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Anschlag in Aschaffenburg: Warum Abschiebungen innerhalb Europas so selten gelingen



Der Täter von Aschaffenburg hätte längst nicht mehr hier sein dürfen. Das Asylsystem dahinter ist kaputt und überlastet. Warum scheitern deutsche Behörden so oft?

Der Mörder von Aschaffenburg hätte sich schon lange nicht mehr in Deutschland aufhalten sollen. So viel ist nach geltendem Recht unstrittig. Seit seiner Tat gibt es harte politische Auseinandersetzungen über das kaputte europäische Asylsystem und einen faktischen Einreisestopp für Flüchtlinge an deutschen Grenzen. Eine Auswertung neuer Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zeigt nun das Ausmaß der Probleme im europäischen Asylsystem, bei dem Deutschland noch schlechter wegkommt als weithin bekannt.

Nur acht Prozent aller Dublin-Fälle abgeschoben

Laut des sogenannten Dublin-Abkommens ist – mit einigen Einschränkungen – der EU-Staat für einen Geflüchteten verantwortlich, in den dieser zuerst eingereist ist. Dort soll das Asylverfahren durchgeführt werden. Allein 2024 gab es deshalb aus Deutschland rund 75.000 Anfragen an andere europäische Staaten für eine Übernahme des Verfahrens.

Doch Deutschland überweist tatsächlich nur einen Bruchteil diese Asylbewerber wieder zurück in die für sie zuständigen EU-Länder. Zwar wurde bei immerhin 44.000 der Anfragen – also mehr als der Hälfte – einer Rücknahme durch den anderen Staat zugestimmt. Es kam letztlich aber nur zu 5800 Überstellungen. Nicht einmal acht Prozent aller angefragten Fälle konnten damit 2024 in die Länder ihrer Einreise überführt werden. Die Probleme liegen demnach nicht nur in der Aufnahmebereitschaft der anderen EU-Länder.

Gleichzeitig nahm Deutschland im selben Zeitraum 4600 Menschen aus anderen EU-Ländern auf, obwohl es umgeben ist von europäischen Nachbarstaaten.

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Andrea Lindholz, CSU-Abgeordnete aus Aschaffenburg und Vizechefin der Unionsfraktion im Bundestag, sagte dem stern dazu: "Die Zahlen zeigen: Deutschland ist im Dublin-System seit Jahren der Dumme. Das System ist völlig dysfunktional." Als Land in der Mitte Europas müsse Deutschland eigentlich deutlich mehr Asylbewerber an die 26 anderen Mitgliedstaaten überstellen, als von diesen überstellt bekommen, kritisiert Lindholz. "Tatsächlich schicken die anderen Mitgliedstaaten seit Jahren fast so viele Asylbewerber zu uns, wie wir ihnen überstellen. Das ist grotesk."

Doch es gibt zumindest Erklärungen dafür: Laut dem Migrationsexperten Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) handelt es sich bei den Fällen, die Deutschland aus anderen EU-Ländern aufnimmt, oft um Zusammenführungen von Familien. Wenn also Kinder oder Frauen in Außenstaaten wie Griechenland oder Italien ankommen, sollen diese nach europäischem Recht mit ihren Familien vereint werden.

"Diese Anträge nimmt Deutschland natürlich an", sagt Bossong. Aber warum schickt Deutschland trotz der Zustimmung anderer EU-Länder nur so wenige Menschen dorthin zurück, um dort ein Asylverfahren zu ermöglichen? Die Antwort ist vielgestaltig.

Aschaffenburg zeigt, was im Asylsystem schiefläuft

Auch der Täter aus Aschaffenburg hätte längst nach Bulgarien überwiesen sein sollen. An seinem Fall zeigen sich die Untiefen des Systems mit besonderes dramatischen Folgen: Das Bamf stellte nach der Einreise des Afghanen Ende 2022 fest, dass er zuvor bereits in Bulgarien registriert worden war. Das Flüchtlingsamt fragte daraufhin bei den Bulgaren an, ob sie den Mann zurücknehmen würden. Der Anfrage wurde stattgegeben.

