3 months ago

Bericht über Geheimdienst-Plan: Wie der Sprengstoff in die Hisbollah-Pager kam



Die Explosion unzähliger Pager im Libanon trifft die Hisbollah ins Mark. Dabei war es ihr Chef, der aus Angst vor Spionage auf die kleinen Empfänger umsatteln wollte. Laut einem Bericht der "New York Times" ist er damit in eine Falle des israelischen Geheimdienstes getappt.

Es wirkt wie der Stoff für einen Agenten-Thriller: Überall im Libanon piepen am Dienstagnachmittag Hunderte Pager von Mitgliedern der Hisbollah. Doch sie erwartet keine Nachricht ihrer Führung, sondern eine Explosion. Der orchestrierte Angriff überrascht die Menschen in ihrem Alltag, beim Einkaufen oder Autofahren. Tausende werden verletzt, mindestens zwölf sterben. Und damit nicht genug: Am Tag darauf sind es Funkgeräte wie Walkie-Talkies, die in die Luft gehen. Wieder gibt es Hunderte Verletzte und etwa 20 Tote. Im Libanon herrscht Chaos.

Israel hat weder bestätigt noch dementiert, dahinterzustecken. Klar ist: Um eine solche Aktion zu planen und durchzuführen, braucht es immense Ressourcen - über die Israel offenbar verfügt. Die "New York Times" sprach mit zwölf aktuellen und ehemaligen Verteidigungs- und Geheimdienstmitarbeitern, die über den Angriff informiert waren. Sie wollen anonym bleiben, berichten aber von einer komplexen und von langer Hand geplanten israelischen Geheimoperation.

Der Agent "in den Händen"

Seit Jahrzehnten bekämpfen sich Israel und die Hisbollah-Miliz im Libanon, seit Beginn des Gaza-Kriegs kommt es nahezu täglich zu Gefechten in der Grenzregion. Die Hisbollah verfügt wohl über ein großes, vom Iran mitfinanziertes Waffenarsenal, konnte dem israelischen Technologievorsprung in der Vergangenheit aber oft wenig entgegensetzen. Mehrfach wurden hochrangige Hisbollah-Kommandeure im eigenen Land gezielt getötet, und der Anführer der Miliz machte einen Grund dafür aus: "Du fragst mich, wo der Agent ist?", so Hassan Nasrallah bei einer Fernsehansprache im Februar. "Ich sage dir, das Telefon in deiner Hand, in den Händen deiner Frau und in den Händen deiner Kinder ist der Agent."

Als sichere Alternative sah Nasrallah laut dem Bericht der "New York Times" Geräte vor, deren Technik eigentlich ein Relikt des letzten Jahrtausends ist: Pager. Über die kleinen Funkgeräte lassen sich SMS-artige Botschaften verschicken. Über viel mehr Fähigkeiten verfügen sie jedoch nicht. Unter Terrorgruppen und Milizen erfreuen sich Pager dennoch großer Beliebtheit, denn gegenüber Smartphones besitzen sie einen entscheidenden Vorteil: Sie lassen sich nicht orten.

Wer steckt hinter Firma in Ungarn?

Diesen Vorteil wollte sich auch Nasrallah zu Nutze machen - und tappte damit offenbar in eine Falle. Denn nach Aussage der von der "New York Times" zitierten Quellen hatte Israel bereits vor Jahren eine Scheinfirma gegründet, die sich als internationaler Pager-Hersteller ausgab: BAC Consulting. Die Firma mit Sitz in Ungarn steht seit 2022 im Handelsregister und besitzt die Lizenz eines taiwanesischen Herstellers, unter dessen Name Pager zu produzieren und zu vertreiben.

Angebliche Geschäftsführerin ist nach Recherchen von RTL/ntv eine 49-jährige Frau aus Ungarn, die auf LinkedIn einen beeindruckenden Lebenslauf mit Stationen bei der EU und der UNESCO angibt, wofür es ansonsten aber keinerlei Belege gibt. Sie selbst sagte dem US-Sender NBC News, sie mache keine Pager und sei nur Vermittlerin.

