
In der EU-Kommission sind 27 Posten zu vergeben. Kommissionschefin von der Leyen wünscht sich gleich viele Männer und Frauen, doch die Mitgliedsländer spielen nicht mit. Die Europäische Frauenlobby spricht von einem peinlichen Vorgang, ein Brüsseler Diplomat von typischen Machtspielchen.
In Kürze will Ursula von der Leyen ihre Kandidatinnen und Kandidaten für die neue EU-Kommission vorstellen. Doch die frisch wiedergewählte Kommissionspräsidentin hat ein Problem: Entgegen ihrem erklärten Wunsch nach Gleichstellung der Geschlechter befinden sich bisher deutlich mehr Männer als Frauen auf ihrer Liste.
Am Freitag läuft die Frist aus, bis zu der die Mitgliedsländer ihre nationalen Kommissionsanwärter an von der Leyen melden sollen. Die vorläufige Bilanz: 17 Männer und sieben Frauen - von der Leyen selbst eingerechnet. Im noch fehlenden Italien läuft es laut italienischer Medien ebenfalls auf einen Mann hinaus. Belgien und Bulgarien haben nach ihren Wahlen noch keine neue Regierung, ihre Kandidaten-Kür dürfte deshalb Aufschub bekommen.
Damit könnte es in der 27-köpfigen Kommission "Von der Leyen II" theoretisch bei sieben Frauen bleiben. Das wäre der niedrigste Stand seit 20 Jahren. Allerdings wäre die Spitze rein weiblich: Die bisherige estnische Premierministerin Kaja Kallas wird neue EU-Außenbeauftragte und soll zugleich Kommissionsvizepräsidentin werden. Dennoch ist von der Leyen mit ihrer Forderung nach Geschlechterparität bei den Mitgliedsländern gescheitert. Kein einziges Land folgte ihrer Bitte, ihr je eine Frau und einen Mann zur Auswahl vorzuschlagen.
"Unser Hoheitsrecht"
Der sich abzeichnende "Old Boys' Club" (Klub alter Jungs) sei "mehr als peinlich", findet die Europäische Frauenlobby (EWL) - ein Dachverband, der sich für die Gleichstellung der Geschlechter in Europa einsetzt. "Wenn die Mitgliedstaaten wirklich glauben, dass nur Männer für diese Posten geeignet sind oder es in ihren Ländern keine qualifizierten Frauen gibt, dann haben sie nicht nur keine Ahnung, sondern Wahnvorstellungen", kritisiert Verbandssprecherin Mirta Baselovic.
Scharfe Kritik kommt auch aus dem Europaparlament, das die Kommissionskandidaten in den kommenden Wochen anhören will. Die Vorsitzende des Gleichstellungs-Ausschusses, Lina Gálvez Muñoz, sprach von einem "sehr schlechten Signal, insbesondere an jüngere Frauen und Mädchen". Die spanische Sozialdemokratin wirft den Mitgliedsländern mangelnden politischen Willen vor.
Ein Brüsseler Diplomat, der namentlich nicht genannt werden will, sieht dagegen ein typisches Brüsseler Machtspiel zwischen den Institutionen: "Wir Mitgliedsländer erwarten, dass von der Leyen für Gleichstellung eintritt", sagt er. "Zugleich sehen wir es als unser Hoheitsrecht an, einen geeigneten Kommissar vorzuschlagen."
Von der Leyen hat starke Hebel
Der Pariser Europarechts-Experte Alberto Alemanno bescheinigt von der Leyen in diesem Machtspiel allerdings starke Hebel. Sie könne die Liste der Mitgliedsländer zurückweisen und damit ihre "Unabhängigkeit und Autonomie" demonstrieren, sagt er. Das stärkere Druckmittel seien aber die Zuständigkeiten, betont der Europarechtler. Viele Länder wünschen sich demnach einen Schlüsselposten wie Wettbewerbspolitik, Binnenmarkt, Wirtschaft und Währung oder Handel. Hier habe von der Leyen Verhandlungsmasse gegenüber den Regierungen, nach dem Motto: Benennt eine Frau und ihr bekommt das gewünschte Ressort.
Sobald von der Leyen ihre Wunschkommissarinnen und -kommissare nominiert hat, kann das Europaparlament ihnen Fragebögen schicken und sie dann in den Fachausschüssen anhören. In der Vergangenheit drängte das Parlament erfolgreich auf Ersatz für einige missliebige Kandidaten. Als von der Leyen 2019 ihr erstes Mandat antrat, lehnten die Abgeordneten etwa einen Ungarn und eine Rumänin wegen "Interessenkonflikten" ab. Grundsätzlich kann das Parlament die Kommission aber nur in Gänze billigen oder ablehnen.
Ob die neue Kommission ihr Amt wie geplant zum 1. November antreten kann, bleibt somit unklar. Von der Leyens Sprecher Eric Mamer bleibt lieber vage: "Die Präsidentin tut alles in ihrer Macht, um zu einem ausgeglichenen Kollegium zu kommen."