Neue Kolumne bei ntv.de: Ab heute kommentiert Marie von den Benken jeden Donnerstag die deutsche Politik. Zum Auftakt geht es in "Berlin Tag & Macht" - natürlich - um die aktuelle Migrationsdebatte. Und damit um Friedrich Merz.
Newsflash: Ich werde Friedrich Merz nicht wählen. Aus unterschiedlichen Gründen. Skandalkatalysatorisch durchchoreographierte Formulierungen wie "kleine Paschas" oder der mundhygienisch dystopische Klassiker "Migranten lassen sich die Zähne neu machen, aber Deutsche bekommen keine Termine" gehören nicht dazu. Klar, jedes dieser Empörungs-Bonmots, die sich inzwischen auffallend regelmäßig in Talkshow- und Interviewauftritte von Merz fräsen, hätte er weniger populistisch formulieren können. Vermutlich sogar sollen. Jedenfalls, wenn er nicht in den Verdacht geraten möchte, das Rezept für seine inzwischen kassierte Ankündigung einer Halbierung der AfD sei die wenig subtil vorgetragene Hektographie ihrer Inhalte.
Ich glaube nicht daran, dass das Raubkopieren politischer Triggerthemen Bundestagswahlen entscheidet. "Wählt nicht die AfD, denn bei der Union bekommt ihr dasselbe, nur halt ohne Vogelschiss der Geschichte!" wäre zudem eine gruselige und gleichsam wirkungslose Wahlkampf-Strategie. Es ist abwegig zu glauben, es gäbe auch nur einen einzigen AfD-Wähler, der nach ein paar pittoresken Urlaubsbildern von Friedrich Merz beim Rechtsrandfischen eines Morgens ganz kafkaesk aus unruhigen Träumen aufwachen und sich dafür entscheiden würde, sein Kreuz bei der CDU zu machen. Wer ein bisschen im Pool der Debatteneskalation planscht und dafür auf zahlreiche "Ach, der Friedrich Merz ist ja doch die bessere Alice Weidel" hofft, der zündet auch sein Haus an, weil ihm Wärmepumpen zu teuer sind und er sich von den Grünen nicht vorschreiben lässt, wie er zu heizen hat.
Merz lass nach ...
Ehrlich gesagt, der wirkliche Grund, warum ich Merz nicht wählen werde, ist: Ich brauchte eine lesemotivatorisch polarisierende Eröffnung für diese Kolumne. Naja, aber Spaß bei Seite. (Das sagt man ja vor allem gerne, um zu suggerieren, vorher wäre es irgendwie lustig gewesen. Was zumeist unzutreffend ist, so wie hier.) Ich werde Merz nicht wählen, aber ich werde nach dem migrationspolitischen Showdown dieser Woche auch nicht reflexartig über ihn herfallen. Bei aller Besorgnis, man könne mit einem Kanzler Merz und seinem Schattenkabinett aus polyvalenten Allroundgenies wie Jens Spahn eigentlich nur in eine Politik des Stillstands wie in 16 Jahren Merkel zurückfallen: Lasst mal die Kirche im Dorf. Oder wie der große Politik-Philosoph Bernd Stromberg sagt: "Immer locker durch die Hose atmen!"
Die Inszenierung, die am Mittwoch unter Starregisseur Merz ihre Uraufführung im Bundestag feierte, war kein Glanzlicht der Demokratiewerbung. Allein für die Vokabel "Zustrombegrenzungsgesetz" sollte Friedrich Merz zwei Jahre Berlin-Verbot bekommen. Dagegen wirkt "Remigration" ja fast wie der Titelsong eines beschwingten Disney-Animationsfilms, in dem eifrige Wohlstandspolizisten zahllose vor Glück jauchzende Zugereiste zurück in ihre paradiesischen Heimatländer geleiten.
Kann ich Armin Laschet noch mal sehen?
Momentan geht es auf dem Argumentationsschlachtfeld Bundestagswahlkampf nur noch um Diskreditierung und Verteidigung. Die Union hat dabei mit Argumentations-Joker Christian Lindner stets einen talkshowtauglichen Leumundszeugen in der Hinterhand, der die unverwüstliche Demokratieliebe nebst ausgeprägter AfD-Antipathie von Friedrich Merz jederzeit parteibrillenunabhängig beschwören kann. Längst vergessen scheint das wahlkampftaktische Macht-Scharmützel der beiden nach Lindners Ausflug in den Disruptionsmodus ("Wir müssen mehr Milei und Musk wagen"), den Merz im Politikbetrieb-Begleittalk "Maischberger" mit "völlig entsetzt" kommentierte. Um die Kanzlermanufaktur Lindner/Merz vor der politischen Privatinsolvenz zu bewahren, noch bevor ihr Koalitionsprodukt überhaupt Marktreife erlangt hat, müsste die FDP zunächst einen Zwischenspurt am Wahl-o-Mat hinlegen. Aktuell manifestieren sich die liberalen Regierungsträume bei 4 Prozent nämlich eher als Totalverlust an der Umfragebörse. Wenn man so will, hat Merz bislang nicht die AfD halbiert, sondern die FDP gedrittelt.
