Donald Trump hat mehrfach angekündigt, schon vor Amtsantritt das Thema Ukraine anzugehen. Vorbereitet ist darauf niemand. Wenn der Deal zwischen Trump und Putin akut wird, könnte es der Ukraine sogar helfen, dass Kanzler Scholz die Union für Entscheidungen ins Boot holen muss.
Drei, vier Wochen noch, dann könnte das Szenario ungefähr wie folgt aussehen: Donald Trump - noch nicht im Amt aber schon in der Spur - trifft sich mit Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj in Istanbul. Die Präsidenten der USA, Russlands und der Ukraine verhandeln über ein Ende des russischen Angriffskrieges. Moskaus Truppen stehen tief im Donbass. Trump will zukünftig keine Waffen mehr liefern. Putin findet, er muss gar nichts. Entsprechend viel Gelände überlässt die Ukraine Moskau, so wird es im Vertrag festgelegt, damit die russischen Truppen ihre Angriffe einstellen.
Aber eins steht noch aus: die Rechnung für den Deal. Die präsentiert Trump noch am selben Abend in Paris den Staatschefs von Frankreich, Großbritannien und Deutschland. Wenn die Europäer das Kriegsende auf ihrem Kontinent stabil und langfristig haben möchten, dann sollen sie auch liefern. Garantiert man mit weiteren Waffen für Kiews Sicherheit im verbleibenden Territorium? Ist man gar bereit, diesen neuen Zustand, der kein Krieg mehr ist, aber auch kein Frieden, mit einer europäischen Mission in der Ukraine zu sichern? Das sollen die Europäer am besten unter sich ausmachen. Trump, selbsternannter Antikriegs-Präsident, besteigt die Airforce One und notiert sich: Kriegsende erreicht in 24 Stunden? Check.
Ein Deal zwischen Trump und Putin kann theoretisch in drei, vier Wochen Wirklichkeit werden.- So sieht es der außenpolitische Analyst Ulrich Speck, der mit Fokus auf transatlantische Beziehungen forscht. "Trump hat mehrfach gesagt, er werde das Thema Ukraine schon vor seiner Amtseinführung angehen. Europa müsste eigentlich Tag und Nacht an einem Notprogramm arbeiten für diesen Moment", sagt Speck ntv.de. Nicht zuletzt gehe es darum, Trump und sein Umfeld zu überzeugen, dass ukrainische Sicherheitsbelange in einem solchen Deal mitverhandelt werden müssten. Doch der Politologe kann bei diesem Thema keine Bewegung erkennen, schon gar nicht in Berlin.
In der Bundeshauptstadt besteht im Gegenteil seit dem Ampel-Kollaps die akute Gefahr, dass sich die Regierung - also das, was von ihr übrig ist - in den kommenden Wochen und Monaten vor allem um sich selbst drehen wird. Vom Krisenmodus ist man übergangslos in den Wahlkampf-Turbo gewechselt. Der Partner von letzter Woche ist seit gestern Gegner, die Union als bisherige Haupt-Konkurrentin würde man jetzt gern noch für eine Rentenreform und den Haushalt 2025 gewinnen. Und überhaupt soll das Chaos noch bis März so weiterlaufen, damit sich alle in Ruhe auf Neuwahlen vorbereiten können. Und die Ukraine? Achja, die gab es ja auch noch. Sind die Russen denn schon durch die dritte Verteidigungslinie?
Wann kommt Merz ins Spiel?
Könnte sich Bundeskanzler Olaf Scholz zu einem zeitnahen Termin für Neuwahlen durchringen, dann könnte sich in Fragen der Ukraine-Unterstützung CDU-Chef Friedrich Merz durchaus bereit zeigen, Initiativen der Rest-Regierung zu unterstützen. Schließlich hat er schon beim Thema Taurus, dem sich Scholz seit anderthalb Jahren verweigert, deutlich gemacht, dass er bei andauernden russischen Angriffen auf die Zivilbevölkerung eine Lieferung der hochwertigen Marschflugkörper befürwortet. Beim Thema Ukraine wirkt die Chance auf eine Zusammenarbeit also deutlich größer als in vielen anderen Fragen. Profitiert Kiew am Ende davon, wenn Scholz nicht anders kann als Merz ins Spiel zu lassen, sobald Trump mit seinem Ukraine-Deal im Flieger sitzt?
Wenn es innenpolitisch drunter und drüber geht, dann würde sich ein Waffenstillstand Modell Trump für den Moment vielleicht sogar gut anfühlen. Er wäre aber kaum etwas wert, sogar gefährlich - es gäbe schließlich keine Garantie, dass Russland die Ukraine nicht weiter schwächt mit hybriden Angriffen, womöglich sogar mit Truppen auf dem Vormarsch. Das lehrt die Vergangenheit: Nach Unterzeichnung des Minsker Abkommens 2015 dauerte es keine Woche, bis die Russen die nächste Stadt im Donbass überrannt hatten. Auf dem Papier und in den Augen der Welt war die Sache erledigt. Doch Russland hielt den Druck auf die Ukraine aufrecht.
