Deutschlands Abtreibungsrecht steht noch immer im Strafgesetzbuch - kurz hinter den Paragrafen für Mord und Totschlag. Eine Gesetzesinitiative soll das nun ändern: Legale Abbrüche wären erstmals möglich, das Land rechtlich in 2024 angekommen. Die drohende Blockade einiger Fraktionen ist bedenklich.
Es hätte einer der ganz wenigen politischen Selbstläufer werden können. Ein kurzer Lichtblick im tief gespaltenen Berlin, der beweist: Wir können Zusammenhalt, zumindest wenn etwas eindeutig im Interesse der Gesellschaft liegt. Denn genau das trifft auf die Gesetzesinitiative zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu, die Mitglieder aus SPD, Grünen und Linken eingebracht haben und die an diesem Donnerstag erstmals im Bundestag beraten werden soll.
Danach würden freiwillige Abtreibungen bis zur zwölften Woche aus dem Strafgesetzbuch verschwinden. An dem tatsächlichen Prozedere würde sich bis auf wenige Details kaum etwas ändern. Der Vorschlag basiert vor allem auf den Ergebnissen einer unabhängigen Expertenkommission, er ist ebenso durchdacht wie ausgewogen. Dass er in Union und FDP trotzdem bereits ein Beben auslöste und CDU-Chef Friedrich Merz gar von einem "Affront" sprach, ist irritierend - und aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklich.
So ist das Abtreibungsrecht in seiner aktuellen Form kaum mehr als ein fauler Kompromiss, der seit nunmehr 30 Jahren vor sich hinmodert. 1993 kippte das Bundesverfassungsgericht einen Versuch der damaligen Kohl-Regierung, Schwangerschaftsabbrüche zu legalisieren. Das Resultat war ein höchst widersprüchliches Abtreibungsrecht, das zwar immer wieder diskutiert, aber nie wieder angetastet wurde. Auf den ersten Blick gibt es sich liberal und emanzipiert: Halten sich Schwangere an ein paar wenige Voraussetzungen, etwa ein verpflichtendes Beratungsgespräch, sollen allein sie entscheiden, ob sie ihre Schwangerschaft beenden oder nicht. Nun, wer denn auch sonst, fragt man sich und stellt schnell fest: der Staat.
Fast alles beim Alten
In Deutschland hat bei Abtreibungen immer noch der Staat das letzte Wort. Zähneknirschend gewährt er der Schwangeren zwar die Möglichkeit, die Schwangerschaft in den ersten zwölf Wochen zu beenden. Allerdings nicht, ohne ihr mit aller Härte zu suggerieren, dass das, was sie da tut, im Grunde fundamental falsch sei. Denn wer in Deutschland eine Abtreibung durchführt oder durchführen lässt, bleibt zwar unter bestimmten Voraussetzungen straffrei, er oder sie handelt aber niemals rechtmäßig. Die im Gesetz genannten Bedingungen können noch so mustergültig erfüllt werden - der Abbruch bleibt rechtswidrig. Hinter der liberalen Fassade kommt die patriarchal-anachronistische Realität zum Vorschein. Doch so steht es nun einmal seit gut drei Jahrzehnten im Strafgesetzbuch - kurz hinter den Paragrafen für Mord und Totschlag.
Aus genau diesem Umfeld will die Initiative das Abtreibungsrecht nun herauslösen. Die Idee ist es, Abtreibungen künftig im Schwangerschaftskonfliktgesetz anzusiedeln und Paragraf 218 Strafgesetzbuch in seiner jetzigen Form abzuschaffen. Damit fänden künftig erstmals auch in Deutschland legale Schwangerschaftsabbrüche statt. Die Kosten dafür würden von den Krankenkassen getragen - immerhin fielen die Abbrüche nun auch rechtlich in einen medizinischen Kontext. Vor allem aber würde ein Umzug ins Schwangerschaftskonfliktgesetz eins signalisieren: Abtreibungen passieren aus einer Notlage heraus - nicht aus krimineller Energie.
Was nach radikalen Änderungen klingen mag, ist bei genauerer Betrachtung genau das Gegenteil. Denn an den Bedingungen, unter denen ein freiwilliger Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig wäre, soll sich kaum etwas ändern: Im eingebrachten Antrag bleibt die Beratungspflicht und auch die Frist von maximal zwölf Wochen wird nicht verlängert. Entfallen würde lediglich die aktuell notwendige Wartezeit nach dem Beratungsgespräch. Kurz: Auch im Gesetzesentwurf hat der Schutz des ungeborenen Lebens Priorität - das Schutzkonzept bliebe mit der Reform so gut wie unverändert.
Dann lieber gleich lassen?
Trotzdem stemmen sich weite Teile der Union und der FDP sowie die AfD gegen eine zeitnahe Legalisierung von Abtreibungen. Kanzlerkandidat Merz gab sich prompt empört und sah Deutschland bereits an einem "Großkonflikt" zerbrechen. Im besten Fall zeugte diese Aussage lediglich von einem ausbaufähigen Gespür für die Gesellschaft - laut jüngsten Umfragen plädieren 74 Prozent der Bevölkerung für die Legalisierung.
