Die US-Regierung überschüttet Bundeskanzler Scholz mit Lob. Präsident Biden unterstreicht mit seinem Besuch in Berlin seine besondere Beziehung zu Deutschland. Das hat auch mit seinem größten politischen Projekt zu tun.
In mehr als einem halben Jahrhundert können sich einige Geschichten ansammeln. So lange ist Joe Biden schon in der großen Politik. Nun reist der US-Präsident zum wohl vorletzten Mal in seiner Karriere nach Deutschland. Egal, wie die US-Wahl ausgeht, Biden tritt im Januar ab. Zunächst war ein tagelanger Trip vorgesehen, doch dann verwüsteten die Hurrikane "Helene" und "Milton" den Südosten der USA. Biden blieb vorerst zu Hause. Jetzt kommt er doch, auf einen Blitzbesuch, der möglicherweise weniger als 24 Stunden dauern wird.
Der Empfang mit militärischen Ehren soll am Freitag trotz der knappen Zeit stattfinden. In der diplomatischen Welt ist Bidens Visite deshalb lediglich ein offizieller, kein Staatsbesuch mehr. Der bislang letzte eines US-Präsidenten bleibt damit der von Ronald Reagan 1985, als Helmut Kohl im Kanzleramt saß. Das Ukraine-Treffen auf der US-Luftwaffenbasis im rheinland-pfälzischen Ramstein vergangene Woche wurde wegen Bidens Planänderung ebenfalls verschoben. Die westliche Allianz soll stattdessen im November an derselben Stelle zusammenkommen und Biden teilnehmen, sagte ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter zu ntv.de.
Dieses Mal soll es zumindest ein Koordinationstreffen für die Ukraine-Hilfen zwischen Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Großbritanniens Premier Keir Starmer geben. Das wäre wohl auch virtuell möglich, der US-Präsident kommt also insbesondere nach Berlin, um die höchste deutsche Ehrung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier entgegenzunehmen: für seine Verdienste um die transatlantischen Beziehungen. Aber was verbindet Biden mit Deutschland?
Zwölf Jahre am europäischen Puls
Schon als Senator, der er seit 1972 war, hatte Biden ein Auge auf die transatlantischen Beziehungen, war Mitglied entsprechender Ausschüsse. Er stimmte für die Invasion des Irak im Jahr 2002. Bundeskanzler Gerhard Schröder brüskierte Washington erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs offen und lehnte eine deutsche Beteiligung an der US-Intervention im Irak ab. Die USA marschierten dort mit der "Koalition der Willigen" wegen angeblicher Massenvernichtungswaffen ein und stürzten Machthaber Saddam Hussein. Biden bezeichnete seine Unterstützung des Einmarsches später als großen Fehler.
Als Vizepräsident von Barack Obama hatte der Demokrat zunächst zwischen 2009 und 2016 zumindest indirekt mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zu tun. Unter ihr löste der Skandal um den US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) eine diplomatische Krise zwischen Berlin und Washington aus. Der Whistleblower Edward Snowden hatte aufgedeckt, dass die NSA mit den anderen Mitgliedern der "Five Eyes"-Dienste in ungeahnten Ausmaßen das Internet überwachte. Davon war Merkel schon nicht begeistert, sie beschwerte sich in aller Schärfe beim Weißen Haus.
Dies versicherte, Merkels Telefon werde aber nicht abgehört - was je nach Interpretation eine Falschinformation oder sogar Lüge war, wie sich wenige Monate später herausstellen sollte. "Das ist wie die Stasi", herrschte die Kanzlerin den US-Präsidenten an. Währenddessen kümmerte sich Vize Biden auch um das diplomatische Tagesgeschäft mit dem wichtigsten europäischen Verbündeten. Dies tat er aus Sicht von US-Medien so geschickt, dass wenige Monate vor dem Ende von Obamas Amtszeit ein Journalist des "The Atlantic" daraus eine "Biden-Doktrin" ableitete.
Ein Teil davon sei, dass die USA in der aktuellen Weltordnung ihre Verantwortung teilen und Informationen mit Partnern austauschen müssten, um zu bestehen. Persönliche Beziehungen zu anderen Führungspersonen seien ein Schlüssel, um Ziele zu erreichen, die andernfalls nicht möglich gewesen wären. So verfuhr Biden dies einige Jahre später, inzwischen selbst Präsident, als die Vereinigten Staaten wiederholt öffentlich und detailliert davor warnten, dass ein russischer Einmarsch in die Ukraine bevorstünde. Radikale Transparenz statt übertriebener Geheimniskrämerei war der Ansatz, um so viele Staatschefs wie möglich gegen Russlands Präsident Wladimir Putin um sich zu scharen.
"Unglaublicher Verbündeter"
Kurz vor der Vollinvasion war Olaf Scholz ins Kanzleramt gezogen. Biden hatte seit Ende 2021 erstmals einen anderen Ansprechpartner in Berlin. Wegen des offenen Ukraine-Kriegs sind die beiden NATO-Länder noch enger zusammengerückt, als sie es zuvor waren, heißt es aus der Regierung. Der Präsident und der Kanzler hätten seither eine "sehr, sehr enge Arbeitsbeziehung" gepflegt, sagte ein US-Vertreter vor Bidens Reise und betonte insbesondere Scholz' Engagement im Ukraine-Krieg: "Deutschland war in den vergangenen Jahrzehnten ein unglaublich enger Verbündeter und Partner und (Scholz) hat sich in den mehr als drei Jahren seiner Amtszeit in Sicherheitsfragen den Herausforderungen gestellt."
Biden rief in seiner Präsidentschaft "die (globale) Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie" aus. Allein, dass Deutschland nach den USA die meisten Militärhilfen bereitstellt, macht Berlins Bedeutung für Biden deutlich. Schon als Vizepräsident hatte Biden auf enge Kooperation mit Deutschland gesetzt. Als er 2021 Präsident geworden war, empfing er Merkel als erste europäische Regierungschefin.
Zuvor hatten die beiden einen geopolitischen Konflikt vermeintlich auf die lange Bank geschoben. Der US-Staatschef hatte sich im Mai 2021 von der Kanzlerin überzeugen lassen, verhängte Sanktionen gegen die Nord Stream 2 AG, das Unternehmen hinter der umstrittenen Gas-Pipeline aus Russland nach Deutschland, auszusetzen. Washington befürchtete, Russland könne die EU von seiner Energie abhängig und die Pipeline durch die Ukraine überflüssig machen.
Die Begründung klang nach einem Freundschaftsdienst: Die Aussetzung sei wegen europäischer Energiesicherheit im nationalen Interesse der USA, sagte Außenminister Anthony Blinken. Sie stehe "im Einklang mit dem Versprechen des Präsidenten (Biden), die Beziehungen zu unseren Verbündeten und Partnern wieder aufzubauen." Im Februar des Folgejahres marschierte Russland in die Ukraine ein.
Biden hat in seinen Jahrzehnten im Kongress und im Weißen Haus seine Vorgehensweise verfeinert: Konflikte werden hinter verschlossenen Türen ausgetragen, die aber für Lösungen immer einen Spalt offen stehen. Es mag aus seinen Begegnungen und Verhandlungen mit anderen Persönlichkeiten, insbesondere mit Merkel und Scholz viele Geschichten geben. Aber nicht viele haben den Weg hinaus gefunden. Womöglich ist das auch eine der wichtigsten Verbindungen mit seinen Gastgebern. Die ihn auch dafür ehren.