1 day ago

Aus Angst vor Ost-Wählern?: AfD streicht Wehrpflicht aus Wahlprogramm



Eigentlich hat sich die AfD in ihr Grundsatzprogramm geschrieben, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Doch damit möchte die Partei im beginnenden Wahlkampf lieber nicht werben - aus dem vorläufigen Wahlprogramm ist die Wehrpflicht kurzerhand gestrichen worden. Warum?

Für viele in der AfD war die Forderung eine, die einen Kern ihrer Partei von Anfang an ausgemacht hat: "Die AfD tritt dafür ein, für alle männlichen deutschen Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 25 Jahren den Grundwehrdienst wieder einzusetzen", steht im Grundsatzprogramm seit der ersten Fassung 2016. Die Bundeswehr mit der Wehrpflicht stärken, auch damit sich die Gesellschaft wieder mehr mit ihren Streitkräften identifiziert - die Hoffnung der AfD damals. Folgerichtig nur, dass diese Forderung auch in den vergangenen Bundestagswahlprogrammen prominent aufgeführt wurde. Doch dies soll nun anders werden, so hat es die Programmkommission der Partei entschieden.

Fast einen Monat ist es her, dass sie die Vorlagen für das neue AfD-Wahlprogramm aus den einzelnen Fachausschüssen zu einem Gemeinschaftswerk zusammengefügt hat. Und seitdem wird das Grummeln lauter - vor allem bei den Verteidigungspolitikern. Denn ihren Teil der Beratungsvorlage hat die Bundesprogrammkommission kurzerhand verändert. Die Bundeswehr brauche nicht nur mehr Geld zur Landesverteidigung, sie brauche auch mehr Material und Personal, um einsatzbereit zu sein. "Daher fordern wir eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht", lautete die eindeutige Forderung. Doch Marc Jongen, Mitglied des Bundesvorstandes der AfD, setzte sich mit seinem Änderungsantrag durch, dies komplett zu streichen. "Der Antrag wird mit 15 Ja-, 8 Nein-Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen", so steht es im Protokoll der Sitzung, das RTL/ntv vorliegt.

Krieg gegen die Ukraine löst Ängste aus

Hat nun die AfD selbst Identifikationsprobleme mit der Bundeswehr? Die Diskussion ist für viele Verteidigungspolitiker in der AfD trotz eindeutigem Grundsatzprogramm keine ganz neue. Schon vor anderthalb Jahren wollten sie im Bundestag mit einem Antrag für die Wiedereinführung der Wehrpflicht werben. Doch der eigene Fraktionsvorstand nahm den Antrag kurzfristig von der Tagesordnung. Einige vermuteten Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla hinter der plötzlichen Zurückhaltung, der auch damals offen seine Bedenken in Sachen Wehrpflicht äußerte: "Ich denke, es ist jetzt nicht der Zeitpunkt über eine Wehrpflicht zu diskutieren, wo die Bürger aktuell Angst haben, dass Deutschland mit in diesen Krieg hineingezogen wird", erklärte er auf einer Pressekonferenz. Chrupalla zählt auch zu den 15 Personen, die bei der Bundesprogrammkommission für das Streichen der Wehrpflicht gestimmt haben. Äußern möchte er sich auf Nachfrage dazu nicht.

Der Grund für den Schritt soll wie auch damals der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sein. Das erzählen mehrere AfD-Bundestagsabgeordnete, die mit dem Vorgang vertraut sind, aber ihren Namen nicht gerne im Artikel lesen möchten. Warum müsse die Partei ausgerechnet auf ein Thema setzen, das in Ostdeutschland große Ängste auslöse, hätten die Gegner der Wehrpflicht bei der Abstimmung argumentiert. "Wäre das in der derzeitigen Situation noch ein Signal zur Stärkung der Landesverteidigung?", fragt einer von ihnen auf Nachfrage und antwortet gleich selbst: "Jetzt würde das doch wirken, wie ein Aufruf zur Mobilmachung gegen Russland", meint er. Bei Gesprächen mit Wählern sei das ein großes Thema. Erst kürzlich hätte ihn eine Frau nach einer Veranstaltung gefragt, ob ihr Mann und Sohn bald in den Krieg müssten. "Wären wir an der Regierung, könnte ich reinen Gewissens verneinen", sagt der Bundestagsabgeordnete, "aber was, wenn Scholz doch Bodentruppen schickt?" Das Instrument einer vergrößerten Bundeswehr hätten ja andere in der Hand. Und überhaupt: Es müsse nicht immer alles im Wahlprogramm stehen, was das Grundsatzprogramm hergebe.

Kernforderung aus dem Grundsatzprogramm

Das sehen vor allem die völlig anders, die lange Jahre selbst in den Reihen der Bundeswehr gedient haben. Rüdiger Lucassen zum Beispiel, Bundestagsabgeordneter aus Nordrhein-Westfalen: "Die Wehrpflicht ist im Grundsatzprogramm der AfD fest verankert. Wegen des kommenden Wahlkampfes bin ich seit Wochen mit hunderten Mitgliedern in ständigem Austausch. Kein einziger äußerte den Wunsch nach einem Ausstieg der AfD aus der Wehrpflicht", erklärt er gegenüber RTL/ntv. Wegen der aktuellen außenpolitischen Lage könne man nicht über Bord werfen, was für eine rechts-konservative Partei quasi zur DNA gehöre.

Hannes Gnauck, Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der AfD-Jugendorganisation, pflichtet ihm bei: "Die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht ist eine der Kernforderungen aus unserem Grundsatzprogramm. Eine AfD-geführte Bundesregierung würde verantwortungsvoll mit dieser Wehrpflicht umgehen."

Und der Konflikt geht tiefer. Gerade bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen war die AfD als selbst ernannte "Friedenspartei" auf Stimmenfang. Gegen jegliche Waffenlieferungen an die Ukraine, für Friedensverhandlungen - wie auch immer diese aussehen mögen. Selbst wenn die Bundesregierung nochmal neue Milliarden für die Bundeswehr verkünden würde, sei die AfD-Reaktion zurzeit garantiert kein Jubel, meint ein Mitglied der Fraktionsführung. Auch wenn die Partei das seit Jahren eigentlich fordern würde. Zu sehr sei alles, was mit der Bundeswehr zu tun habe, gerade mit dem Thema Ukraine verknüpft.

Für die eigenen Verteidigungspolitiker ist der Widerspruch nur schwer aufzulösen: Endlich könnte man einer Mehrheit der Bevölkerung erklären, warum die Bundeswehr besser ausgestattet werden muss, doch gerade da möchte die AfD von ihrer eigenen Forderung nichts mehr wissen.

"Wir waren jetzt lange rücksichtsvoll wegen der Landtagswahlen und den Befindlichkeiten in Ostdeutschland", meint einer von ihnen, "aber langsam muss dieser linke Friedenstaubenquatsch mal enden." So gibt es die Idee, beim Bundesparteitag im Januar, die Wehrpflicht mit einem Änderungsantrag wieder ins Wahlprogramm zu drücken. Doch der Abgeordnete aus Westdeutschland ist da noch skeptisch und hat große Sorgen vor der offenen Aussprache über den Antrag im Plenum: "Der Parteitag ist ja eine öffentliche Veranstaltung und die Gefahr ist groß, dass die völlig abstruse Argumentation mancher Ostverbände dabei ausgiebig dargelegt wird."

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