2 months ago

Zwei-Staaten-Lösung gefährdet: Trump-Sieg könnte zu "Monster-Problem im Nahen Osten" werden



Kamala Harris ist für viele US-Bürger mit arabischen Wurzeln nicht wählbar, weil die Demokraten Israel nicht dazu zwingen, den Gaza-Krieg zu beenden. Doch mit einem Sieg von Donald Trump droht den Palästinensern ein politisches Desaster, sagt der amerikanische Nahost-Experte Ahmed Alkhatib ntv.de.

ntv.de: Herr Alkhatib, Sie sind in Gaza aufgewachsen und amerikanischer Staatsbürger. Wen werden die Mitglieder der arabischen Community in den USA heute mehrheitlich wählen?

Ahmed Fouad Alkhatib: Viele arabischstämmige Wähler sind enttäuscht, verärgert bis entsetzt über die bisherige Politik der demokratischen US-Regierung. Präsident Joe Biden hat aus ihrer Sicht nicht genug unternommen, um das Leid in Gaza zu beenden, um den Krieg zu beenden. Für viele ist Israels Kampf in Gaza ein Völkermord und die USA tun nichts dagegen. Kamala Harris im Weißen Haus, so befürchten sie, würde eine Fortsetzung der Biden-Politik bedeuten.

Harris hat im Wahlkampf das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit betont. Sie verurteilt die Gewalt in Gaza. Das überzeugt aber nicht?

Ich persönlich nehme ihr sogar ab, dass sie das ehrlich meint. Aber beim Parteitag der Demokraten, auf dem Harris nominiert wurde, hat die Partei keinen Vertreter der arabischen Bevölkerung sprechen lassen. Es ist eine israelische Geiselfamilie aufgetreten und hat gesprochen, aber man hat keinen palästinensischen Sprecher angehört. Es hätte genug Auswahl an palästinensisch-amerikanischen Stimmen gegeben, mich eingeschlossen, die eine Botschaft der Einigkeit ausgesandt hätten. Aber man hat sich dagegen entschieden. Ich kann das in gewisser Weise sogar verstehen. Der Parteitag sollte Geschlossenheit zeigen, volle Unterstützung für Harris. Also haben sie gedacht: Wir lassen lieber die Finger vom Thema Gaza. Aber das war ein schwerer Fehler.

Ahmed Fouad Alkhatib, US-Bürger aus Gaza, ist Nahost-Politikanalyst und Senior Fellow des US-Thinktanks Atlantic Council. Sein Fokus liegt auf der politischen und strategischen Situation des Gazastreifens. Ahmed Fouad Alkhatib, US-Bürger aus Gaza, ist Nahost-Politikanalyst und Senior Fellow des US-Thinktanks Atlantic Council. Sein Fokus liegt auf der politischen und strategischen Situation des Gazastreifens.

Ahmed Fouad Alkhatib, US-Bürger aus Gaza, ist Nahost-Politikanalyst und Senior Fellow des US-Thinktanks Atlantic Council. Sein Fokus liegt auf der politischen und strategischen Situation des Gazastreifens.

Mit welchen Folgen?

Öffentlich können sich Mitglieder der arabischen Community nicht für Harris positionieren. Heimlich werden ihr doch manche ihre Stimme geben, aber viele arabischstämmige US-Bürger wollen aus Protest oder aus Rachegefühlen eher eine Drittpartei wählen, wie etwa die Grünen.

Das heißt, ihre Stimmen wären verloren.

Ja, ihre Stimme verkommt in dem Moment zum reinen Protest, unerheblich für den Wahlausgang. Und das ist besonders tragisch in den Swing States, wo es eventuell auf ein paar Tausend Stimmen ankommen könnte. Als Aktivist bin ich darum in der arabischen Gemeinschaft unterwegs und versuche, die Leute von einer reinen Protestwahl abzuhalten. Wir sollten nicht Ein-Themen-Wähler sein. Wir können Ein-Themen-Aktivisten sein. Manche werden aus Enttäuschung über Biden auch Donald Trump wählen. Führende Köpfe unter den Arabern bestärken die Menschen in ihrer Protesthaltung. Sie wollen Harris und die Demokraten bestrafen. Sie handeln sehr emotional und damit irrational.

Trump hat sich in den vier Jahren seiner ersten Amtszeit deutlich positioniert: Er hat damals die syrischen Golanhöhen, die Israel völkerrechtswidrig annektiert hat, als israelisches Staatsgebiet anerkannt. Er hat die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt. Sehen die arabischen US-Bürger keine Gefahr, dass diese Politik weitergeht?

