Auch Filmstars, bekannte Musiker und ehemalige Generäle brachten ihre Unterstützung zum Ausdruck, ebenso Firmen der für die Wirtschaft des Landes wichtigen Textilbranche.
Auswärtiges Amt rät von Reisen nach Bangladesch ab
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte, ein "geordneter und friedlicher Übergang zu einer demokratisch gewählten Regierung" sei nun essenziell. Auch ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin sagte, es sei "wichtig, dass Bangladesch seinen demokratischen Weg fortsetzt". Er fügte hinzu: "Wir raten jetzt dringend von Reisen nach Bangladesch ab."
Hasina war im Januar in einer von einem großen Teil der Opposition boykottierten Wahl im Amt bestätigt worden. Ihrer Regierung wurden unter anderem der Missbrauch staatlicher Institutionen zum eigenen Machterhalt und die Unterdrückung von Regierungskritikern vorgeworfen – bis hin zur außergerichtlichen Tötung Oppositioneller.
Nun hat die Armee erst einmal das Sagen in Bangladesch. Bereits 2007 hatte das Militär nach politischen Unruhen einen Notstand in dem Land verhängt und für zwei Jahre eine von ihm gestützte Übergangsregierung installiert. 2009 kam dann Hasina an die Macht.
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