Offen wie nie zuvor äußert sich Robert Habeck zu einer möglichen Kanzlerkandidatur für die Grünen. Dass es dazu kommen wird, schließt er gar nicht aus. Doch vorher will er mit seiner Partei die "Laufwege" klären - und findet sich dabei in einer unerwartet starken Position wieder.
Nach der aufsehenerregenden Verzichtserklärung von Annalena Baerbock hat sich Robert Habeck erstmals zur Möglichkeit einer Kanzlerkandidatur für die Grünen geäußert. "Ich möchte mich gerne in die Verantwortung nehmen lassen, für Deutschland in die Verantwortung nehmen lassen", sagt Habeck im Podcast des Magazins "Politico". Und weiter: "Für meine Partei, für das Projekt, für die Demokratie, für die feste Überzeugung, ja, das Wissen würde ich sagen, dass nur die Gestaltung der Zukunft das Land zukunftsfähig macht - von Klimatechnik, über wie wir miteinander reden und sprechen." Frei übersetzt bedeutet das in Habeck-Deutsch so viel wie: "Ja, ich will". Doch Habeck stellt im weiteren Gesprächsverlauf auch deutlich Bedingungen an seine Partei.
Dabei sind alle öffentlichen Einlassungen zu einer möglichen Kanzlerkandidatur heikel für Habeck. Die Partei steht im RTL/ntv-Trendbarometer bei 11 Prozent und in anderen Umfragen kaum besser da. Zugleich stoßen die Grünen bei vielen Wählerinnen und Wählern auf vehemente Ablehnung. Das Reden über eine grüne Kanzlerschaft wirkt da schnell realitätsfremd. Titel wie Kanzlerkandidat seien derzeit "ganz egal" und "die unwichtigste Frage", sagt Habeck deshalb. "Mir geht es darum, dass wir, bevor wir uns über Titel unterhalten und über Strategie, Vertrauen aufbauen müssen, miteinander dem Land ein Angebot machen und wieder da ansetzen, wo wir 2020, 2021 waren." Habeck will mit seiner Partei grundsätzlich werden, bevor es konkret wird.
Ein ärgerlicher Glücksfall
Als Annalena Baerbock während des NATO-Gipfels in Washington ihren Verzicht auf eine erneute Kandidatur erklärte, war das zunächst einmal ein Schlag ins Gesicht der Parteiführung. Zeit und Ort waren nicht abgestimmt, Art und Weise erst recht nicht. Statt "in einer Kanzlerkandidatur gebunden zu sein", wolle sie angesichts der internationalen Krisen ihre Kraft "weiterhin voll und ganz" ihrer aktuellen Aufgabe widmen, sagte die Außenministerin im CNN-Interview. Anders als Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Habeck soll Baerbocks Rolle zu wichtig für einen parallelen Bundestagswahlkampf sein? Ihr Versuch einer selbstbestimmten Aufgabe im Ringen mit Habeck um die Rolle der Nummer eins warf Fragen auf und kam für die übrige Grünen-Spitze zur Unzeit. Diese wollte schließlich noch gar nicht über eine Kanzlerkandidatur reden.
Doch Baerbocks Alleingang anstelle einer späteren gemeinsamen Bekanntgabe könnte sich für Habeck als Glücksfall erweisen: Er ist nun das alleinige einigermaßen aussichtsreiche Zugpferd der Grünen. Gerade in deren linkem Flügel hat der Realo Habeck nicht nur Anhänger. Nun aber muss sich die gesamte Partei um ihn scharen. Sie muss ihn umwerben, nicht andersherum. Das kommt dem 54-jährigen Flensburger sehr entgegen, denn seinerseits hat auch er sich oft an den Grünen und mancher linken Position gerieben. Jetzt richtet er die Frage an die Partei: Können wir uns auf einen gemeinsamen Weg verständigen?
Die Krönung naht
"Alle müssen sich klarmachen, auch jetzt meine Partei, was wir eigentlich wollen", formuliert es Habeck bei "Politico". Er wähnt die Partei im Tunnelblick ihrer so schwierigen Regierungsrolle. "Wir müssen raustreten wollen davon, wir müssen dann einmal den Kopf hochmachen, den Horizont wieder sehen und sagen: 'Da wollen wir hin' und sagen: 'Das ist unser Angebot' und dann gehen wir los und dann gucken wir mal, wie viele mitkommen." Darüber werde die Partei "noch ein bisschen reden müssen", sagt Habeck. "Und wenn wir wissen, wie wir es genau machen, dann melden wir uns."