In einem solchen Szenario hätte eine Rumpf-Ukraine ohne massive westliche Absicherung kaum Überlebenschancen. Ein Strom von Flüchtlingen in Richtung Westen wäre wahrscheinlich. Derweil kann Putin seine Armee verschnaufen lassen, bevor er den Rest des Landes einzunehmen versucht. Russland verschiebt Grenzen und bedroht damit die europäische Sicherheitsordnung, warnen Politikexperten nicht erst seit Februar 2022. Da es Putins erklärtes Ziel ist, russische Macht und russisches Territorium auszudehnen, spricht viel dafür, dass er nach der Ukraine das nächste ehemalige Ostblockland ins Visier nimmt.
Es besteht die Gefahr, dass ein Trumpscher Waffenstillstand ohne Sicherheitsgarantien den Weg in eine solche Entwicklung ebnen könnte. Erst recht, wenn die führenden europäischen Staaten in den kommenden Wochen weiter abwarten, anstatt sich auf ein solches Szenario vorzubereiten.
Einfach wäre es nicht für die deutsche Regierung, sich ohne Mehrheit im Parlament auf europäischer Bühne zu bewegen. Doch die Bilanz der Ampel-Politik in zweieinhalb Kriegsjahren zeigt auch: Selbst in Zeiten, als es innenpolitisch nicht kriselte, nutzte die Bundesregierung die Gelegenheit kaum, um auf den Weg zu bringen, was Kanzler Scholz in seiner Zeitenwende-Rede angekündigt hatte: eine militärische Führungsposition in Europa einzunehmen.
Führen im Windschatten? Geht nicht.
Wer Europa führen will, kann nicht im Windschatten der USA unterwegs sein. Genau dort agierte der Kanzler aber beim Thema Ukraine-Unterstützung. Kaum eine Entscheidung über schwere Waffen, ohne dass Joe Biden den ersten Schritt machen musste.
Am Mittwochabend nannte der Kanzler als ein Motiv für das Ende der Ampel, Finanzminister Christian Lindner sei nicht zur Aussetzung der Schuldenbremse bereit gewesen, damit man Kiews Kämpfende 2025 stärker unterstützen könne. Was klingt, als wolle Scholz sich für Ukraine-Hilfe starkmachen, wirkt mit Blick auf die jüngste Vergangenheit weniger überzeugend.
Die viel kritisierte Halbierung des Budgets für die Ukraine-Hilfe in den Haushaltsplänen für das kommende Jahr hatte Scholz mitgetragen. Die Forderung seines Verteidigungsministers nach zehn Milliarden mehr für den Wehretat hatte er abgeschmettert. Die Aufträge für Waffen und Munition für das kommende Jahr sind schon vergeben. Dafür braucht es den Fortbestand der Ampel nicht mehr.
Für das Ziel, dass sich die Ukraine als souveräner, demokratischer Staat behaupten könnte, bräuchte es nun, nach der Entscheidung für Donald Trump, in Europa vor allem Mut, Schnelligkeit und die Bereitschaft zusammenzuarbeiten. Am besten schon bevor Trump sich mit dem Ukraine-Deal auf den Weg macht.
Führung für Europa war auch zu Ampel-Zeiten von Scholz nicht zu bekommen. "Wir haben eine relativ visionsfreie Außenpolitik gehabt", sagt Experte Speck. "Wo Deutschland sich in der Systemkonkurrenz mit Russland positioniert, ist nicht klar geworden. Eine solche Vision hätte aus dem Kanzleramt kommen müssen." Nun ist es vermutlich zu spät dafür, aber an Tempo und Pragmatismus könnte der Kanzler gewinnen, wenn er sich mit Friedrich Merz ins Benehmen setzen müsste.
Mit Trump beginnt für die Ukraine der Showdown
"Wenn sich Länder wie Polen, die Skandinavier, eventuell auch Frankreich zusammenschließen würden, um einen neuen Zustand der Ukraine abzusichern, den Russland akzeptiert, dann würde sich in Deutschland ein Konsens dafür finden", so die Einschätzung von Experte Speck. "In herausragenden nationalen Sicherheitsfragen würde sich die Union nicht verweigern."
Für die Ukraine ist am Mittwochmorgen mit der Wahl Donald Trumps wohl die entscheidende Phase in ihrem Überlebenskampf angebrochen. Ob sie sich behaupten kann, wird nun stärker von den Europäern abhängen, als den Europäern lieb sein kann.
Das Ampel-Aus ebnet den Weg für eine neue, kraftvollere Regierung, die Führungsqualität und -willen auf EU-Ebene entwickeln könnte. Bis diese aber in Amt und Würden ist, läuft Deutschland Gefahr, den Zeitpunkt zum Handeln zu verpassen. Doch ein Parlament, eine Regierung und eine Opposition, die ihre Komfortzonen und ausgetretenen Pfade ohnehin schon verlassen mussten, haben auch die Chance zu zeigen, wozu lebendige Demokratie fähig ist. Dafür müssen sie erkennen, wie sehr es jetzt darauf ankommt.