Abschied vom Papst: Schlange stehen für Franziskus

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Manche kommen, weil sie Teil eines Großereignisses sein wollen, andere, weil sie sich von Papst Franziskus verabschieden möchten wie von einem Freund: Begegnungen in der Schlange vor dem Petersdom.

Donnerstagmorgen, 10.45 Uhr: Seit mehr als 24 Stunden liegt der verstorbene Papst Franziskus aufgebahrt im Petersdom. Es nieselt leicht, vielleicht ist die Warteschlange deshalb nicht so erschreckend lang, wie sie auf den Fernsehbildern aussah. Doch unter dem wolkigen Himmel brauen sich auch Fragen über dieses Abschiedsritual zusammen. Ist es nicht seltsam, dass ein Verstorbener von Tausenden wildfremder Menschen angeschaut wird? Und warum macht man das überhaupt? 

Ein junger Italiener wagt einen Erklärungsversuch: "Das kommt aus dem Mittelalter. Man musste den Leuten zeigen, dass der Papst wirklich tot ist. Und vielleicht auch, dass er nicht ermordet wurde. Dass sein Körper unverletzt ist." Aber nein, die Mutter des Teenagers ist nicht einverstanden. "Es ist ein katholisches Ritual des Abschieds…" – weiter kommt sie nicht. Eine Radiojournalistin hält ihr ein Mikrofon vors Gesicht: Ob sie das noch einmal sagen könne, aber bitte im ganz Satz. Wie jetzt? Die Frau ist verwirrt. "Bitte sagen Sie: 'Die Aufbahrung des Papstes entspricht einem katholischen Ritual…'" Aber nein, die Dame möchte nun erst mal gar nichts mehr sagen. 

Von links rückt derweil die zackige Moderatorin von "Telemadrid" an. Sie habe doch gerade jemanden Spanisch sprechen hören, wer das gewesen sei. "Wir vielleicht? Wir sind aus Malaga", meldet sich eine Frau mittleren Alters. Doch der Kameramann hat bereits drei andere Protagonistinnen ins Visier genommen, die nun aus der Schlange bugsiert und gefilmt werden. "Dürfen wir danach an unseren Platz zurück? Wir warten schon so lange!" Na klar, kein Problem. 

Abschied von Papst Franziskus: Sicherheitsvorkehrungen für die Beerdigung

Über der Via della Concilliazione, dem breiten Boulevard, der zum Petersdom führt, liegt eine eigentümliche Stimmung. Monteure schrauben bereits die gigantischen Bildschirme und Kamerakräne zusammen, die am kommenden Samstag das Großereignis übertragen werden: Papst Franziskus, der seine letzte Reise antritt, vom Petersdom hinaus in die Kirche Santa Maria Maggiore. In den Seitenstraßen stehen Polizisten mit Metalldetektoren, die Einsatzkräfte bereiten umfassende Sicherheitsmaßnahmen vor: Scharfschützen auf den Dächern, Drohnenabwehr, eine Flugverbotszone über der Innenstadt. Dazwischen trifft man Menschen wie Schwester Mary aus Kenia. Sie sagt: "Ich bin hier, weil ich bei Franziskus sein möchte. Und wenn es nur wenige Sekunden sind. Ich hoffe, dass sein Erbe bewahrt wird."     

Gegen 11.15 Uhr nähert sich unsere kleine Warte-Gemeinschaft allmählich den Sicherheitsschleusen im Säulengang des Petersplatzes, Fernsehkameras sind jetzt nicht mehr erlaubt. Die Spanierinnen sind ins Plaudern gekommen, es geht um Rezepte für Thunfischsalat und die Vorteile von WhatsApp-Gruppen: "Oma kriegt jetzt alles mit, ohne, dass wir sie ständig anrufen müssen!" Doch auch der Papst ist nicht vergessen. Die Rom-Reise hätten sie schon lange gebucht, erzählen die Frauen, ein verlängertes Wochenende nach Ostern. "Es ist ein Geschenk, gerade jetzt hier zu sein. Ein Geschenk, sich von ihm verabschieden zu können." Dann kommt die Taschenkontrolle und man verliert sich aus den Augen. 