Die aktuellen Gefühle, das Mitleiden mit den Palästinensern in ihrer Not im Gazastreifen sind sehr stark. Mit dieser Haltung übersehen viele, was Trump in der Vergangenheit getan hat, um die Rechte, die Souveränität, den Anspruch auf Selbstbestimmung der Palästinenser zu untergraben. Er hat Netanjahu damals auch die notwendige Legitimität verliehen, um Rechtsextremismus als Politikform in Israel zu etablieren. Aber es gab keinen Krieg während Trumps Amtszeit. Manche denken auch: Vielleicht ist Trump tatsächlich die Bulldogge, die reingeht und den Gaza-Krieg und den Ukraine-Krieg beendet.

Nun ist die Situation im Palästina-Konflikt weit gefährlicher als während der ersten Trump-Präsidentschaft. Wie würde sich ein Trump-Sieg Ihrer Einschätzung nach jetzt auswirken?

Kürzlich sprach ich mit David Friedman, Trumps ehemaligem US-Botschafter in Israel. Er vertritt die Position, dass eine Annexion des Westjordanlandes durch Israel eine gute Sache für die Palästinenser wäre. Die Palästinensergebiete würden dann israelisches Staatsgebiet. Den Palästinensern würde man keine echte Staatsbürgerschaft Israels anbieten, denn der jüdische Staat muss die demografische Zusammensetzung bewahren.

… weil die jüdische Bevölkerung perspektivisch sonst nicht mehr in der Mehrheit wäre …

Aber Israel würde ihnen so viele Rechte wie möglich gewähren, immer unterhalb der Staatsbürgerschaft.

Das wäre das Ende der Vision eines eigenen Palästinenserstaates, also der Zwei-Staaten-Lösung?

Exakt. Unter dem Eindruck dessen, was David Friedman mir gesagt hat, sage ich Ihnen jetzt Folgendes für den Fall, dass Trump gewinnt: Unsere europäischen Freunde müssen dann - koste es, was es wolle - die USA davon abhalten, Israel die Annexion des Westjordanlands zu erlauben. Denn das wird dann offizielle US-Politik sein und das wird ein Desaster. Alles, was wir derzeit diskutieren, mit Blick auf Deals, auf UN-Hilfe, all die großen Themen und Konflikte werden dann wie Kleingeld erscheinen. Das werden Kindereien sein im Vergleich zu dem Monster-Problem, das in Nahost entstehen würde, wenn man die palästinensische Staatlichkeit ausradiert, ihre Nationalität, ihren Status als Volk.

Wie würde die arabische Welt auf eine solche Entscheidung reagieren?

Das würde nicht fliegen, das hätte keine Chance. Nehmen Sie allein Jordanien mit der längsten Grenze zu Israel. Dort ist die Lage schon jetzt äußerst fragil. Israelische Sicherheitsbehörden, aber auch Mitglieder des Königlichen Hofes in Jordanien, mit denen ich spreche, sehen innerhalb der jordanischen Bevölkerung bereits heute eine Welle der Radikalisierung. Linke, Säkulare, sozialistische Parteien verbünden sich mit den Dschihadisten, die von der Muslimbrüderschaft angeführt werden. Sie fordern das Ende diplomatischer Beziehungen zwischen Jordanien und Israel. Sie fordern eine Öffnung der Grenzen, damit Dschihadisten nach Israel gelangen können. Den islamistischen Dschihad nennen sie Widerstand.

Das klingt nach einer bizarren Allianz.

Die Menschen sind bereit, ihre Ideologie vorübergehend zu unterdrücken, um gemeinsam eine noch extremere Ideologie zu verfolgen. Das ist für mich wirklich erschreckend. Wenn in diese Gemengelage die Annexion des Westjordanlandes fällt, wird das katastrophal. Ich habe große Sorge, dass eine neue Welle islamistischer Gewalt droht, die sich an der Situation in Gaza und dem Palästinenserkonflikt entzünden könnte. Und dann steht Europa womöglich da und muss die USA ersetzen als Verhandlungsführer, als Vermittler zwischen Palästinensern und Israelis, als Erwachsener im Raum. Bei einer Trump-Präsidentschaft könnte Europa im Nahen Osten plötzlich allein dastehen.

Mit Ahmed Fouad Alkhatib sprach Frauke Niemeyer

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