So langsam ergibt sich ein konkretes Bild davon, was am Donnerstag in München geschah. Der Täter schoss bereits auf Gebäude, bevor er die Polizisten angriff. Die Waffe kaufte er am Tag zuvor bei einem Sammler, inklusive 50 Schuss Munition. Von denen fehlen noch 41, genauso wie ein klares Motiv für die Tat.
Bei dem Anschlag auf das israelische Generalkonsulat in München hat der Täter nach Polizeiangaben auf mehrere Gebäude in der bayerischen Landeshauptstadt geschossen und ist auch in einige eingedrungen. Er habe "sowohl Schüsse auf das NS-Dokumentationszentrum als auch auf das Generalkonsulat des Staates Israel und zwei weitere Gebäude abgegeben", teilte die Polizei mit.
Beim NS-Dokumentationszentrum habe er auf die Fassade und auf die Glastür geschossen. Daraufhin sei er kurz in zwei benachbarte Gebäude eingedrungen. Dies belegten unter anderem Blutspuren. Kurz danach sei es dann draußen zum Schusswechsel zwischen dem 18 Jahre alten Österreicher und fünf Beamten gekommen, bei dem der junge Mann starb und zwei weitere Personen ein Knalltrauma erlitten, sagte Christian Huber von der Münchener Polizei.
Seine Waffe habe der Schütze nur einen Tag vor seinem mutmaßlichen Attentat gekauft. Der Verkäufer war ein Waffensammler, wie Österreichs Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, berichtete. Bei dem Gewehr handelte es sich um einen Karabiner älterer Bauart. Auf einer Pressekonferenz von Polizei, Landeskriminalamt und Generalstaatsanwaltschaft in München hieß es, der Karabiner vom Typ K-31 sei eine Schweizer Wehrmachtswaffe. Ihre Durchschlagskraft wurde als "massiv" beschrieben. Ein Magazin der Waffe fasst sechs Schuss.
400 Euro für Karabiner und Bajonett
Ruf zufolge hatte er den Kontakt mit dem Sammler über eine Online-Plattform hergestellt. Der Karabiner wechselte laut Ruf für 350 Euro den Besitzer, dazu kamen noch ein Bajonett um 50 Euro und etwa 50 Schuss Munition.
Die Ermittler fanden im Auto des Täters die leere Packung Munition. Von den 50 Schuss, die er vermutlich bei sich hatte, habe er nach bisherigen Erkenntnissen aber nur neun während seines Angriffs abgefeuert, sagte Polizei-Einsatzleiter Christian Huber in München. Wo die restliche Munition ist, ist unklar.
Karabiner gelten in Österreich als Waffen der Kategorie C. Sie sind deshalb frei verkäuflich und müssen erst bis zu sechs Wochen nach dem Kauf bei den Behörden registriert werden. In die Kategorie C fallen Langwaffen, die nach jedem Schuss händisch nachgeladen werden müssen.
Islamismus ist Arbeitshypothese
Derweil gehen die Ermittler Hinweisen auf ein islamistisches beziehungsweise antisemitisches Motiv des Täters nach. Das sei aufgrund der bislang vorliegenden Erkenntnisse die "Arbeitshypothese", sagte die Leiterin der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft München, Gabriele Tilmann. Botschaften des Täters mit Hinweisen auf ein Motiv seien bisher nicht gefunden worden.
Grundlage für diese Arbeitshypothese seien zum einen die Erkenntnisse österreichischer Behörden, laut denen sich der 18-Jährige islamistisch radikalisiert habe, sagte Tilmann. Zum anderen deuteten Tatort und Zeit darauf hin: Der Täter habe am Jahrestag des Olympia-Attentats im Jahr 1972 auf das NS-Dokumentationszentrum und das israelische Generalkonsulat geschossen. Hinweise auf Mittäter gebe es bisher zwar ebenfalls nicht. Ermittelt werden müsse dennoch, ob der 18 Jahre alte Österreicher in irgendeine Art von Netzwerk eingebunden war, sagte Tilmann.
Ermittlungen bezüglich islamistischer Radikalisierung durch österreichische Ermittler gab es bereits zuvor. Allerdings lagen nach Angaben der Staatsanwaltschaft Salzburg keine diesbezüglichen Beweise vor. Wie die Behörde mitteilte, bewegte sich der 18-jährige Österreicher in der Vergangenheit nicht in islamistischen Kreisen.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Salzburg bestand der Verdacht, dass der am Donnerstag getötete Schütze Mitschüler bedroht hatte, wobei es angeblich zu einer Körperverletzung kam. Weiter wurde dem Verdacht nachgegangen, dass er sich für Anleitungen zum Bombenbau interessiert und sich an einer terroristischen Vereinigung beteiligt haben könnte, in dem er in einem Online-Spiel islamistische Gewaltszenen darstellte. Diese Vorwürfe betrafen den Zeitraum 2021 bis 2023.
So soll er Videospiele gespielt haben, in denen Hinrichtungen nachgestellt wurden. Das sagte der Vizepräsident des bayerischen Landeskriminalamtes, Guido Limmer. In diesen Spielen seien Avatare angelegt worden, mit denen derartige Szenarien dann nachgespielt wurden.
Eltern meldeten Schützen als vermisst
Bei der Durchsuchung des Wohnhauses im Salzburger Land, in dem der 18-Jährige mit seinen Eltern wohnte, wurden laut Ruf am Donnerstag keine weiteren Waffen und kein offensichtliches islamistisches Propagandamaterial gefunden. Sichergestellte Datenträger müssen aber noch ausgewertet werden.
Der junge Mann mit bosnischen Wurzeln hatte nach Angaben von Ruf am Montag eine neue Arbeit angenommen. Als er Donnerstagfrüh nicht in seinem Betrieb erschienen war, kontaktierten seine Eltern am Vormittag die Polizei und meldeten ihren Sohn als vermisst. Von dem Vorfall in München, der bereits etwa eine Stunde zuvor stattgefunden hatte, wussten die Eltern zu jenem Zeitpunkt noch nichts, wie Ruf berichtete.