Schlange stehen für Papst Franziskus: Gespräche zwischen Weltlage und Alltag

Neuer Warteschlangen-Abschnitt, neue Weggefährten – irgendwie fühlt sich dieses Rumstehen auch an, als würde man sehr lange gemeinsam Fahrstuhl fahren. "Wir sind aus Ostia, und Sie?" "Aus Deutschland." "Ah, wir kennen München. Sehr schön." Die Familien aus dem römischen Küstenort Ostia haben ihre Kinder dabei, ein bisschen quengelig werden sie, als gerade wieder ein großer Schwung Pilger bevorzugt Richtung Petersdom an uns vorbeiwandern darf. "Warum sind wir keine Pilger?", fragt Matteo, der Sohn. Sein Vater reicht ihm ein Stück geschälter Gurke: "Wir sind Gläubige, aber keine Pilger. Wir kommen zu Besuch, weil wir uns von Papa Francesco verabschieden wollen." Matteo denkt nach. "Ich habe mich noch nie von jemandem verabschiedet, den ich gar nicht kenne."

Heilige Pforte am PetersdomFast geschafft: Durch die Heilige Pforte geht es in den Petersdom
© Andrea Ritter

Kurz vor zwölf gehts es plötzlich enorm schnell voran. Das nette Pärchen aus Dänemark möchte lieber über Friedrich Merz sprechen als über den Papst. Ob Deutschland denn nun etwas mehr, na ja, politischen Mut zeige? In Dänemark jedenfalls sei die Stimmung sehr kämpferisch: "Trump und Grönland! Just crazy!" Doch die Weltlage muss pausieren, die Heilige Pforte liegt vor uns, bitte zügig weitergehen.

Hinter der Türschwelle verstummt unwillkürlich jedes Gespräch. Bestenfalls ein zartes, vielstimmiges Wispern ist noch zu hören, wie leise raschelndes Laub. Der Mamor, die goldenen Kuppeln, die ganze feierliche Pracht, die Gegenwart der Vergangenheit – es erfasst jeden. Hölzerne Barrieren formen einen etwa fünf Meter breiten Gang, die Orgel spielt verhalten. Am Ende steht der Sarg. 

Warteschlange im PetersdomAm Ende dieser Schlange liegt Papst Franziskus aufgebahrt, Fotos von ihm sind nicht erlaubt
© Andrea Ritter

Ein kurzer Knicks, ein schnelles Bekreuzigen

Schweigend gehen die Menschen voran, sie folgen ihren in die Höhe gestreckten Handys wie einem Kompass. Wenige Meter vor dem aufgebahrten Papst ist Schluss damit: Keine Fotos, warnen zahlreiche Wachmänner eindringlich. Franziskus' Sarg ist aus hellem Eichenholz, eingeschlagen mit rotem Samt. Ein kurzer Knicks, ein schnelles Bekreuzigen. Viel Zeit zum Innehalten bleibt den Gläubigen nicht, aber jeder hat dafür Verständnis. "Wir sind einfach so viele, die ihm einen letzten Gruß senden wollen", flüstert eine. Frau und drängt ihren Mann zum Weitergehen.

Draußen ist mit einem Schlag die Weltlichkeit zurück: Die Reisegruppen, die Fotos machen vor dem Springbrunnen, die Kinder, die nun endlich ein Brötchen essen dürfen. Kaum mehr als eineinhalb Stunden hat das Anstehen gedauert. Auf den Marmorstufen am ringförmigen Säulengang sitzt Schwester Mary, ihre blaue Haube leuchtet von Weitem. Sie sei nicht traurig, sagt sie. Nur dankbar, Franziskus' Präsenz gespürt zu haben: "Er ist bei uns und wird es immer bleiben."