Die Pager bei BAC werden laut den Quellen der "New York Times" von israelischen Geheimdienstlern produziert. Das Unternehmen gehört demnach zu einem nebulösen Geflecht aus zwei weiteren Scheinfirmen. Zur Tarnung habe BAC ganz normale Kunden übernommen und diesen ganz normale Pager ausgeliefert. Wichtig sei aber nur ein Kunde gewesen: die Hisbollah. Die Batterien der für die Miliz bestimtmen Pager wurden den Quellen zufolge mit dem Sprengstoff PETN versetzt.

Um Explosionen wie im Libanon hervorzurufen, reichen von einem Sprengstoff wie PETN schon kleine Mengen. "Ich denke, dass fünf Gramm ausreichen würden", sagt die Chemikerin Sabrina Wahler der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". In Laboren setze man die Obergrenze für empfindliche Sprengstoffe aus Sicherheitsgründen bei 0,2 Gramm an. "Das reicht aber auch schon aus, um einen Teil vom Finger zu verlieren."

Ist der Sprengstoff einmal verbaut, sei eine Fernzündung technisch möglich. "Das geht über einen elektrischen Impuls, den beispielsweise die Batterie der Pager erzeugen kann. Man kann das ferngesteuert machen", so Wahler. "Eventuell braucht man einen Primärsprengstoff, also einen kleinen Zünder, der elektrisch aktiviert wird und dann die eigentliche Sprengladung zur Explosion bringt."

Pager-Pflicht für Hisbollah-Mitglieder

Die "New York Times" berichtet weiter, dass im Sommer 2022 die ersten Pager von BAC in den Libanon geliefert worden seien, zunächst allerdings nur in kleiner Stückzahl. In diesem Jahr verbot Hisbollah-Chef Nasrallah dann Mobiltelefone bei Treffen von Mitgliedern der Miliz. Außerdem ordnete er an, interne Angelegenheiten nur noch über Pager zu kommunizieren. Hisbollah-Männer müssten ständig ein solches Gerät bei sich tragen. Zuvor hatte es Berichte gegeben, dass Israel in der Lage sei, Handynutzer über Mikrofon und Kameras auszuspionieren und sogar verschlüsselte Messenger-Dienste zu knacken.

Infolgedessen fuhr BAC dem Bericht zufolge die Produktion der mit Sprengstoff versetzten Pager massiv hoch. Im Sommer dieses Jahres seien Tausende Geräte im Libanon eingetroffen und an Hisbollah-Mitglieder verteilt worden. Die Miliz wähnte sich sicher. Israel habe seitdem jedoch jederzeit aktivierbare "Knöpfe" besessen, wie die Geheimdienstmitarbeiter der Zeitung berichten. Man habe nur noch auf den richtigen Zeitpunkt gewartet.

Netanjahu will "aktive Maßnahmen"

Und der schien offenbar gekommen. Am Sonntag hatte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ein neues Kriegsziel ausgerufen: Er wolle "aktive Maßnahmen ergreifen", damit die rund 70.000 aus dem Norden des Landes evakuierten Israelis zurück in ihre Häuser können. Dafür brauche es eine "grundlegende Veränderung der Sicherheitslage". Noch zielen auf die Grenzregion tagtäglich Raketen aus dem Libanon.

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Am Dienstag drückte Israel dann nach Angaben der zitierten Geheimdienstler den Knopf. Die Pager seien so eingestellt gewesen, dass es den Anschein hatte, die Hisbollah-Mitglieder hätten eine Nachricht ihrer obersten Führung bekommen. Nur Sekunden später durchzog eine Explosionswelle das Land.

Rätsel geben derweil die explodierten Funksprechgeräte am Folgetag auf. Diese wurden Berichten zufolge vom japanischen Unternehmen Icom hergestellt. Die Produktion sei aber vor zehn Jahren eingestellt worden, seither würden die Walkie-Talkies auch nicht mehr ausgeliefert, teilte Icom mit. Möglicherweise handelt es sich um illegal nachbaute Walkie-Talkies. Icom hatte in der Vergangenheit davor gewarnt, dass Produktfälschungen kursierten, vor allem von eingestellten Modellen.

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