Gleichzeitig wird offensichtlich, wie sich die Mehrheit aller Restparteisoldaten, die gegenparteiübergreifend zur totalen Echauffierungs-Offensive gegen Merz und seinen befürchteten Schulterschluss mit den intellektuellen Schmuddelkindern der AfD aufrufen, gerade in eine bigotte Argumentationssackgasse manövriert. Vornehmlich auf politischen Diskurs-Rummelplätzen wie dem Kurznachrichtendienst "X" (Ältere kennen ihn noch aus seiner Blütezeit als Twitter) gelingt es den Anti-Merz-Avengers aktuell zwar partiell, Szenarien zu konstruieren, als würde Merz bereits heimlich mit Björn Höcke im Kanzleramt Hakenkreuze in Sofagarnituren schnitzen. Aber am Abend des 23. Februars würde jeder, der Friedrich Merz heute als den personifizierten Untergang der Demokratie attackiert, ohne mit der Wimper zu zucken mit ihm koalieren.
Doppelmoralapostel der Menschlichkeit
Die mitunter in grotesk selbstgerechten Buzzword-Aktivismus abdriftende Merz-Paranoia, zu der nun sogar Merz-Dompteurin Angela Merkel beisteuerte, führt zu bemerkenswerten Übersprungshandlungen. Am Mittwochabend etwa fanden sich mehrere hundert ad hoc indignierte Merz-Antagonisten bei drei Grad zu einer spontanen Demo vor dem Konrad-Adenauer-Haus ein. Gut, drei Grad sind geradezu tropisch gegen die Temperaturen im knapp vier Kilometer entfernten Willy-Brandt-Haus, wenn dort aktuelle Umfrageergebnisse eintrudeln. Der Verdacht liegt nahe, dass jene selbsternannten Vordenker des Antirassismus zwar die Straße stürmen, um gegen Merz zu protestieren, aber lieber in ihren Altbaulofts chillen, wenn israelfeindliche Terrorverharmloser in unseren Universitäten "Globalize the Intifada" skandieren und rote Dreiecke an Wände schmieren.
Einziger Sieger dieses durch Wahlkampfgetöse und Bubble-Nibelungentreue überschatteten Abstimmungsfiaskos ist die AfD. Union und FDP darf man nun formallogisch durchaus nachvollziehbar vorwerfen: Wer sich von Faschisten Gesetze durchwinken lässt, lässt sich auch von Faschisten den Kanzler inthronisieren. SPD und Grüne hingegen sollten sich mit für die eigene Wohlfühloase womöglich unbehaglicher, ernsthafter Selbstkritik fragen, ob es nicht das dringend benötigte Zeichen einer wehrhaften Demokratie gewesen wäre, wenn sich alle Parteien der Mitte zu einem Kompromiss durchringen und damit der AfD den Nimbus der Königsmacher aus den Segeln hätten nehmen können. Immerhin sprechen wir von Union, FDP, Grünen und SPD, die trotz der medialen Fokussierung auf die AfD immer noch auf deutlich über 60 Prozent kommen.
Stattdessen wird der Wahlkampfendspurt mit Claims wie "Mitte statt Merz" eingeläutet. Das strahlt eine Sexyness aus, gegen die selbst Wolfgang Kubicki noch einen passablen James Bond abgeben würde. Dadurch verkommt die wichtige Debatte, wie wir Migration möglich machen, ohne unser stimmungsfragiles Land apokalypseverliebten Arschgeigen in den Rachen zu werfen, zu einem billigen Ablenkungsmanöver, um im Diskursverschiebebahnhof der Meinungshoheiten zu verschleiern, dass die SPD in einem ähnlich großen Brandmauer-Dilemma steckt wie die Union. Zwar nicht Richtung Rechtspopulismus. Dafür aber zu unverschleiertem Antisemitismus und autokratiefreundlichen Putinverstehern. Ich möchte daher festhalten: Heino, quasi der Friedrich Merz der Schunkelindustrie, hatte recht. Es ist die Haselnuss, die schwarz-braun ist. Friedrich Merz ist es nicht.
Die Autorin: Marie von den Benken arbeitet seit ihrem 14. Lebensjahr als Model und hat einen Bachelor of Arts im Fach Medienwirtschaft. In die Medienwelt ist sie über X (ehemals Twitter) gerutscht, wo sie seit 2011 aktiv ist. Ihre unkonventionelle Mischung aus Fashion, Sarkasmus und Politik macht ihren X-Account zu einem der meistzitierten in deutschen Medien. Inzwischen arbeitet Marie von den Benken auch als Autorin für TV-Formate, schreibt Kolumnen, hostet einen Podcast auf RTL+ und schreibt an ihrem ersten Buch.