Das "bisschen" umschreibt einen engen Zeithorizont. Ihr Bundestagswahlprogramm werden die Grünen erst im Frühjahr auf großer Bühne diskutieren und verabschieden. Im Herbst gingen die Vorbereitungen des Programms allmählich in die heiße Phase, heißt es aus der Partei. Doch schon Mitte November findet die reguläre Bundesdelegiertenkonferenz in Wiesbaden statt. Dieser Bundesparteitag dürfte Habecks Krönungsparteitag werden. Dessen Choreografie bedarf feiner Planung. Habeck und seine Mitstreiter klopfen daher jetzt schon ab, ob wirklich alle Grünen den Kurs dieses Kandidaten mittragen werden.
Habeck sind Wortmeldungen und Entscheidungen Einzelner, die die Erzählung von der oberlehrerhaft auftretenden Verbotspartei bestätigen, ein Graus - ob nun tatsächlich oder nur scheinbar. Verbale Ausreißer will Habeck künftig genauso vermeiden wie das Verkämpfen in Symbolpolitik wie dem PKW-Verbot in der Berliner Friedrichstraße oder dem Aus der Brötchen-Taste in Bremen. In beiden Städten sind die Grünen dafür hart abgestraft worden. Die Partei müsse den Menschen wieder zuhören und die Bereitschaft zeigen, sich auch einmal zu korrigieren, sagt Habeck im Podcast.
Habeck, der Einwechselspieler
"Du wirst eingewechselt und es steht vier zu null gegen dich", greift er zur Fußball-Metapher, um seine mögliche Rettungsmission als Kanzlerkandidat zu beschreiben. "Wenn man sagt 'Jetzt drehe ich das Spiel um!', dann müssen alle ihre Laufwege kennen und davon hängt sehr vieles ab." Interessant ist dabei nicht nur, dass Habeck vorab die "Laufwege" der anderen in der Partei abgeklärt wissen will. Er wäre dem Bild nach auch gar nicht zuständig für den momentanen Rückstand der Grünen, weil er bisher ja nur auf der Bank saß. Da könnte dem Handball-Fan Habeck aber auch nur die Metapher verrutscht sein. Es wäre nicht das erste Mal bei ihm.
Programmatisch sieht Habeck seine Partei stramm in der Mitte, anschluss- und bündnisfähig in alle Richtungen, niemals extrem oder ausschließend. "Der Populismus hasst Maß und Vernunft und Mitte", sagt Habeck über die Angriffe von links und rechts. Und gerade deshalb müssten die Grünen diesen Kurs beibehalten. Seine Vorstellung vom Weg seiner Partei deckt sich mit seiner Vorstellung für das Land: unterschiedliche Akteure hinter einem Ziel zu versammeln, um die Republik mit neuen Mehrheiten in die Zukunft zu führen. "Das ist meine Idee von Deutschland und von der Gesellschaft", gewährt Habeck Einblick in seine mögliche Kanzler-Programmatik.
Ein weiterer Einblick: Er wolle Politik mit mehr "Freude" betreiben, in der man auch "ein bisschen lachen kann". Der Streit um das Heizungsgesetz sei eine "sehr schwierige Sache" gewesen, sagt Habeck. "Die hat mich viel Vertrauen gekostet und nix daran ist eine gute Geschichte gewesen." Der Bundeswirtschaftsminister hat erkennbar Sehnsucht nach mehr Leichtigkeit in einem politischen Betrieb, der ständig mit persönlichen Anwürfen hantiert und oft mit harten Bandagen kämpft.
Dabei sind auch Habeck die Boxhandschuhe nicht fremd. Als er die Situation der Grünen mit einem Fußballspiel vergleicht, sagt er auch: "Es ist jetzt nicht so, und das ist der Unterschied zu 2021, dass man sagt: 'Oh, da ist ein Feld bereitet, bitte lass mich den Elfmeter schießen. Ich muss ihn nur reinbringen'." Bei der jüngsten Bundestagswahl sei für die Grünen mindestens "ein sehr guter zweiter Platz" drin gewesen, sagt er. Bekanntlich wollte Habeck damals den Elfmeter schießen, musste aber der in der Partei populäreren Baerbock den Vortritt lassen. Daran, wer dann den Schuss versemmelt hat, wollte Habeck offensichtlich auch noch einmal erinnern.