FDP-Generalsekretär Marco Buschmann scheint hingegen schon die Dringlichkeit einer Reform nicht zu verstehen. Ja, Abtreibungen seien im Strafrecht geregelt, räumt er zwar ein. Aber immerhin sei die Strafbarkeit doch nur sehr theoretisch, wenn man sich an die "nicht so streng gefassten" Vorgaben halte. Dass die Kriminalisierung von Abtreibungen nun gerade in den Worten des Ex-Justizministers wie eine Lappalie, eine lästige juristische Pingeligkeit, klingt, irritiert. Denn exakt das Gegenteil ist der Fall: Ungewollt Schwangere berichten von Stigmatisierung, ganz abgesehen von der finanziellen Belastung. Vor allem aber ist vielen Ärztinnen und Ärzten die Rechtslage zu heikel. Gerade in ländlichen Gebieten ist so eine teils prekäre Versorgungslage für Abtreibungen entstanden.
Und selbst wenn, mag sich der Jurist Buschmann denken. Am Ende, davon gehe er aus, werde die Streichung von Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch ohnehin keinen Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht haben. Na, dann sollte man es wohl besser gleich sein lassen, möchte man diesem blühenden Vertrauen auf gut durchdachte Gesetze hinzufügen. Doch das 1993 verhängte Veto aus Karlsruhe noch heute als Basta-Argument zu nutzen, ist zu kurz gedacht.
Richtig ist: In der damaligen Entscheidung des Gerichts überwog der Schutz des ungeborenen Lebens das reproduktive Selbstbestimmungsrecht der Frau deutlich, im Ergebnis war gar von einer Austragungspflicht der Frau die Rede. Aber: Die obersten Richterinnen und Richter urteilen nicht im Vakuum. Es gehört gerade zu ihrer Aufgabe, die Grundrechte im Lichte des gesellschaftlichen Wandels auszulegen. Und auch Karlsruhe schreibt das Jahr 2024. Reproduktive Rechte haben immens an Bedeutung gewonnen, das hat das Bundesverfassungsgericht selbst bereits oft genug betont. Damit ist das Ergebnis einer möglichen neuen Abwägung der kollidierenden Grundrechte entgegen Buschmanns Vorhersage völlig offen.
Strafrecht! Aus Prinzip
Es scheint, als würde der Kampf um alte Dogmen mit allen Mitteln ausgefochten, notfalls auch auf dem Rücken ungewollt Schwangerer. Das ist unanständig - und obendrein rechtsstaatlich bedenklich. So entsteht in den Ausführungen vieler Kritiker der Legalisierung der Eindruck, das Strafrecht sei - aus Prinzip - der richtige Ort, um Schwangerschaftsabbrüche zu regeln. Die Union hält dies etwa schon "aus ethischen Gründen" für unverzichtbar, wie Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion, im Gespräch mit "Legal Tribune Online" betonte.
Natürlich prallen gerade bei dem Thema Abtreibungen unterschiedlichste Wertvorstellungen aufeinander, diese sollen und müssen auch ausgetauscht werden. Allerdings - und das ist der Punkt - dürfen diese Wertvorstellungen nicht entscheidend dafür sein, ob das Strafrecht zum Tragen kommt oder nicht.
In einem Rechtsstaat ist das Strafrecht gerade nicht dafür da, bestimmte Moralvorstellungen durchzudrücken. Symbolisch auf das Strafgesetzbuch zu setzen, erinnert allenfalls an die dunkelste Zeit deutscher Rechtsgeschichte. Aus gutem Grund: Das Strafrecht ist die Kettensäge des Staates, die Folgen seines Einsatzes mitunter enorm. Es darf daher nur ultima ratio, als allerletztes Mittel, zum Tragen kommen. In anderen Worten: Bevor ein Rechtsstaat zur Kettensäge greift, muss er seinen Werkzeugkoffer genau inspiziert haben.
Initiative auf wackeligen Beinen
Im Fall des Abtreibungsrechts gibt es nun zumindest einmal die Möglichkeit auf Laub- statt Kettensäge. Die unabhängige Expertenkommission kam schon im Frühjahr zu dem Entschluss, dass Regelungen im Schwangerschaftskonfliktgesetz eine gleichwertige Alternative zum derzeitigen Paragrafen 218 im Strafrecht wären. Das so schnell wie möglich in Betracht zu ziehen, wenn nicht umzusetzen, sollte für alle Fraktionen schon aus rechtsstaatlicher Sicht von Interesse sein.
Die Chance dazu haben sie heute im Bundestag. Doch nach einem politischen Selbstläufer sieht es nicht aus: Zuletzt hatten 327 Abgeordnete, vor allem aus SPD, Grüne und Linke, den Antrag unterzeichnet, für die erforderliche absolute Mehrheit sind 367 Stimmen notwendig. Unterstützer des Antrags hoffen auf einzelne Mitglieder aus BSW, Union und FDP.
Damit steht die Initiative auf mehr als wackeligen Beinen. Die Union warnte bereits vor den Beratungen vor einem "Hauruckverfahren", in der FDP empörte man sich über einen "übereilten Schnellschuss". "Fadenscheinig" möchte man spätestens jetzt schreien. Die Debatte über das deutsche Abtreibungsrecht schwelt seit Jahren, weder an der tatsächlichen Situation noch an den Positionen der Parteien hat sich viel geändert. Das alles ist längst bekannt. Stattdessen gibt es nun erstmals einen konkreten Vorschlag, der Positionen vereint, rechtliche Widersprüche aufhebt und Deutschlands Abtreibungsrecht aus dem vergangenen ins 21. Jahrhundert hievt. Wem wirklich an einem liberalen Abtreibungsrecht gelegen ist, sollte ihm zustimmen. Es ist an der Zeit, die Kettensäge fallen zu lassen.