Eine historische Wahlniederlage, wenig Euphorie an der SPD-Basis für Schwarz-Rot: Lars Klingbeil zieht daraus den Schluss, weiter aufzusteigen. Nächste Station: Vizekanzler.
So, das wäre dann auch geklärt: Die SPD ist keine Digital-Partei, ihre Lust auf Schwarz-Rot ist mau, aber ausreichend und die Klingbeilisierung der Partei schreitet unvermindert voran. All das lässt sich aus dem Ergebnis der SPD-Mitgliederabstimmung ablesen. Und aus den Schlüssen, welche die Parteiführung direkt im Anschluss daraus zieht.
Zwar haben sich 84,6 Prozent der SPD-Basis für den Koalitionsvertrag mit CDU und CSU ausgesprochen, Schwarz-Rot damit ihren Segen gegeben. Beteiligt haben sich aber lediglich 56 Prozent aller wahlberechtigten rund 350.000 Parteimitglieder. Dass die Abstimmung mitten in den Osterferien stattgefunden hat und erstmals online durchgeführt wurde, mag schwer urlaubsreife und weniger internetaffine Genossinnen und Genossen entschuldigen. Dennoch kann das Votum nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Begeisterung der SPD-Mitglieder für Schwarz-Rot unterentwickelt ist.
Als die letzte Koalition mit der Union zur Abstimmung stand, 2018 war das, machten fast 80 Prozent der Mitglieder mit – seinerzeit hatte ein Juso-Chef namens Kevin Kühnert die SPD mit seiner No-GroKo-Kampagne mobilisiert. Dieses Mal führte die Parteiführung nicht weniger als ein schwarz-blaues Schreckgespenst ins Feld, prophezeite schlimmstenfalls eine Staatskrise – und lockte dennoch deutlich weniger Genossen an die Online-Urne.
Ein starkes Mandat ist das also nicht. Trotzdem hat sich Lars Klingbeil kurz nach der internen Bekanntgabe des Geht-so-Ergebnisses von den Parteigremien erbeten, die Regierungsmannschaft der Sozialdemokraten federführend aufzustellen. Nach offizieller Lesart auch auf Empfehlung von Saskia Esken, seiner Co-Parteichefin, und Generalsekretär Matthias Miersch. Im engen Austausch natürlich. Ach so, und im neuen Kabinett will Klingbeil außerdem gern Finanzminister und Vizekanzler sein.
War da was?
Schon nach der historischen Niederlage bei der Bundestagswahl, die er als Parteichef und zentraler Akteur mitzuverantworten hat, griff Klingbeil kurzerhand nach dem Fraktionsvorsitz. Abgezockt, aber effektiv. Als unzweifelhafter Boss-Genosse hat er in den Verhandlungen mit der Union mehr für die Sozialdemokraten herausgeholt, als das maue Ergebnis rechtfertigen würde. Nicht zuletzt einige Schlüsselressorts in der künftigen Koalition, darunter, wie sich jetzt zeigt, auch eines für sich selbst.
Welche Vision hat Klingbeil für die SPD?
Klar, Klingbeil übernimmt damit Verantwortung für die SPD, unterstreicht sein Pflichtbewusstsein. Er duckt sich nicht weg und will die geknickten Genossen, denen er einen "Generationenwechsel" versprochen hat, für die Wahl 2029 wieder aufrichten. Nur eines zeigt Klingbeil mit seinen bisherigen Personalentscheidungen (die zumeist ihn nach oben befördert haben) nicht: Demut gegenüber den jüngsten Ergebnissen. Wer sollte ihm auch widersprechen?
Die "Klingbeilisierung" der SPD, einst ein Kampfbegriff seiner politischen Gegner für ruppige Wahlkampfmanöver, ist nun Chiffre für sein Machtbewusstsein – und wie man es im richtigen Moment zur Geltung kommen lässt. Das macht eine starke Führungsfigur aus.
Zu ihren Aufgaben gehört jedoch auch, wichtige Entscheidungen zu treffen, vor allem die unangenehmen. Die Frage der SPD-Kanzlerkandidatur hatte auch Klingbeil nach stern-Recherchen sträflich laufen lassen, nun hält er sich aus der zunehmend hämischen Debatte über seine Co-Parteichefin Saskia Esken vorwiegend heraus. Das irritiert auch Klingbeils Fürsprecher. Eskens Chancen, ins Kabinett einzuziehen, sind mit seinem neuerlichen Machtmanöver eher gestiegen. Ihr diesen Weg zu verwehren, ihn selbst aber selbstbewusst zu gehen, wäre schwer zu vermitteln.
Als erklärter SPD-Teamkapitän, der die Regierungsmannschaft federführend benennen soll, wird Klingbeil nun beweisen müssen, welche Vision er für die SPD hat. Personell, aber auch programmatisch. Und dass er sich nicht nur eine Art Kanzlerwahlverein für 2029 zimmert. Das wird Fingerspitzengefühl erfordern.