Ab dann muss die Überführung innerhalb von sechs Monaten stattfinden. Doch es passierte erstmal: nichts. Das Bamf brauchte fast die gesamten sechs Monate, um den Asylantrag zu bearbeiten und dann die bayerischen Behörden zu informieren. Diese erhielten die Anordnung zur Abschiebung erst neun Tage vor Fristende. Zu wenig Zeit zur Vorbereitung.

Die Überstellung nach Bulgarien war damit im August 2023 gescheitert. Das deutsche Asylverfahren lief weiter. Doch 14 Monate lang ging es nicht voran. Anfang Dezember 2024 erklärte der Afghane dann, freiwillig ausreisen zu wollen. Ende 2024 erlosch seine Aufenthaltsgenehmigung, bis zum Anschlag am 23. Januar hielt er sich illegal in Deutschland auf.

Union will Überlastung der Behörden mildern

CSU-Politikerin Lindholz kritisiert: "Dublin-Überstellungen scheitern unter anderem an Fehlern im Inland, die aus Überlastung herrühren, so wie beim Täter von Aschaffenburg." Hinzu komme, dass viele Asylbewerber untertauchten, sich ärztliche Atteste besorgten oder Gerichte Abschiebungen stoppten, erläutert Migrationsexperte Bossong. Laut Bamf sind die vier häufigsten Gründe für das Scheitern: der andere Staat, Untertauchen der Personen, die lokalen Ausländerbehörden oder: Organisatorisches. "Das alles erklärt die niedrigen Zahlen", resümiert Bossong.

Viel zu oft liege das Scheitern aber auch daran, dass die anderen Mitgliedstaaten Überstellungen in der Praxis erheblich erschwerten, moniert Lindholz. So stimmt Bulgarien laut den Zahlen des Bamf zwar nahezu allen Anfragen aus Deutschland zu, in der Praxis würden von dem Balkanstaat pro Jahr aber nur etwas mehr als 500 Menschen aus der gesamten EU übernommen, heißt es aus Sicherheitskreisen.

Migrationsexperte warnt vor nationalem Alleingang

Ähnlich handele Italien. Dort würden Überstellungen nur unter bestimmten Bedingungen, auf bestimmten Wegen und an bestimmten Tagen erlaubt. Nur drei Menschen wurden demnach 2024 nach Italien zurückgebracht. Andere Länder wie Griechenland weisen den Bamf-Zahlen zufolge gleich nahezu alle Anträge der deutschen Behörden ab: 2024 stimmten die griechischen Behörden nur rund 500 von 15.500 Anträgen zu.

Auch Migrationsexperte Bossong kennt diese praktischen Fallstricke. "Deutschland versucht seit Langem, dafür bilaterale Abkommen zu vereinbaren, um das zu lösen", sagt Bossong. Das Problem sei schon unter dem CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer bekannt gewesen. "Das könnte man in Zukunft noch stärker vorantreiben."Rekonstruktion Merz 6:05

Andrea Lindholz klagt: "Die EU-Kommission schaut seit Langem weg." Sie unterstütze deshalb den harten Kurs von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz. Dieser hatte gefordert, faktisch alle Asylbewerber an den deutschen Grenzen zurückzuweisen, weil sie zuvor durch einen sicheren EU-Staat gereist sein müssen. Er sprach von einem faktischen Aufnahmestopp.Lindholz sagt dazu: "Niemand kann verwundert sein, wenn Deutschland sagt 'Es reicht' und Asylsuchende an den Grenzen zurückweist." 

Migrationsexperte Bossong dagegen warnt vor solchen nationalen Alleingängen: "Das Aushandeln des neuen Asylsystems GEAS hat acht Jahre lang gedauert, man sollte das nicht wegwerfen." Die Dublin-Verfahren würden dadurch vereinfacht, die Überstellungsfristen von sechs Monaten auf bis zu drei Jahre verlängert. Auch Aufnahmezentren an den Außengrenzen und ein neues Solidarsystem zwischen den Staaten können bei einer besseren Verteilung der Flüchtlinge in Europa helfen.

Doch auch Bossong räumt ein: "Das allein wird nicht die große Wende sein, wenn es in Kraft tritt."

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